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glaube, ich muss etwas klarstellen.« Warum war ihre Stimme plötzlich heiser? »Es ist so …«

      Ein Zeigefinger legte sich auf ihre Lippen. Hinderte sie am Weitersprechen.

      »Schon gut. Ich weiß, was du sagen willst. Du bist verheiratet und willst deinen Mann nicht hintergehen.« Deniz seufzte theatralisch. »Dabei dachte ich, dass du anders bist als die meisten anderen. Ein Freigeist. Unkonventionell. Über den Dingen stehend.«

      Jedes seiner Worte traf Elena bis ins Mark. Einen kleinen, heißen Moment wünschte sie sich, Deniz’ Vorstellungen zu entsprechen. Doch der Augenblick verging. Der Freigeist saß wieder im Käfig.

      »Tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe. Aber lieber dich als meinen Mann.« Ein bisschen Rache musste sein. Ganz so spießig, wie er dachte, war sie nun auch wieder nicht.

      Deniz lachte rau. Ihr Pfeil hatte sein Ziel nicht verfehlt.

      »Wenn dir das hilft, die verpasste Chance zu verwinden …« Ein letztes Streicheln über die Wange.

      Dann war Deniz verschwunden. Sinnend stand Elena da. Nur der süßliche Geruch im Zimmer erinnerte daran, dass er nicht nur eine Fata Morgana gewesen war.

      *

      »Hör auf, die beleidigte Leberwurst zu spielen und geh ran, Becky!«, schimpfte Moritz, während er das Mobiltelefon ans Ohr drückte. »Warum nimmst du das verdammte Gespräch nicht an?« Vergeblich. Das Handy gehorchte ihm nicht. Tutete weiter unbeeindruckt vor sich hin. »Das kann doch nicht wahr sein«, stöhnte Moritz auf. Die Werte auf dem Display des Monitors wechselten schneller als der Aktienkurs. Mit jedem Atemzug fiel ihm das Luftholen schwerer. »Warum sind Frauen nur so stur?«, keuchte er mit letzter Kraft. Dann sagte er nichts mehr.

      Der Monitor schlug Alarm. Schwester Regine war schon auf dem Weg zu ihrem Patienten, als ihr Dr. Norden zuvorkam. Der Klinikchef war gerade in der Nähe gewesen.

      »Ich übernehme das hier«, rief er der Schwester zu und stürmte Moritz’ Zimmer.

      Beim Anblick seines Patienten atmete er auf. Moritz war bei Bewusstsein.

      »Was ist denn schon wieder mit Ihrem Herzen los?« Dr. Daniel Nordens Stirn war ein einziges Faltenmeer. Er drückte ein paar Knöpfe. Der Alarm verstummte. Sein Blick hing an den Kurven auf dem Überwachungsmonitor. Die Werte gefielen ihm ganz und gar nicht. »In 99 Prozent der Broken-Heart-Syndrom-Fälle regeneriert sich das Herz von selbst wieder. Aber wenn Sie so weitermachen, riskieren Sie ernste Komplikationen. Dann kann ich für nichts mehr garantieren.«

      Moritz lag im Bett und starrte an die Decke.

      »Ich mache das nicht mit Absicht. Das können Sie mir glauben.«

      Dr. Norden steckte die Hände in die Kitteltaschen. Er blickte auf seinen Patienten hinab.

      »Ihr Bein wird auch nicht schneller gesund, wenn Sie sich aufregen. Ganz im Gegenteil.«

      »Ach, hören Sie schon auf mit meinem Bein!«, winkte Moritz ab. »Um das mache ich mir die allerwenigsten Sorgen.«

      »Das hat aber vor ein paar Stunden noch ganz anders geklungen.«

      »Wenn ich sonst keine Probleme hätte außer meinem Bein, dann wäre mein Herz gesund.«

      Daniel musste nicht lange überlegen.

      »Es geht um die Frau Ihres Lebens, die heute Ihren besten Freund geheiratet hat«, sagte er Moritz auf den Kopf zu.

      »Die beiden haben nicht geheiratet.«

      »Nicht? Aber dann verstehe ich nicht …«

      »Es liegt an mir! Ich habe alles verdorben!«, brach es plötzlich aus Moritz heraus.

      Wieder schlug der Überwachungsmonitor Alarm. Blitzschnell beugte sich Daniel zu seinem Patienten hinab.

      »Bitte beruhigen Sie sich, Herr Loibl«, sprach er eindringlich auf ihn ein. »Sonst muss ich Sie in ein künstliches Koma versetzen. Und das ist nicht gerade das, was Ihr Bein im Augenblick braucht.«

      Moritz tat dem Klinikchef und sich selbst den Gefallen und atmete ein und aus. Immer wieder. Ganz genau so, wie er es von Dr. Norden tags zuvor gelernt hatte. Nach und nach beruhigte sich die Kurve auf dem Bildschirm.

