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sind jetzt eben bestimmte Gründe dafür eingetreten! Adieu! Nur bitte schnell! Adieu! Adieu!“

      Graf Lassbach eilte in sein Arbeitsgemach. Er stand am Fenster. Er wartete. Da kam Lutz Oberkamp durch den Torweg auf den Bürgersteig hinaus und ging die Vossstrasse lang seines Weges. Der oben nickte ihm erleichtert nach. Er drehte sich um. Vor ihm stand der verängstigte Diener.

      „Die im Flur draussen wollen nicht länger warten . .“

      „Ich lasse den Kosakenhetman bitten!“ Graf Lassbach ging liebenswürdig dem schnurrbärtigen Herrn entgegen, der, ein Papier in der Hand, mit ernster Miene über die Schwelle trat. „Sie wollen bei mir Haussuchung halten? Gerade während des Jours meiner Frau, damit die ganze schöne Welt Zeuge ist? Da haben wir wieder diese — sagen wir vorsichtig: diese Robustheit von Friedrichsruh! Einem Menschen von Kultur wie mir geht so was auf die Nerven!“

      „Ich habe hier nur mein Amt zu erfüllen, Herr Graf! Hier . . .“

      „Danke! Ich brauche die Polizeiverfügung nicht erst zu lesen! Ich weiss, wem ich das verdanke!“ Tonio Lassbach setzte sich, schlug ein Bein über das andere und zündete sich lächelnd eine Zigarette an. „Also los, meine Herren! Ich weiss zwar nicht, was Sie gerade hier bei mir in hohem Auftrag suchen, und Sie werden es mir auch nicht verraten! Aber bitte — tun Sie ganz, als ob Sie zu Hause wären!“

      Und ein verstohlener Blick der Erleichterung dabei durch das Fenster auf die Vossstrasse, aus der der junge Mann mit der Mappe schon lange verschwunden war.

      10

      Lutz Oberkamp bog, das Lassbachsche Haus im Rücken, in die Wilhelmstrasse ein. Kurz nach der Ecke blieb er in andächtigen Gedanken stehen. Da, in diesem grauen Palais der Zopfzeit, da weilte augenblicklich, zum morgigen Geburtstag seines alten Kaisers, Königs und Herrn aus Friedrichsruh nach Berlin gekommen — da weilte jetzt Bismarck.

      Und in dem langen Anbau daneben — da schuftete den Tag lang und die Nächte hindurch sein getreuer Handlanger, der Onkel Möllinghoff.

      Und über den ganzen breiten und weiten Strassenflächen umher, auf denen vereinzelt Diplomatenkarossen hielten und Herren mit Aktenmappen wandelten, da knisterte überall die Luft, wie mit Elektrizität geladen. Hier war der Wetterwinkel der Welt. In diesem Flügelgebäude des Reichskanzlerpalastes hatten sich vor wenigen Jahren noch, nach dem Orientkrieg, die Staatsmänner der alten Erdhälfte unter Bismarck zum Berliner Kongress vereinigt und den Weltfrieden gewahrt.

      Jetzt hämmerten die Handwerker in der Wilhelmstrasse schon an allen Fenstern für die morgige Illumination zu Kaisers Geburtstag. Unter den Linden hielten die Strassenhändler Kornblumensträusschen feil. Hinter den Schaufensterscheiben umrahmten die Ladenfräulein die weissen Gipsbüsten Wilhelms des Siegreichen mit immergrünem Laub.

      Grün wie die dünne Ledermappe da in der Brusttasche. Nur um Gottes willen das Zeug, an dem nun mal ein Ehrenwort hing, nicht verlieren oder sich auf der Strasse stehlen lassen! Unter Dach und Fach damit, in die neue Bude bei Schwendeckes in der Dorotheenstrasse!

      Hemdärmelig, einen Zigarrenstummel schief unter dem grauen Schnurrbart, hantierte dort im Flur der Kassenbote Schwendecke an einem mächtigen Transparent mit aufgeklebten und von hinten zu erleuchtenden roten Buchstaben:

      „Illuminieren musste!

      Hoch Wilhelm und Auguste!“

      „Det kommt jedes Jahr vorn an Ihre beiden Fenster und det von dem möblierten Fräulein nebenan! Det lass’ ick mir nich nehmen, Herr Doktor!“ sagte er. „Wissen Sie: Ick war Achtzehnhundertsiebzig mang die Maikäfer im Feld! Anfangs haben die Franzosen, wenn sie die Tschakos statt der Picelhauben gesehen haben, jedacht: Det is Landwehr! Det’s nich so schlimm! Aber — au Backe! — denn kamen wir — die Jarde-Füsiliere! Mutter — jib mich mal die Näjel!“

