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wie eine Salzsäule? Man könnte sich vor dir fürchten!

      „Ich fürchte mich vor mir selber! Und ihr andern werdet euch auch vor mir fürchten!“

      „Lutz — was hast du denn noch für eine Dummheit auf dem Gewissen? Man liest es dir ja vom Gesicht! Du hast wirklich den heutigen Tag gut angewendet!“

      „Ich . . . ich bring es gar nicht über die Lippen, Tante . . .“

      „Den Kopf wird’s schon nicht kosten! Also heraus damit . . . .“

      „Der Onkel sprach doch von einer kleinen grünen Mappe . . . Was darin ist, weiss ich nicht . . .“

      „Aber ich! Gift gegen Bismarck! Du!“ Ein plötzliches, intelligentes Hoffnungsleuchten in den grünbraunen Augen. „Du warst ja im Salon Lassbach! Hast du am Ende etwas läuten hören, wo die Mappe ist?“

      „Ja. Das weiss ich ganz genau . . .“

      „Wo denn?“ Etta Möllinghoff fasste den Neffen an den Rocknöpfen und schüttelte ihn. „So sprich doch!“

      „Auf meiner Bude!“ würgte Lutz Oberkamp hervor. „Im Koffer unter meinem Bett!“

      „Aber das ist ja herrlich!“ Etta liess ihn fahren. Sie machte einen Luftsprung der Freude. „Hurra — du Goldkerlchen!“ Sie lief begeistert zwischen den Plüschportieren und Makartsträussen umher. „Wir haben die Mappe! Spring’! Hol’ sie! Der Onkel wird dich segnen und dir alle deine vergangenen und künftigen Sünden verzeihen! Er wird S. D. berichten! Nun ist deine Karriere gemacht!“

      „Ich habe mein Ehrenwort gegeben . . .“ Es schepperte blechern wie die letzten Worte eines armen Sünders auf dem Schaffott. „. . . die Mappe nicht selber aufzumachen und keinem andern Menschen Einblick zu gestatten!“

      Etta Möllinghoff sprang zwei Schritte zurück, als rauchte auf dem Smyrnateppich zwischen ihr und dem Neffen eine Nihilistenbombe, zum Platzen bereit. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, so wie wenn sie träumte.

      „Dein Ehrenwort . . .“

      „Das muss ich halten! Ich habe es einem satisfaktionsfähigen Herrn, einem Grafen, gegeben, und ich selbst bin Reserveoffizier bei den dritten Mecklenburger Dragonern!“

      Jäh wies drüben eine schmale, steinfunkelnde Hand nach der Tür.

      „Geh! . . Geh!“

      „Tante!“

      „Geh, eh’ du Schimpf und Schande über unser Haus bringst! Für Verräter Bismarcks ist in diesem Hause kein Raum!“

      „Ich bin ja kein Verräter, Tante! Ich bewundere ja Bismarck wie ihr! Ich bin ja nur so dumm!“

      „Geh, ehe ich meinem Mann das sagen muss . . . Nein — ich kann dir nicht helfen, Lutz! Ich muss es ihm sagen . . .“ Helle Tränen rannen über Ettas schmales, bleiches Gesicht. „Er lässt dir das Ding abnehmen und dich verhaften!“

      „Dann ist drüben mein Ehrenwort futsch, und ich bin bei euch erledigt!“ Lutz Oberkamp wandte sich, plötzlich sehr ruhig geworden, zur Tür. „Dazu wollen wir es doch nicht kommen lassen, Tante! Also der Onkel soll in ’ner Stunde schicken! Oder lieber selber kommen! Er findet das Ding, wie gesagt, im Koffer. Mich geht das dann gottlob nichts mehr an!“

      „Lutz . . .“ Etta Möllinghoff schrie es auf. „Was heisst das?“

      „. . . dass ich mir inzwischen ’ne blaue Bohne vor den Kopf knalle!“ sagte der junge Mann kaltblütig. „Ich muss nur vorher noch fix in ’nen Waffenladen! Also Gott befohlen, Tante! Nett, dass wir uns gerade noch vor Toresschluss kennengelernt haben!“

      „Lutz . . .“

      „Du bist nämlich sehr nett . . . Du bist reizend . . . Ich bin eigentlich schon heftig in dich verliebt, Tante! Jetzt, als Todeskandidat, kann ich es ja sagen!“

      „Lutz . . .“ Erstickt die Stimme.

