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ab. Petra wollte etwas sagen, kam aber nicht dazu.

      „Entschuldige!“ stieß er hervor und ließ sie los, „ich muß fort. Gute Nacht –“ und weg war er. Petra stand da, mit hängenden Armen, völlig durcheinander.

      Marcell. Marcellus Marcus – nie hätte sie vermutet, daß es so in ihm aussehen könnte. So verzweifelt, so verstört. Sie hatte immer in dem Glauben gelebt, er wäre mit sich und seinem Vorwärtskommen zufrieden, ja, sogar ein wenig eingebildet darauf, was man gut hätte verstehen können. Aber er litt–und klammerte sich an sie, die doch gar nichts vorstellte, gar nichts geleistet hatte bisher ...

      Sie ging ins Haus zurück, merkwürdig schwindlig und benommen. Im Flur traf sie Frieder, er schien auf sie gewartet zu haben. Er sah sie verstohlen an.

      „Weckst du mich morgen früh? Um sieben?“ fragte er. Es klang gleichmütig, und sie nickte ihm zu.

      „Klar. Schlaf schön ...“

      Sie selbst konnte nicht einschlafen, obwohl es später war als sonst. Ihre Gedanken liefen und liefen. Es war die erste Nacht in Petras Leben, in der sie keine Minute schlief.–

      Pytt rannte die Treppe hinunter, daß ihre Absätze ein richtiges Trommelfeuer machten. Immer war sie eilig, heute aber anscheinend noch eiliger. An der Kehre faßte sie den blankgewetzten Pfosten und schwang sich daran herum, wie sie es als Kinder immer taten, sie und ihre Geschwister. Danach konnte man auf dem nächsten Absatz fünf Stufen auf einmal hinunterspringen – wenn man konnte. Fünf waren der Rekord, auf mehr hatte es noch keiner gebracht. Pytt hatte nicht den Ehrgeiz, ihn zu überbieten, aber sie wollte auch nicht darunterbleiben. So gab sie sich den nötigen Schwung und landete zu ihrem Erstaunen an der Brust eines gerade diesen Treppenabsatz heraufkommenden jungen Mannes.

      „Nanu?“ fragte der, hatte aber nichts dagegen.

      „Entschuldigung!“ japste Pytt kleinlaut und suchte wieder Halt auf den eigenen Beinen, die ihr ein wenig abhanden gekommen waren. Dann sah sie mit einem Entschluß in das Gesicht des Überfallenen.

      „Wer – wohin wollten Sie eigentlich?“ fragte sie.

      „Zu Ihnen. Ich nehme an, Sie sind Fräulein König. Mein Name ist Schüpferling.“

      „Und was wollten Sie von mir?“

      „Ich habe gehört, daß es hier Zimmer zu vermieten gibt, und –“

      „Ach so. Ja. Meine Schwester. – Petra!“ schmetterte Pytt in Richtung Küche und wandte sich dann dem Besucher wieder zu. „Ich bin nur der Anhang. Sozusagen. Petra entscheidet. Dort ist sie übrigens. Wiederseh’n.“

      Weg war sie. Roland Schüpferling ging auf die andere Königsschwester zu.

      Die Verhandlungen dauerten nicht lange. Petra mußte absagen. Das Haus war voll, auch für den Sommer. Sie hatte den Besuch in die Küche gebeten und sich ihm gegenüber gesetzt, nachdem sie Kaffee vor ihn hingestellt hatte. Etwas Kuchen war vom Sonntag auch noch da. Sie sagte das, legte ihn dazu und nahm sich selbst auch eine Tasse.

      Auf diese Weise ging die Absage nicht so schnell vonstatten, wie man – wie auch Pytt – hätte annehmen können. Petra unterhielt sich ein Weilchen mit dem jungen Wohnungssuchenden, der einen sehr ordentlichen und erfreulichen Eindruck machte, da kam Pytt herein, wieder mit einem Elan, wie er nur ihr eigen war.

      „Petra, – ich – ach so. Entschuldigung, sind Sie noch da?“

      „Ja. Obwohl ich hier nichts mehr zu suchen habe. Jedenfalls nichts zu finden, wie ich hörte“, sagte der Besucher und lächelte trübe. „Ich möchte schon jetzt ein Zimmer, nicht erst für das Sommersemester. Ich will im Herbst Examen machen und habe noch viel zu arbeiten.“

      „Hm. Hast du auch einen Kaffee für mich?“ fragte Pytt mit einem Entschluß. Sie ärgerte sich über sich selbst. Erst sauste sie dem Unbekannten auf der Trappe direkt in die Arme, und jetzt kam sie hier hereingeschossen, als wäre sie ungefähr zwölf Jahre und wollte der Mutter schnell etwas ungeheuer Wichtiges erzählen. Nein, jetzt zeigte sie sich einmal von der gesetzten und vernünftigen Seite.

      Petra goß ihr ein.