      „Ist mein Koffer schon gekommen, Herr Schwendecke?“

      „Der Willem is damit unterwejens!“ Ein weicher Augenaufschlag der Haustochter, des drallen, blonden Trautchen. „Wer der Willem is, Herr Doktor? Mein Bräutijam . . . Im Herbst sind seine drei Jahre als Freiwilliger bei die Jardükohr um. Denn heiraten wir nach Perleberg. Dort is sein Vater Schlachter . . .“

      „Nu is et ja jut, dass dem Erbprinzen, wo er Bursche is“, Mutter Schwendecke brachte die Nägel, „dass der Hoheit ihre Kompanie jerade in Berlin steht. Da kann der Willem jeden Abend . . .“

      „Eben kommt er! Ach nee — det is das Fräulein Klee! Ihre Zimmernachbarin, Herr Doktor!“

      Noch sehr jung — erst Anfang zwanzig — einfach gekleidet — ein. Pack Bücher unter dem gespreizten Ellenbogen. Ein heiteres, anspruchsloses Gesicht. Klare Augen. Eine frische Stimme. Ein unbefangenes Lachen beim Anblick des blonden jungen Hünen.

      „Noch ’n Garde du Corps, Trautchen? Das ist zuviel des Guten!“

      „Der neue Mieter, Fräulein Kitte!“

      „Ach so! Guten Tag!“ Kitte Klee reichte dem jungen Mann fröhlich die Hand. „Tun Sie mir nichts! Ich tu’ Ihnen auch nichts!“

      „Was sollt’ ich Ihnen denn tun?“

      „Na — zum Beispiel mich bei der Polizei verpetzen, dass ich heimlich studiere! Nicht wahr — so schnöde sind Sie nicht?“

      Das junge Mädchen nickte kameradschaftlich und ging in ihr Zimmer. Vater Schwendecke tippte sich hinter ihr her bedeutungsvoll mit dem Zeigefinger gegen die Stirn.

      „. . ’n bissken lititi — schade — sonst ’n propperes Mächen! Aber se studiert! Nu sagen Se mal, Herr Doktor: Können Sie det wahrhaben: Se studiert?“

      „Das dürfen Frauen doch gar nicht!“

      „Nich wahr? Drum tut sie’s so janz im Dustern! Unten im Keller — bei ihrem Onkel hier — dem Apotheker!“ klagte Mutter Schwendecke. „Wenn’s ’rauskommt, det sie bei dem Ollen als . . . als . . .“

      „Laborantin, Mutter!“

      „Nu schon so’n franzö’sches Wort! . . . ja — det sie im Hinterjrund mit die Flaschen und gläsern ’rumpetert, denn wird se aus Berlin ausjewiesen!“

      „Und der Onkel besieht was von der Polizei!“

      „Det sind unjesunde Jedanken von dem Fräulein Klee!“

      Wilhelm, der Garde du Corps, dröhnte mit dem Koffer die Treppe herauf, überlebensgross im weissen, rotgeränderten Koller und den bis zu den halben Oberschenkeln reichenden Brandenburger Mammutstiefeln. Er steckte, mit einem freundlichen Lächeln auf dem treuherzigen märkischen Gesicht das Fünfgroschenstück des Zimmerherrn ein. Trautchen blickte träumerisch auf den Riesen mit dem mächtigen Pallasch und den Pfundsporen.

      „Sie sind ja auch ein sehr schöner junger Mann, Herr Doktor!“ sagte sie. „Aber den Willem sollten Sie mal mit dem silbernen Adlerhelm und Kürass sehen! Oder beim Hofball mit dem rotgestickten Adler vorn mang die Supraweste. Oder gar in Potsdam bei der Parade mit dem schwarzen Kürass. Soll er Ihnen beim Auspacken helfen? Det hat er bei seinem Prinzen jelernt! Nich? Na, denn komm, Willem!“

      Allein geblieben, riss Lutz Oberkamp den Koffer auf, den Inhalt heraus, rasah ’rein in Kommode und Schrank! Und in den leeren Behälter nur die anvertraute kleine, grüne Mappe! Den Koffer wieder fest zugesperrt und tief unters Bett bis an die Wand geschoben! So! Du bist besorgt und aufgehoben! Schlüssel in die Tasche. Hut vom Haken. Draussen auf dem Flur — beiläufig — nachlässig und grossartig:

      „Wenn jemand nach mir fragen sollte, Fräulein Schwendecke: Ich befinde mich zur Übernahme der Geschäfte bei der ,Grossen Trommel‘. Sie wissen — die bekannte Wochenschrift — um die Ecke in der Mittelstrasse!“

      Dort standen, als Lutz Oberkamp herankam, Leute und schauten zum dritten Stock hinauf.

      „Ist was Besonderes da oben los?“ fragte der lange Mecklenburger, und der alte Schuhmachermeister aus dem Kellerladen rieb sich das Stoppelkinn.

      „Nee

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