Скачать книгу

Der Kommissionsrat legte harthörig die Hand an das Ohr.

      „Dausend Dahler ist der junge Mann unter Brüdern wert. Dahler — nicht Märker!“ Der kleine Gewaltmensch schrie, da der andere sich taub stellte. „Sie werden staunen, wenn Sie hören, wer’s ist!“

      „Erst die volle Adresse!“

      „Und dann?“

      „Dann in Gottes Namen!“

      „Ehrenwort?“

      „Ehrenwort beiderseitig!“

      „Heissen Dank, Herr Kommissionsrat!“

      „Meinerseits, mein Teuerster! Gehen Sie mit Gott!“

      Der Kommissionsrat Stieber wartete fünf Minuten. Dann wanderte er die Wilhelmstrasse entlang, in ihre feudale Stille jenseits der Leipziger Strasse. In Nummer 76 kannte man den bleichen Herrn mit den Augenfäden und dem schwarzgefärbten Schnurrbart. Der Pförtner liess ihn, vertraulich zwei Finger an dem roten Mützenrand, passieren.

      In seiner Aktenhöhle hob der Geheimrat von Möllinghoff das glattrasierte, geistvolle, nervöse Gesicht — einen leicht angegrauten, launig würdevollen Kopf aus dem achtzehnten Jahrhundert — und betrachtete mit mässigem Wohlgefallen und doch voll dienstlicher Spannung seinen Besucher. Der betupfte sich die feuchten Lider.

      „Eben war mein Vertrauensmann bei mir, Herr Geheimrat!“ Der Kommissionsrat Stieber sah wieder aus, als müsse er über die Mangelhaftigkeit der Menschen weinen. „Der Esel ahnt immer noch nicht, dass wir genau wissen, wer er ist und wie er nach allen Seiten verrät!“

      „Und was meldet dieser Cassube?“

      „Er ist, nach seiner Angabe, dabei, das Dokument aus der Vossstrasse wegzueskamotieren und bei einem jungen Subjekt aus der Provinz zu verstecken! Eile tut not! Sonst verschwindet das Ding irgendwo auf Nimmerwiedersehen in Berlin!“

      „Den Gefallen tun wir dem Grafen nicht!“ Die dünnen, feingeformten Lippen Klemens von Möllinghoffs zogen sich grausam zusammen. „Wir werden uns dieser Fälschung bemächtigen, solange sie noch im Hause Lassbach liegt!“

      „Ganz meine gehorsamste Meinung, Herr Geheimrat!“

      „Es ist Gefahr im Verzug! Wir wollen die Haussuchung dort also jetzt gleich, noch am hellen Tag, beginnen lassen, statt schamhaft am Abend! Und zur selben Zeit natürlich auch die Befessung der ,Grossen Trommel‘. Was diesen Cassube betrifft — wie nennt er sich bei uns? Nordmann-Humann . . .?“

      „Und drüben Doktor Wurmhuber-Fillitsch! Er heisst auch Knöppke! Er wechselt seinen Namen häufiger als das Hemd! Das würde allerdings nicht viel besagen!“

      „Damit dieses Chamäleon uns nicht dazwischenstänkert, lassen wir es sofort auf Grund des kleinen Belagerungszustandes vorläufig verhaften!“ Der Geheimrat stand auf. „In einer halben Stunde erfolgt überall gleichzeitig der grosse Schlag! Wir kommen dem unbekannten jungen Mann zuvor! Graf Lassbach soll sich hüten!“

      8

      In dem grossen Bibliothekraum seines Hauses in der Vossstrasse trat inzwischen der Graf von Lassbach nervös an das Fenster. Die Märznachmittagssonne beschien die hohe, schlanke, elegante Gestalt eines Fünfzigers, dessen gepflegter Haarscheitel und Schnurrbart noch kein graues Haar trug. Jugendlich lebhaft auch noch, trotz der Fältchen, die schönen, etwas weichlichen Züge. Raubritterartig, etwas vorspringend, ein Zeichen alten Blutes, die Nase. Weiblich sein darunter der Mund des von der breiten Stirn bis zu dem sanften, schmalen Kinn sich widerspruchsvoll verjüngenden Gesichts. Unruhig die dunklen Augen.

      In stiller Krümmung lag unten die Vossstrasse, ohne Läden, ohne Keller, die unauffällig vornehmste Strasse Berlins. Vor dem Hause des Grafen Lassbach hielt eine Reihe Equipagen. Er klingelte dem Diener.

