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Und wenn die Welt voll Teufel wär. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Und wenn die Welt voll Teufel wär
Год выпуска 0
isbn 9788711507193
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Ja!“
Ihre Augensterne unter den langen, weichen Wimpern waren von unbestimmter Farbe. Um so bestimmter, fester war ihr Augenaufschlag zu ihm. Da war reine Ruhe. Ein leichtes Erröten wie bei einem jungen Mädchen lief über ihre Wangen. Dann wurde sie wieder blass. Noch einmal stand sein Herz vor halber Hoffnung still: Sie verschliesst sich in sich. Da hat sie noch ein Heiligtum. Da ist ein seit meinem Tode noch von keinem betretenes Land . . .
Und der Schmerz hinterher: Aber sie stand Doch mit dem anderen Arm in Arm. Sie schaute ihm in die Augen, wie nur eine Frau schaut, die mit dem Blick sich selbst und ihre Seele gibt . . .
„Lonny, kannst du wirklich mein Auge aushalten?“
Ihr schmales Antlitz wurde fühl und stolz Sie hob in einer hochmütigen Abwehr die Schultern. Sie sagte kurz, schroff, in Verachtung der Frage: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Mein Ruf ist tadellos. Wenn du es nicht glaubst — bitte: frage meine Eltern. Oder wen du sonst willst.“
„So meine ich es nicht, Lonny . . .“
Sie wurde unwillkürlich heftig. Gereizt. Sie stampfte leicht mit dem Fuss.
„Ich gehöre nicht zu einer gewissen Sorte Kriegerwitwen. Und ebensowenig zu gewissen Frauen, die es nicht wert sind, dass ihre Männer draussen kämpfen. Es wimmeln genug von der Sorte hier umher und geben Ärgernis. Aber ich nicht.“
„Ich wollte dich nicht kränken.“
„Ich bin dafür ein viel zu ernster Mensch . . .“
Sie spielte mit entrüstet bebenden Fingern mit dem kleinen Medaillon an ihrem blossen Hals. In dem lag unter Glas ein Löckchen ihres toten Töchterchens. Es hatte dieselbe zarte Haarfarbe von gesponnenem Gold wie sie.
„Selbst wenn mir je die Versuchung gekommen wäre, Bruno — sie ist nicht gekommen — ich hätte nur an mein Kind zu denken brauchen. Die Wunde brennt. Die wird sich nie schliessen. Die heiligt mich.“
„Du hast mich nicht verstanden, Lonn. Ich sprach von deiner Seele.“
Sie stand mit dem Rücken gegen die Glasvitrine an der Wand, die ihre kleine, kostbare. Porzellansammlung barg. Das war im Frieden ihr Stolz gewesen. Sie hatte eifrig daran umhergeordnet, die Tassen und Teller mit ihrem roten Mund angehaucht, die Figürchen mit spitzen Fingern poliert. Besuchern eifrig ihren Schatz gezeigt. Er dachte sich: Solch ein kleines Kunstwerk, ein zerbrechlicher, farbiger Luxus des Friedens warst du selbst in meiner Hand und wolltest nichts anderes sein. Was bist du jetzt? Wozu hat dich der Krieg gemacht?
„Meine Seele . . .“, sagte Lonny Lotheisen langsam, „. . . meine Seele . . .“
„Sprich mir von ihr! Ich bitte dich.“
Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen. Schüttelte den Kopf.
„Ich weiss kaum, wie ich es machen soll. Ich bin seit Jahr und Tag wie betäubt.“
„Wovon?“
„Vom Ich. Dass ich mich erlebt hab’. Hab’ erleben müssen. Früher war mein Ich in dir. Auf einmal war ich allein. Stand da, in einer riesigen, brennenden Welt, in der alle Menschen miteinander auf Tod und Leben rangen und jeder sich nur um sich selber kümmerte.“
,,Und da . . .?“
„. . . Da musste ich, in meiner Verlassenheit, ohne Mann und Kind, mich mit mir selber abfinden und trösten. Dazu musste ich den Menschen kennenlernen, den ich auf der ganzen Welt am wenigsten kannte: mich selbst. Da fand ich mit Staunen, das da viel mehr war, als ich dachte. Vieles, was geschlafen hatte . . .“
„Sprich weiter!“
„Da wachte ich auf. Da schaute ich um mich ins Leben. Da war der Krieg der furchtbare Führer und Erzieher. Er brachte euch Männern den Tod, Bruno, und uns Frauen das Leben.“
Rausch der Zeit. Zorn der Zeit. Weltuntergang und Morgenrot. Es zuckte durch seine Seele: Sie ist an mir vorbeigegangen, ihren Weg, schon seit Jahren. Ich focht draussen für sie und verlor sie daheim . . .