      „Und ich glaube, du hast mich auch schon ganz gern!“

      „Bleib’ noch!“

      „Adieu! Lass es dir gut gehen!“

      „Lutz . . . ich will nicht, dass du stirbst . .“

      „Darf ich eine Mark Trinkgeld für den Diener da im Vorzimmer hinlegen, Tante?“

      „Lutz . . . Es muss eine Rettung geben . . .“

      „Ich weiss keine!“ Er beugte sich über ihre Hand. Die verkrampfte sich in seinen Ärmel, um ihn festzuhalten. Sie starrten sich an. Ihr heisser Atem flog ineinander. Es wetterleuchtete wild über Ettas hübsches, wachsbleiches Gesicht.

      „Ich hab’s! . . . Du hältst einfach dein Ehrenwort nicht!“

      „Reizender Gedanke!“

      „Solch ein Ehrenwort braucht man nicht zu halten . . .“

      „Auf so ’ne Idee kommt nur eine Frau!“

      Etta Möllinghoff legte die Hand an das Kinn und überlegte in fiebernder Eile.

      „Solange du das Ding unter deiner Obhut hast, kann nichts damit passieren! Also kann ich zur äussersten Not vor mir verantworten, Klemens vorläufig noch nichts zu sagen! Wirklich nur aus Rücksicht auf deinen Vater und deine Familie, Lutz!“

      Und als wüsste sie, dass ihr das der junge Mann vor ihr doch nicht glaubte, sondern sie immer heisser ansah, harten Tons:

      „Und vor allem aus Rücksicht auf meinen Mann selber! Unsere ganze Berliner Stellung wird ja bis in die Grundfesten erschüttert, wenn sein eigener leiblicher Neffe als Verschwörer gegen Bismarck entlarvt wird! Wir können glatt auf ’ne Klitsche in Schlesien in Pension gehen, wo wir doch in nächster Zeit Exzellenz werden! Lutz — das darfst du uns nicht antun!“

      „Gott im Himmel — was soll ich denn machen?“

      „Dich bei jemand, der mit Ehrenwörtern Bescheid weiss, erkundigen, ob solch ein Ehrenwort, das sich gegen Bismarck richtet, überhaupt gilt!“

      „Ich kenne ja keine Seele in Berlin!“

      „Also wart’ mal . . . Mein Vater . . . Herrgott — der kommt ja erst morgen früh aus der Provinz an — zu Kaisers Geburtstag! Der ist auch zu streng als alter General. — Meine Brüder hier — nein — das sind noch zu junge Dächse . . . Herrgott — ich hab’s! Der Johannes . . . dein Vetter . . .“

      „. . . angeheirateter Vetter . . .“

      „Nun ja — er ist doch der Schwiegersohn meines Mannes! Er hat doch meine Stieftochter zur Frau!“

      „Aber ein Pfarrer . . . von der Inneren Mission . .“

      „. . . der Achtzehnhundertsiebzig als Kriegsfreiwilliger und Landwehrlieutenant mit dem Eisernen Kreuz zurückgekommen ist! Er war Offizier! Er ist Seelsorger. Das ist der rechte Mann für dich!“

      „Aber wo ihn finden?“

      „Die Margret war vorhin hier. Sie hat erzählt, ihr Mann spricht heute in einer grossen Stöcker-Versammlung! Jetzt eben! Nimm dir ’ne Droschke, Lutz! Ich bitte dich! Sag’ nur dem Kutscher: zur Tivoli-Brauerei!“

      14

      Der Tivoli-Saal auf dem Kreuzberg ob Berlin braute im bläulichen Rauchnebel, durch das weiss die Tausende von Gesichtern, die klatschenden Händepaare flackerten. Vom Podium schmetterte der Pfarrer der Inneren Mission Johannes Giese seine Eröffnungsrede in das gelbliche Wabern der Gasflammen, die Hitze, das Pickelhaubengeflimmer der Schutzleute, das Glitzern zahlloser Biergläser, die hundertfachen Zurufe.

      Er hatte eine Stimme, die Tote erwecken konnte, obwohl er ein nur mittelgrosser, äusserlich unscheinbarer Mann in der zweiten Hälfte der Dreissig war, mit einem kurzen braunen Vollbart, das Eiserne Kreuz im Knopfloch des langen, schwarzen Geistlichenrocks.

      „Am Abend von Sedan, meine Herren,

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