ТОП просматриваемых книг сайта:
"Krieg, Seuchen und kein Stück Brot". Ernst Gusenbauer
Читать онлайн.Название "Krieg, Seuchen und kein Stück Brot"
Год выпуска 0
isbn 9783706561143
Автор произведения Ernst Gusenbauer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Die Gewichtung der geographischen Standorte variiert je nach Themenschwerpunkt. Dies erforderte der jeweils verfügbare, mehr oder weniger ausführliche Quellenbestand. Daraus ergab sich zwangsläufig die Notwendigkeit, die Einbeziehung bestimmter Lagerstandorte in erster Linie von einer ausreichenden Quellenlage abhängig zu machen.
In der vorliegenden Studie geht es keineswegs um eine „Erzählung“ des Lagerlebens und seiner Eigentümlichkeiten. Diesen narrativen Weg haben vorrangig jene Publikationen beschritten, die seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in Österreich dazu erschienen sind.3
Vielmehr stehen jene Aspekte im Zentrum, die den Alltag in den Lagern und der sie umgebenden Zivilbevölkerung entscheidend zu prägen und verändern vermochten. Der Perspektivenwechsel zwischen der Innensicht, hier aus dem Blickwinkel der Kriegsgefangenenlager und ihrer Akteure, sowie der Außensicht, den Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, gilt hierbei als entscheidende Komponente. Somit kann mit einiger Berechtigung durchaus von einem neuen Forschungsansatz gesprochen werden und dafür wurden fünf zentrale Begriffe, sogenannte Elementarereignisse, herangezogen: Kriegsausbruch und Lagerbau – Kulturaustausch oder besser Kulturkontakt – Seuchen – Hunger – Demobilisierung.
Überdies wurde ein übergreifender Forschungsaspekt miteinbezogen. Den Schwerpunkt bildet dabei die veröffentlichte Meinung. Aufgrund der vorhandenen Quellen umfasst sie praktisch das gesamte Spektrum der Zeitungen, die damals in Oberösterreich veröffentlicht wurden.4
Allerdings wurden in der vorliegenden Fassung vor allem die Einleitungsthemen erheblich gestrafft. Verzichtet wurde auf die im Original ausführlich dargestellten Themenbereiche der österreichischen Verwaltungsstruktur, des Systems der Kriegswirtschaft, der Haager Landkriegsordnung sowie des österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenenwesens. Jedoch werden diese an sich wichtigen Themenbereiche später so eingebaut, dass sie als begleitende Information zum allgemeinen Verständnis der jeweiligen Kapitel beitragen können.
Den Schwerpunkt bildet die facettenreiche Darstellung des Verhältnisses von Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenenlager. Dabei wird dem Seuchenjahr 1915 naturgemäß breiter Raum gewidmet. Hier werden wie in den anderen Themenbereichen aus der Fülle der Fallbeispiele des Originals nur eindrückliche herangezogen. Die Studie reklamiert keineswegs in einem Anflug von Vermessenheit große epochale Erkenntnisse beizubringen. Was sie jedoch beabsichtigt, ist, eine möglichst genaue Studie über die Auswirkungen der Errichtung von Kriegsgefangenenlagern auf oberösterreichischem Boden zu liefern. Doch wird auch der Blick auf die Nachwirkungen geschärft, welche zweifellos bis in die Anfangsjahre der Ersten Republik reichten.
Zuletzt sind noch einige methodische Anmerkungen zu Quellenkorpus und Verfahrensweisen angebracht.
Die im nachfolgenden Literaturverzeichnis angeführten Quellen stammen einerseits aus amtlichen Beständen (K. u. K. Kriegsministerium, K. K. Innenministerium, K. K. Statthalterei) bis zur kleinsten Verwaltungseinheit, der kommunalen Ebene.
Andererseits stammt der zweite Teil aus den Beständen der damals in Oberösterreich erscheinenden Tages- und Wochenzeitungen. Dabei wurde besonders Wert darauf gelegt, die verfügbare Publikation möglichst lückenlos heranzuziehen.
