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      Elena und Fee lachten.

      »Kleiner Tipp am Rande: Die Assistenzärzte lockst du am besten mit einer periproktitischen Abszess-Spaltung hinter dem Ofen hervor«, erklärte Fee mit hoch erhobenem Zeigefinger.

      »Gegen eine explorative Laparotomie haben die meisten angehenden Fachärzte für Chirurgie auch nichts einzuwenden«, scherzte Elena.

      Sie lachte mit ihren Freunden, obwohl ihr nicht nach Lachen zumute war. Daniel bemerkte es.

      »Warum treibst du dich hier eigentlich noch herum?«, stellte er die Frage aller Fragen. »Hast du nicht längst Feierabend?«

      Widerstand war zwecklos. Das erkannte Elena am Tonfall, an der Miene ihres Freundes. Sie sah auf die Uhr.

      »Tatsächlich. Schon so spät!«, heuchelte sie Überraschung. »Du hast recht. Zeit, nach Hause zu gehen. Habt einen schönen Abend.« Während die Schritte ihrer Freunde auf dem Flur verhallten, schaltete sie das Tablet aus und schob die Akten zu einem ordentlichen Stapel zusammen.

      Am liebsten hätte sie die Nacht in der Klinik verbracht. Der Streit zwischen Eric und ihr schwelte immer noch. Wie ein glimmender Holzscheit. Zu schwach zum Brennen, zu kraftvoll, um zu verglühen. Aber es nützte ja nichts. Irgendwann schlug die Stunde der Wahrheit.

      Dass diese Stunde unangenehm werden würde, ahnte sie schon, als sie das Erdgeschoss betrat. Obwohl es schon spät war, brannte noch Licht im Wohnzimmer. Eric hatte also auf sie gewartet. Oder hatte es zumindest vorgehabt. Leises Schnarchen verriet, dass der Schlaf den Plan vereitelt hatte. Sie atmete auf. Auf Zehenspitzen schlich sie Richtung Schlafzimmer. Der Parkettboden knarrte.

      »Guten Abend.«

      Die Ernüchterung ergoss sich wie eine eiskalte Dusche über Elena.

      »Eric! Ich dachte, du bist schon im Bett.« Sie kehrte zurück zur Wohnzimmertür. Die Mühe eines Lächelns machte sie sich nicht.

      »Du hast dich geirrt.« Eric stand auf. Mit den Händen in den Hosentaschen schlenderte er auf sie zu. Als hätte er alle Zeit der Welt. »Wo kommst du jetzt her?«

      »Aus der Arbeit.«

      »Um diese Zeit?« Demonstrativ sah er auf die Uhr.

      »Ich bin aufgehalten worden.« Ihre Stimme war schnippisch. Sie hatte es nicht nötig, wie ein Teenager vom Vater verhört zu werden.

      Aber warum lächelte Eric so süffisant? Das kannte sie gar nicht an ihm.

      »Von der Arbeit? Oder von Deniz?« Wie Eis zergingen die Worte auf seiner Zunge.

      Elena schluckte.

      »Woher weißt du von Deniz?«

      »Dann stimmt es also?«

      »Nein.« Ein Glück. Ihre Stimme war so fest, wie ihr Gewissen rein war. »Also, woher?« Elena zwang sich, dem Blick ihres Mannes standzuhalten.

      »Ich wollte dich heute Mittag zum Essen einladen. Leider kam ich zu spät. Eine Schwester erzählte, du wärst bei Deniz.«

      Schon wieder diese Lästerschwestern! Nichts, aber auch gar nichts konnte man vor ihnen geheim halten. Es war Elena ein Rätsel, woher sie ihre Informationen bezogen. Doch das spielte im Augenblick keine Rolle.

      »Dr. Aydins Bruder Deniz hat heute Mittag für Milan und mich gekocht.«

      »Ein flotter Dreier?« Eric zog eine Augenbraue hoch. »Das hätte ich dir nun doch nicht zugetraut.«

      Elena schnappte nach Luft. Aus Erfahrung wusste sie, dass eifersüchtige Männer zu Übertreibungen neigten. Doch was zu weit ging, ging zu weit.

      »Ich habe ihn noch nicht einmal angefasst, geschweige denn geküsst«, schleuderte sie ihm entgegen. »Und weißt du was: Jetzt bereue ich, es nicht getan zu haben. Dann hättest du wenigstens einen Grund, dich so bescheuert zu benehmen.«

      Eric ballte die Hände zu Fäusten. Kein Wort kam mehr über seine Lippen. Er stand nur da und starrte seine Frau an. Elena überlegte schon, ob sie einfach ins Bett gehen sollte, als doch noch Bewegung in ihn kam. Er drängte sich an ihr vorbei und verließ das Zimmer.