„Ich bin mir auch heute noch lange nicht über mich klar, Bruno. Ich ringe immer noch. Es sind Jahrhunderte frei geworden, Frauen-Jahrhunderte. Es stürmt noch alles in mir wie unten im Volk. In mir und den Millionen von Frauen, die der Krieg mündig gemacht hat . . . Wir trennen uns von den Gänsen von gestern . . . Wir tappen im Dunkel. Wir suchen . . . ich weiss nicht, was . . .“
Unten dröhnte wieder, in butig-lohendem Pechgeflacker, das schützende Maschinengewehr-Auto vorbei. Verdonnerte gen Westen. Man konnte in dem kurzen Lärm nicht reden. In Bruno Lotheisen graute die Erkenntnis: Ich hab’ meine Frau nicht erst an den Fremden verloren. Sie verlor sich an die Zeit. Diese Zeit, von der ich durch Jahre in Sibirien getrennt war, diese Zeit, die ich nicht erlebte und nicht kenne, diese Zeit, die seit heute mittag als ein furchtbares Rätsel vor mir steht . . .
„Ich bin dir Rechenschaft schuldig“, sagte Lonny sanft und weich. „Ich erzählte dir, wie mir die Welt ein Spiegel wurde und mir mein Bild zurückwarf. Glaube mir, es war nicht leicht, zu sich selber durchzudringen. All das unsäglich Jämmerliche und Kleinliche der Zeit schob sich dazwischen und zog einen nieder. Die Kohlrüben. Die Brotkarte. Die Butter hinten ’rum . . . Das ewige Frieren . . . das Bad gesperrt . . . kein Gas . . . brrr, die Kriegsmarmelade. Die Jagd nach jungen Saatkrähen und Miesmuscheln . . Die Taschen voll Warschauer Bonbons und ungarischer Schokolade. Das grässlichste, dass es keinen Kaffee mehr gab . . .“
Er dachte sich: Das redet sie nun alles so in einem hin, das Alltägliche jetzt wie vorhin das Grösste. Beides für sie einander gleich. Was ist in Deutschland vorgegangen, was ist aus der deutschen Seele geworden, seit ich sie in Sibirien nicht mehr sah . . .?
„Du musst denken,“ sagte Lonny, „dass hinter allem, was wir hier sind und sagen und denken und tun, seit Jahren der Hunger steht. Hunger in jedem Sinn. Im Geistigen wie im Körperlichen. Und draussen der endlose Krieg. Der Magen war leer, das Herz tot und dafür der Kopf voll . . . übervoll. Er konnte gar nicht mehr alles fassen. Er fieberte. Wenigstens bei denkenden Menschen wie mir. Sollte ich es machen, wie viele meiner Freundinnen? Diese jungen Frauen trieben, was sie wollten. Hatten ihren Hausstand aufgelöst, lebten in Pensionen oder bei ihren Eltern, die Möbel beim Spediteur, verfügten über ihr Geld, tanzten heimlich, reisten ziellos hin und her, genossen blind ihre Freiheit. Hätte ich das tun sollen? Wäre dir das recht gewesen? Nein. Ich ging bei mir selber in die Lehre. Ich stieg empor . . .“
Und wieder dachte er: Ja. Du bist über mich hinausgewachsen . . . weit . . . weit . . . über mich armen Kriegsgefangenen in ewigem Schnee und Eis . . . mich Totgeglaubten . . . mich längst von den Menschen Vergessenen . . .
Er trat dicht vor sie hin. Er faltete die Hände. Er stammelte leise: „Und ich? . . . Und ich?“
Lonny Lotheisen deutete schmerzlich lächelnd auf den Mitteltisch: „Sieh da steht dein Bild. Es stand immer da.“
Ein Bild in breitem, schwarzem Trauerrahmen. Ein Sträusschen Immortellen, in liebevollem Gedenken, davor. Das Bild eines Toten. Bruno Lotheisen sah schmerzhaft klar, in einem fahlen Licht von oben, die Wirklichkeit: Sie denkt weich und gut an mich, den Vater ihres toten Kindes, dankbar für Liebe und in Erinnerung an schöne Stunden, aber wie in Erinnerung an einen verstorbenen Freund, an dem man doch in der Entwicklung des Lebens vorbeigeschritten wäre . . . Sonnige Tage . . . ein wehmütiges Glück . . Es hat so kommen sollen. Vielleicht war es ganz gut, in ihrem Empfinden, dass es so kam. Gut und rein. Nun hat sie es hinter sich . . .
Er wandte sich ab, warf sich auf einen Sessel, bedeckte sein bärtiges Gesicht mit den wetterbraunen, winterroten Händen. Stöhnte in bitterem Schmerz seiner Gedanken: Der Riss, der durch die Welt geht, das flammende Schwert des Krieges hat uns getrennt. Wir waren schon getrennt, ehe jener kam. Sie war schon frei. Sie hat auf ihr Schicksal gewartet . . .
Als ob sie seine Gedanken erriete, sagte Lonny leise: „Ich dachte doch, du seiest tot.“
Er murmelte: „Hast du das steif und fest geglaubt?“
Sie