      „Ich gehe auf einen Sprung hinüber zum Jour der Gräfin. Wenn sich ein junger Herr Oberkamp meldet, so führen Sie ihn hierherein und benachrichtigen Sie mich drüben, ohne seinen Namen zu nennen, durch einen Augenwink!“

      Graf Anton Lassbach hatte, auf dem Wege zum Mittwochempfang seiner Frau, den leichten, gleitenden Schritt eines Blaublüters, der sein Leben lang auf dem Parkett von halb Europa, in den Salons hoher und allerhöchster Damen zwischen Themse und Donau heimisch gewesen. Drinnen, in den menschenvollen Räumen, summte ein feudaler Bienenstock. Spitzenbesetzte, lange, enge Nachmittagstoiletten, Sporengeklirr, Teetassengeklapper, Musik von nebenan, Handküsse, Ordenskettchen, Haussterne auf Uniformen, Garde, Gotha, Diplomatenfranzösisch. Das leise knarrende Märkisch eines alten Herrn aus einem Häuflein ergrauter Tories in der Ecke, zu denen sich Graf Lassbach unauffällig setzte.

      „Seit der Schweinerei von Achtundvierzig bin ich mit Bismarck jahrzehntelang durch dick und dünn gegangen! Aber ich bin nu mal ’n oller Christ! Ich weiss, dass sie mich im Land den heiligen Tobias’ schimpfen! Meine Antwort drauf — nee — die ist hier nichts für die Damen!“

      Der kleine, hagere Tobias von Rickwitz auf Rezenow trug unter treuherzigen hellen, blauen Augen einen langen, schlohweissen Husarenschnurrbart in dem braunverwitterten Gesicht. Stille Strenge in dessen Furchen.

      „Ich hab’ mir den Rotspon abgewöhnt und mittags mein Butterbrot auf dem Marktplatz gegessen, um bei mir im Dorf ’nen neuen Kirchturm aufzubauen. In der Kirche bin ich vom Pfarrer getauft und eingesegnet, und da bin ich mit meiner lieben Frau getraut und mein Vater und Grossvater und mein Vorfahre Wichart als erster mitten im Dreissigjährigen Krieg, und Gott hat seinen Segen dazu gegeben! Nu kommt vor zehn Jahren aus heiler Haut der gute Bismarck und sagt: Mögt ihr euch auch da trauen lassen . . . . Aber wirklich trauen tut euch ein Major a. D. im schwarzen Leibrock in ’ner Amtsstube drüben im Amtsgericht. — Nee — so ’nen Herrn lasse ich nicht als Stellvertreter unseres Heilandes gelten! Die Ehe ist ein Sakrament und nicht ’n staatlicher Termin. Da kann ich nicht mit. Seit den Maigesetzen haben sich meine Wege von denen Bismarcks getrennt!“

      „Meine schon lange!“ sprach der Hausherr leise.

      Eine Pause. Rauchwirbel um die Grautöpfe. Eine vorsichtige Wendung eines gebieterischen, bärtigen Hauptes. Ein gedämpftes:

      „Also, Lassbach — es ist so weit?“

      „Morgen früh steht die Geheiminstruktion in der ,Grossen Trommel‘.“

      „Kurz ehe der Zar nach Berlin kommt!“

      „Um so besser! Wir müssen diesen tödlichen Zeitpunkt wählen . . .“

      Wieder ein bedeutungsvolles Schweigen. Wieder Tonio Lassbachs nervöse, halblaute Stimme:

      „Denn wir sind eine mächtige, aber kleine Partei!“

      „Neun Zehntel unserer Vettern auf dem Lande beten den grossen Kulturkämpfer an!“ sprach der fromme, alte Junker kummervoll.

      „. . . Von uns jenseits der Elbe sagen Sie das nicht!“ Gedämpft die Worte aus dem rauchumwitterten, silbergrauen Vollbart. Graf Lassbach wandte sich dem hannoverschen Granden zu.

      „Das haben Sie erst vorige Woche im Reichstag ausgesprochen, lieber Germerode, und Sie hatten recht! Aber mit dem Reden ist es nicht getan. Wir müssen handeln! Wir müssen durch unsern morgigen Coup den unseligen Draht kappen, der uns immer tiefer nach Asien hineinführt! . . . Ich bin Preusse . . .“

      „. . . und ich hab’ noch seit zwanzig Jahren, von Langensalza her, eine Preussenkugel im Bein!“ sagte der Reichstagsabgeordnete Freiherr von Germerode. „Wir damals von den hannoverschen Gardes du Corps . . .“

      „Aber als Preusse frage ich: Was ist denn für Europa je aus dem Osten gekommen als Hunnen, Tataren, Kosaken und Nihilisten? Der Kompass unserer Kultur weist nach Westen!“

      „Nee — meiner zeigt ejal auf Potsdam!“ sagte trocken der alte Rickwitz.

      „Gut. Schön. Aber dann gebt uns endlich Spielraum in Preussen!“ Die Stimme des Grafen Lassbach bebte in unterdrückter Leidenschaft. „Morgen tritt Seine Majestät in ein neues

Скачать книгу