      Der junge Mann war betrübt, ein Nein zu bekommen, sonst aber von einer ruhigen Freundlichkeit. Pytt hörte ein Weilchen zu, wie Petra und er sich unterhielten, sagte nicht viel, trank ihren Kaffee. Als der Besucher aufstand und sich verabschieden wollte, sah sie ihn richtig an. Er hatte dunkle Augen, so dunkel, daß man die Iris nicht von der Pupille unterscheiden konnte. Sie hatte das noch nie irgendwo gesehen. Die Augen lagen tief und blickten ein wenig verschattet.

      „Ja, das ist nun schade. Ich hätte mich hier sehr schnell zu Hause fühlen können“, sagte er. „Wissen Sie, Buden kriegt man schon, wenn man lange genug sucht. Aber so wie hier –“ er machte eine vage Bewegung, die die gemütliche, von Petra nach eigenem Geschmack eingerichtete Küche umriß. Da stand vor der Eckbank ein klobiger Tisch, mit Mühe aufgetrieben, aber so herrlich bodenständig in seiner Unerschütterlichkeit. Mitten drauf lag diagonal eine rotkarierte kleine Decke, ringsum war er hell gescheuert, und die Tassen und Teller, die auf dem Bord hinter der Bank standen, waren sämtlich aus buntem Ton. Auf dem Fensterbrett drängten sich Petras Topfblumen, eine Hyazinthe blühte schon und mischte ihren süßen Duft in den bitteren des Kaffees. Und Petra achtete darauf, daß an der Seite des Herdes, der noch, neben dem elektrischen stehend, richtig geheizt wurde, immer ein paar Scheite Holz lagen und ihren heißen Harzduft ausströmten. Ja, die Küche war zum Sich-daheim-fühlen, wahrhaftig!

      „Und so etwas findet man nirgends“, schloß der sich Verabschiedende bedauernd. „Entweder man lebt ganz unpersönlich in einem jener Häuser, die von oben bis unten von Studenten bewohnt werden, oder man ist abhängig von der Leicht- oder Schwerhörigkeit einer aufdringlichen Wirtin. Ich habe da Dinge erlebt ...“ er lächelte ein wenig, es war ein gleichzeitig amüsiertes wie bedauerndes Lächeln, das Pytt sehr gut gefiel. Mit einem plötzlichen Entschluß – so war Pytt nun einmal – winkte sie mit der erhobenen Hand der seinen ab, die sich ihr zum Abschied hinstreckte.

      „Moment – Petra, hör zu. Ich bin ja doch kaum zu Hause, jedenfalls tagsüber. Wie wäre es, nimmst du mich bis zum Herbst auf deine Couch? Schnarchen tu ich nicht. Dann könnte Herr – wie war der Name? Schüpferling? – mein Zimmer haben.“

      Petra war überrascht. Sie setzten sich wieder. Pytt verfocht ihren Entschluß zielbewußt und mit fröhlicher Bestimmtheit. Petra wunderte sich, sprach aber nicht dagegen. Pytt siegte also. Als Herr Schüpferling nach einer halben Stunde das Haus verließ, verließ er es, um wiederzukommen.

      „Das Geld für dein Zimmer bekommst du nun aber“, bestimmte Petra, als er hinaus war.

      Pytt lachte sie an.

      „Halb! Denn nun fall’ich dir ja zur Last, wenigstens nachts. Werde mich aber bemühen –“ sie sprang davon. Petra setzte die Kaffeetassen zusammen und ging auch.

      Sie hatte keine Zeit, weiter über diesen Fall nachzudenken. Wenn Pytt ihr Zimmer hergab, gut. Daß sie deshalb bei ihr auf der Couch schlafen würde, konnte sogar sehr nett sein. Man hatte so wenig Zeit füreinander. Vielleicht gab es manchmal einen hübschen abendlichen Schwatz.

      Obwohl – Pytt war ein Brausewind. Immer im Tempo, immer beim übernächsten Schritt, und viel auf Ordnung gab sie auch nicht. Aber wenn schon, es war ja nur für ein halbes Jahr. Petra söhnte sich schon im voraus mit allen Widrigkeiten aus, die kommen würden – sie waren es ja gewöhnt, zu improvisieren, hier in diesem unruhigen, lauten und lebendigen Haushalt – und legte den einmal gefaßten Entschluß zu den Akten. Etwas anderes hakte in ihrem Gehirn – nein, in ihrem Herzen. ‚In einem jener unpersönlichen Häuser, in denen lauter Studenten wohnen ...‘

      Sie wußte Bescheid. In der Biegenstraße zum Beispiel gab es viele, sie gehörten einem Mann, der alle Winkel ausgebaut hatte, und der sich nun nur noch für die Mieteinnahme interessierte. Auf dem Dachboden waren da Buden, ohne einen Ofen und ohne eine Möglichkeit, einen zu stellen, wo die Wände dünn waren wie Papier und man jedes noch so leise geflüsterte Wort von nebenan hörte, die Fenster waren von einer

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