Nun sind die zuvor erwähnten Quellentypen in gewissem Sinne als durchaus hybrid zu bezeichnen.5 Folglich würde jeder Typus nur für sich genommen einer kritischen Bewertung und schlüssigen Interpretation keineswegs genügen. Erst die Verschränkung beider Seiten des verfügbaren Quellenkorpus ermöglicht eine aussagekräftige interpretative Erschließung.
Während der amtliche Schriftverkehr der Bevölkerung praktisch verborgen blieb, konnten in Zeitungsberichten, trotz der allgegenwärtigen Zensur, durchaus Stimmungen in der einen oder anderen Richtung erzeugt werden. Es ist dabei überraschend, wie offen zu manchen Missständen Stellung genommen wurde, die freilich in den internen Berichten der verschiedenen Behörden noch weit dramatischer klangen.
Das vorliegende Buch ist eine kompakte und an ein breites, interessiertes Publikum gerichtete Version. Es basiert auf der gleichnamigen Dissertation, die im Jahre 2012 an der FernUniversität in Hagen, Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften – Historisches Institut, eingereicht und von Prof. Wolfgang Kruse bzw. Prof. Peter Brandt mit der Beurteilung „CUM LAUDE“ angenommen wurde.
Ernst Gusenbauer – Ried, Herbst 2020
_____________________________________
1 Vgl. Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit (München 2006) 24.
2 Vgl. Moritz, Verena: Zwischen Nutzen und Bedrohung (Bonn 2005); Procacci, Giovanna: Fahnenflüchtige jenseits der Alpen. In: Oltmer, Jochen (Hg.): Kriegsgefangenschaft im 1. Weltkrieg (Paderborn/München/Wien/Zürich 2006); Überegger, Oswald (Hg.): Zwischen Nation und Region (Innsbruck 2004); siehe auch Procacci, Giovanna: Soldati e prigionieri italiani nella Grande guerra (Torino 2000); Kramer, Alan: Dynamic of Destruction. Culture and Mass Killing in the First World War (Oxford 2008).
3 Vgl. Hansak, Peter: Das Kriegsgefangenenwesen in der Steiermark während des 1. Weltkrieges (Diss. Univ. Graz 1991); Haller, Oswald: Das Internierungslager Katzenau bei Linz im 1. Weltkrieg (Dipl.-Arb. Univ. Wien 1999); Koch, Robert: Das Kriegsgefangenenlager Sigmundsherberg 1915–1918. Im Hinterhof des Krieges (Diss. Univ. Wien 1980); Rappersberger, Petra: Das Kriegsgefangenenlager in Freistadt 1914–1918 (Dipl.-Arb. Univ. Wien 1988).
4 Dies gilt vor allem für den Zeitschriftenbestand des OÖLA und der Ö.O. Landesbibliothek (Mikrofiches, Filmrollen, Druckexemplare, bereits digitalisierte Bestände).
5 Vgl. Moritz, Verena: Zwischen Nutzen und Bedrohung (Bonn 2005) 48.
Allgemeine Betrachtungen zu Krieg und Kriegsgefangenschaft
Die von dem berühmten deutschen Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz angesprochene Dreifaltigkeit des Krieges besagt, dass der Krieg ein Akt der Gewalt ist, dass der Krieg stets in einen Zweikampf zwischen zwei oder mehreren Gegnern mündet mit dem klaren Ziel, Gegner wehrlos zu machen, und dass der Krieg seiner Natur nach immer auch ein politisches Werkzeug darstellt.6
Doch noch in anderer Weise nähert sich Clausewitz dem Kriegsphänomen, indem er eine Unterscheidung zwischen wirklichem und absolutem Krieg vollzieht.
Der absolute Krieg wird um seiner selbst willen geführt und legt es dabei auf die Zermürbung der Soldaten an. Hier dominieren unbedingter Gehorsam, unerschütterlicher Mut und Selbstaufopferung sowie unbedingtes Ehrgefühl.
Allein daneben existiert der wirkliche Krieg, mit Mäßigung zwischen Zweck und Mittel, der zugleich die Kehrseite der hehren Kriegstugenden offenbart, wie Geschäftemacherei, Furcht, Flucht, Feigheit und Desertion.7
Auch