      Daniel atmete heimlich auf. Er griff nach dem Tuch auf dem Nachttisch und trocknete Moritz’ Stirn. Um seine eigene würde er sich später kümmern.

      »Was ist los mit Ihnen?« Seine Stimme war sanft. »Wollen Sie mir nicht Ihr Herz ausschütten? Auch das kann helfen …«

      »Rebecca hat Schmerzen«, krächzte Moritz endlich. »Schon die ganze Zeit. Aber das hat sie mir erst heute gesagt. Und was mache ich? Höre ihr nicht zu. Jetzt meldet sie sich nicht mehr bei mir. Und erreichen kann ich sie auch nicht. Sie geht nicht an ihr Telefon.« Moritz hielt inne. Wenn er nicht wollte, dass die Kurve wieder Achterbahn fuhr, musste er sich auf seine Atmung konzentrieren. »Verstehen Sie, dass ich mich aufrege?«

      Dr. Norden verstand.

      »Natürlich. Welcher Mann täte das nicht.« Daniel wusste: Wenn er Moritz helfen wollte, musste er Rebecca finden. Aber wo sollte er mit der Suche beginnen? »Wenn Sie mir die Adresse Ihrer Freundin geben, schicke ich jemanden dorthin.«

      Moritz’ Augen leuchteten auf. Das war die rettende Idee! Mit fliegenden Fingern notierte er die Anschrift auf ein Stück Papier.

      »Sie sind ein Schatz. Wenn ich könnte, würde ich Sie jetzt küssen.«

      »Ein Glück, dass Sie heute schon genug herum geturnt sind.« Dr. Norden zwinkerte seinem Patienten zu und verabschiedete sich mit dem Versprechen, so schnell wie möglich Bericht zu erstatten.

      Mit leisem Klicken fiel die Tür hinter ihm ins Schloss, als Daniel sich auch schon fragte, was er da wieder getan hatte. Seine Miene sprach Bände, als er an den Tresen trat.

      »Warum gebe ich einem Patienten das Versprechen, seine Freundin zu suchen?«, fragte er Schwester Regina, die am Computer saß und Patientendaten eintippte.

      Sie hob den Kopf.

      »Vielleicht, weil Sie ihm helfen wollen.«

      »Stimmt auffallend.« Er faltete Moritz’ Zettel auseinander. »Wann haben Sie Feierabend?«

      »Ich habe heute die Spätschicht. Aber ich könnte meinen Freund fragen. Er hat frei. Wenn es nicht zu weit weg ist …«

      Dr. Norden schob Regine das Stück Papier hinüber. Sie griff danach. Entzifferte den Namen, der dort in krakeliger Handschrift geschrieben stand. Sie lächelte und gab dem Klinikchef das Papier zurück.

      Er stutzte.

      »Was ist? Haben Sie es sich anders überlegt?«

      Das Lächeln auf Schwester Regines Gesicht wurde strahlender.

      »Ich weiß, wo Rebecca ist.« Sie deutete auf die Akten neben sich. »Dr. Gröding hat sie heute Nachmittag operiert. Probieren Sie Ihr Glück mal im Wachraum der Gynäkologie.«

      *

      So hatte sich Deniz seine Abreise aus München nicht vorgestellt. Elenas Worte, ihr Korb hatten einen schalen Nachgeschmack hinterlassen und ihn nachdenklich gestimmt. Es kam nicht oft vor, dass er sich einsam fühlte. Das lag auch daran, dass er selten allein war. An jeder Ecke fanden sich Gesprächspartner. Neue Bekanntschaften zu machen, Freundschaften zu knüpften gehörte zu seinen leichtesten Übungen. Doch an diesem Abend stand ihm nicht der Sinn nach Konversation.

      Mutterseelenallein wanderte Deniz durch die beleuchtete Landeshauptstadt Richtung Bahnhof. Es war noch früh am Abend. Trotzdem lag die Dunkelheit wie ein blaugraues Tuch über der Stadt. Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich auf dem feuchten Asphalt, Überbleibsel eines halbherzigen Wintereinbruchs. Deniz sprang über eine Pfütze. Im nächsten Moment landete ein Paar Regenbogengummistiefel neben ihm. Kinderlachen klingelte in seinem Ohr. Schnell hastete er weiter. Doch an diesem Abend schien es kein Entrinnen zu geben. Wohin er auch sah, stolperte

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