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sonst? Du, ich habe eine gute Flasche Wein. Wenn du willst, besorge ich uns noch ein paar Leckereien beim Griechen. Ich könnte in einer halben Stunde bei dir sein.«

      Das Schnauben war nicht gerade die Antwort, auf die er gehofft hatte.

      »Hast du mal auf die Uhr geschaut? Es ist halb eins. Ich muss morgen um sechs raus.«

      »Wir können auch gleich weiterschlafen«, machte Milan einen Vorschlag zur Güte. »Ohne Wein und Essen.«

      »Ich will aber JETZT schlafen. Gute Nacht.« Ein Klicken in der Leitung beendete das Gespräch.

      Milan starrte den Hörer an. Das war ihm schon lange nicht mehr passiert. Normalerweise waren die Frauen Wachs in seinen Händen.

      »Aber offenbar nicht zu jeder Uhrzeit«, brummte er.

      Er wählte die nächste Nummer. Katja aus dem Labor. Ein Glück, dass er ein gutes Verhältnis zu seinen Verflossenen pflegte. Es tunlichst vermied, im Streit auseinanderzugehen. Mit einem Lächeln auf den Lippen drückte er den Hörer ans Ohr. Ein Lächeln hörte man. Vielleicht half es. Es klingelte. Und klingelte. Und klingelte. Das Lächeln verschwand. »Dann eben nicht.« Milan drückte die Taste mit dem roten Hörer darauf. »Schließlich gibt es noch Silvie.« Diesmal schraubte er seine Erwartungen herunter und erschrak förmlich, als sich eine putzmuntere Stimme meldete.

      »Silvie, das ist ja schön, dass ich dich erreiche.« Schlagartig kehrte Milans gute Laune zurück. Na, bitte! Sein Zauber hatte doch nichts von seiner Wirkung verloren. »Tut mir leid, dass ich mich erst so spät melde. Aber du weißt ja: Je später der Abend, desto schöner die Gäste.«

      Silvies Glucksen war Musik in seinen Ohren.

      »Du meinst, ich soll dich besuchen?«

      »Das würde ich niemals von dir verlangen.« Zufrieden betrachtete Milan die Flasche Sangiovese. »Deshalb dachte ich mir, ich komme zu dir.«

      Er hörte ein Sprudeln. Champagner?

      »Wer ist denn das, Schatz?«, rief eine männliche Stimme aus dem Hintergrund.

      Um ein Haar wäre Milan die Flasche Wein aus der Hand gerutscht.

      »Ach, nur ein flüchtiger Bekannter«, rief Silvie fröhlich. Und zu Milan gewandt sagte sie: »Du hast ja gehört, dass ich leider keine Zeit habe. Mach’s gut, Süßer. Auf Nimmerwiedersehen.«

      Milan schluckte. Heute war wirklich nicht sein Tag.

      *

      Wie ein Tiger im Käfig schlich Elena eine Weile durch das verwaiste Haus. Mit jedem Schritt wuchs die Wut auf ihren Mann.

      »Das habe ich wirklich nicht verdient!«, zürnte sie und versetzte dem Ständer mit seinen Autozeitschriften einen Tritt. Er fiel um. Die Hefte rauschten über das glatte Parkett.

      Doch die Genugtuung währte nicht lange. Schon wollte Elena nach einer Vase greifen. Geschenk zum dreiundzwanzigsten Hochzeitstag. Sie hob den Arm. Und hielt inne.

      »Hör auf mit dem Unsinn! Du bist doch keine Zwanzig mehr. Außerdem musst du den Mist hinterher selbst aufräumen«, schalt sie sich und stellte das Kristallglas zurück auf das Sideboard.

      Stattdessen griff sie nach dem Schlüsselbund. Bevor sie erstickte, musste sie aus dem Haus.

      Die Luft kühlte ihre erhitzten Wangen. Eine Weile stand Elena in der Dunkelheit und atmete. Ein und aus. Ein und aus. Bis das Band um ihren Hals lockerer wurde. Endlich tauchte sie aus ihrer Versunkenheit auf. Sah sich um. Und nun? Was sollte sie nun tun? Wohin gehen? Dazu fiel ihr eigentlich nur eines ein. Ein Piepen und Blinken. Die Schlösser ihres Wagens sprangen auf. Elena stieg ein und fuhr los.