      Sie drehte sich um. Sah ihm nach. Aber was war das? Warum stand der Koffer dort in der Ecke? Mit einem Schlag verpuffte ihre Wut.

      »Was soll das, Eric?«, fragte sie matt.

      »Wonach sieht es denn aus?« Er nahm den Mantel vom Haken. Schlüpfte hinein. Wickelte den Schal um den Hals.

      »Du läufst davon, ohne überhaupt mit mir geredet zu haben?« Sie konnte es nicht fassen. War das der Mann, den sie geheiratet hatte? Der strukturierte, klar denkende, messerscharf argumentierende Ingenieur, in den sie sich damals verliebt hatte?

      Gegen das Licht sah er aus wie ein Scherenschnitt. Ein alter Mann, der den Griff aus dem Rollkoffer zog.

      »Ich habe so oft geredet. Jetzt kann ich nicht mehr.« Eric wandte sich ab. Der Koffer polterte hinter ihm her.

      »Aber wo willst du denn hin?«

      »Keine Ahnung.« Er drückte die Klinke herunter. »Ich melde mich.«

      *

      Nach dem Streit mit seinem Bruder war Milan Aydin die Lust auf Gesellschaft vergangen. Eine seltsame Melancholie machte sich in ihm breit. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, mit den Frauengeschichten aufzuhören. Einen Baum zu pflanzen, ein Haus zu bauen, einen Sohn – ach nein, lieber eine Tochter – zu zeugen. Es musste ja nicht gleich an diesem Abend, in dieser Woche sein.

      Den Rest des Tages vergrub er sich in seiner Arbeit und tauchte erst wieder auf, als ihm kein guter Grund mehr einfiel, noch länger in der Klinik zu bleiben.

      »Der Chef könnte ruhig nachts ein paar Operationen ansetzen. Da hat man wenigstens seine Ruhe«, murrte er auf dem Weg nach draußen.

      Um diese Uhrzeit waren die Schiebetüren verschlossen. Milan Aydin musste auf einen kleinen Seiteneingang ausweichen. Kühle Luft schlug ihm entgegen. Er blieb einen Moment stehen. Betrachtete die nackten Bäume und Sträucher, bloßgestellt vom Licht der Straßenlaterne. Was für ein deprimierender Anblick! Milan schob an. Verließ den Lichtkegel. Der Kies knirschte unter den Rädern. Warum hatte er an diesem Morgen nicht den Wagen genommen? Manchmal verstand er sich selbst nicht. Doch nun nützte alles Hadern nichts. Wenn er die Nacht in seinem kuscheligen Bett verbringen wollte, musste er in den sauren Apfel beißen und schieben.

      »Wo Deniz jetzt wohl steckt?«, fragte er sich auf dem Heimweg. »Schade eigentlich, dass die Treffen immer dermaßen schief gehen. Dabei ist er ja eigentlich ein netter Kerl. Bisschen verzogen, wie alle Nesthäkchen.« Aber das konnte Milan ihm kaum zum Vorwurf machen. Die klare Nachtluft in Verbindung mit der körperlichen Anstrengung stimmte ihn versöhnlich. »Das nächste Mal wird alles anders«, beschloss er, als er in seine Straße einbog.

      Wenig später stand er vor seiner Wohnung. In Gedanken versunken nestelte er den Schlüssel heraus.

      Verdammt! Das hatte er total vergessen! Milan verzog das Gesicht. Eine Räucherkammer war harmlos gegen den Gestank, der ihm aus seiner Wohnung entgegenkam. Da gab es nur eins. Er hielt die Luft an und fuhr los. Öffnete jedes einzelne Fenster. Das Internet bot weitere Hilfe an. In Essigwasser getauchte Handtücher sollten den Geruch aufnehmen. Kaffeepulver ihn neutralisieren. Doch wie lange dauerte es, bis all diese Maßnahmen Früchte trugen? Milan saß im Rollstuhl im Wohnzimmer und sah sich um. Er entdeckte die Flasche Wein auf dem Tisch. Ein trockener Sangiovese.

      »Seit wann trinkt Deniz Alkohol?« Er drehte die Flasche hin und her. »Ich könnte mich betrinken. Vielleicht kann ich dann schlafen. Aber allein?« Der Gedanke war wenig verlockend. Noch dazu in diesen verrauchten Zimmern. Kurz entschlossen zückte Milan sein Handy. Wählte die Nummer von Laura. Es klingelte gefühlte hundert Mal, bis sich endlich eine verschlafene Stimme meldete.

      »Süße, ich bin’s, dein Schnäuzelchen!« Wie hatte er diesen Kosenamen gehasst! Doch der Zweck heiligte bekanntlich die Mittel. »Sag bloß, du hast schon geschlafen?«

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