      Als Streifen glitten die Lichter der Nacht an ihr vorbei. Um diese Uhrzeit war kaum ein Wagen auf den Straßen unterwegs. Tagsüber brauchte sie für dieselbe Strecke oft eine Dreiviertelstunde. Doch nachts war alles anders. Nur zwanzig Minuten später parkte sie auf dem leeren Parkplatz. Der Kies knirschte unter ihren Füßen. Sie wählte einen der Nebeneingänge. Gedimmtes Licht und angenehme Ruhe empfingen sie. Was für eine Wohltat nach der Hektik des Tages!

      »Ich sollte öfter die Nächte hier verbringen«, murmelte sie auf dem Weg zu ihrem Büro.

      »Führen Sie immer Selbstgespräche?«

      Elenas Herz setzte einen Schlag aus. Sie presste die Hände gegen die Brust und fuhr herum. Es dauerte einen Moment, bis sie Milan erkannte.

      »Aydin, sind Sie verrückt geworden? Wie können Sie mich so erschrecken?« Sie holte tief Luft. »Was machen Sie überhaupt noch hier?«

      »Dasselbe könnte ich Sie auch fragen.« Die Räder des Rollstuhls quietschten leise auf dem Vinylboden.

      Elenas Schultern sackten herab. Was sollte sie darauf antworten? Sie hatte keine Kraft mehr. Und schon gar nicht für eine Lüge.

      »Mein Mann hat mich gerade verlassen.«

      »Perfekt.«

      Mit allem hatte sie gerechnet. Nur nicht mit dieser Antwort.

      »Wie bitte?«

      Milan grinste.

      »Ich wurde heute auch verlassen. Aber nicht nur einmal. Gleich mehrfach.« Er griff nach der Flasche Wein in seinem Schoß und hielt sie hoch.

      Elena blinzelte. Hatte sie die nicht erst heute …? Egal.

      »So trifft man sich wieder.« Sie deutete auf den Sangiovese.

      Milan lachte.

      »Was halten Sie von einem Ball der einsamen Herzen? Nur wir zwei?«

      Elena überlegte nicht lange.

      »Einverstanden.« Sie legte ihre Hand auf seinen ausgestreckten Arm und tanzte im Walzerschritt den Flur hinab. Milan Aydin summte eine Melodie dazu. Schräg. Falsch. Wunderschön.

      Das Leben ist zu kurz, um traurig zu sein!, ging es Elena durch den Sinn. Zumindest an diesem Abend. Außerdem ging es sowieso weiter. Und wurde irgendwie immer wieder gut.

Dr. Aydin geht ins Kloster?

      »Ich bewundere dein Engagement.« Dr. Felicitas Norden saß an einem Tisch unter Palmen, vor sich ein halbes Stück Birnen-Nusskuchen, und sah zu ihrem Mann hinauf. Ihr Gesichtsausdruck strafte ihre Worte Lügen. »Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob ein Klinikchef unbedingt noch den Rettungsarzt spielen muss.«

      Daniel steckte das Telefon weg. Im Stehen leerte er seine Tasse. Beugte sich über seine Frau und küsste sie auf den Mund.

      »Gerade als ärztlicher Direktor einer Klinik ist es wichtig, sich auf dem Laufenden zu halten. In jedem Bereich. Bis später, mein Schatz.« Ehe Fee etwas erwidern konnte, war er schon auf dem Weg.

      Minuten später kletterte Dr. Norden in den Notarztwagen. Der Rettungsassistent Cornelius Hahn gab Gas. In den Fenstern des Innenhofs flackerte blaues Licht.

      »Na, wo habe ich dich hergeholt?«, erkundigte sich der Rettungsarzt Dr. Erwin Huber, ein alter Bekannter, mit dem Daniel Norden seit Jahren gut und gern zusammenarbeitete.

      »Von der Kaffeepause mit meiner Frau. Sie war nicht gerade begeistert.«

      »Dann hoffen wir mal, dass das heute unser einziger schwieriger Patient ist.«

      Daniel lachte. Sein Blick fiel auf das Navi. Ziel war ein Friedhof.

      »Was ist passiert?«

      »Ein Verkehrsunfall. Lieferwagen gegen Brückenpfeiler. Eine Schwer- und ein Leichtverletzter.« Der Verkehr vor ihnen drohte dichter zu werden. Erwin hob die Hand und legte den Kippschalter um. Das Martinshorn. An diesen Ton würde sich Daniel Norden nie gewöhnen. Damit war er nicht allein. Zwei Frauen am Straßenrand machten einen Schritt zurück. Autofahrer setzten Blinker und wichen nach rechts aus. Erschreckten Passanten, die zur Seite sprangen.

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