ТОП просматриваемых книг сайта:
Die unsichtbaren Fäden. Lise Gast
Читать онлайн.Название Die unsichtbaren Fäden
Год выпуска 0
isbn 9788711509159
Автор произведения Lise Gast
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Er mußte einen Trecker aus dem Dorf holen, besser: zwei. Die Trümmer des Autos mußten auseinandergezogen werden, damit man – damit man Eve . . .
Am besten wandte er sich an Hollmann. Der war vielleicht zu Hause, er trieb Grünlandwirtschaft und baute keine Rüben. Und als zweiter vielleicht der Schmied. Hollmann war zu Hause. Er sagte kein Wort, sondern setzte die Mütze auf, ging in den Hof und warf eine Kette auf den Trecker. Richard nickte ihm zu und fuhr die zweihundert Meter weiter zum Schmied. Dann wendete er seinen Wagen und wollte Hollmann nachfahren, besann sich aber und bog zur Post ein. Er mußte telefonieren. Unfall, Polizei, Krankenwagen. Krankenwagen? Wohl nicht. Hier war der andere am Platz.
Später, als er das alles erledigt hatte und wieder auf die Ausfallstraße zufuhr, begann er an nachher zu denken. Er mußte es den Kindern sagen. Keiner nahm ihm das ab. Er fürchtete sich nicht davor, aber es legte sich ihm sehr schwer auf die Seele. Drei Kinder, zwei davon jünger als seine eigenen, vaterlos, und nun hatten sie die Mutter verloren. Er wußte nicht, in welchem Verhältnis sie zur Mutter gestanden hatten, vielleicht war es nicht ungetrübt gewesen. Aber wie auch immer, in so jungen Jahren die Mutter zu verlieren gehört zum Schwersten, was es gibt.
Hollmann und der Schmied warteten schon. Ungewöhnlich schnell war auch die Polizei da. Die nächste halbe Stunde konnte Richard nichts denken. Als die verdeckte Bahre in den Unfallwagen geschoben wurde und die Türen geschlossen waren, setzte er sich an den Straßenrand und seufzte tief.
Hollmann, die Mütze wieder auf dem Kopf, beugte sich ein wenig herunter.
»Herr Pastor«, hier sprach man das Wort mit der Betonung auf der zweiten Silbe, »kann ich irgendwas tun? Ist Ihnen nicht gut?«
»Danke, Herr Hollmann, es geht schon wieder. Das ist fürchterlich.«
»Sie ist«, Hollmann warf einen Blick auf das Nummernschild des eingedrückten Wagens, »sie war nicht von hier?«
»Eine Bekannte von uns. Sie ist bei uns zu Besuch gewesen. Sie kam gerade aus dem Urlaub. Ihre Kinder sind bei uns.« Es tat gut zu sprechen. Richard hörte seine eigene Stimme, sie klang ruhig und vernünftig. Das gab ihm Halt. Denn ein paar Augenblicke lang hatte die Landschaft verdächtig vor ihm geschwankt, hatte sich zu drehen begonnen – er würde doch nicht schlapp machen? Nein, das durfte er nicht.
»Oh, da haben Herr Pastor aber was vor sich.« Hollmann stand ein wenig geneigt, als beuge ihn das Mitleid mit dem andern. »Jaja, wenn man sowas mit ansieht und dann noch die Hinterbliebenen benachrichtigen muß.«
»Sie haben das auch gemußt, Herr Hollmann, damals«, sagte Richard. Er nahm die Hand des Bauern, die ihm entgegengestreckt wurde, und ließ sich hochziehen.
»Danke, geht schon. Ja, Sie haben es auch gekonnt. Was man muß, das kann man auch.«
Der Bauer sah ihm nach, wie er zum Wagen ging. Schwankte er? Nein, er hielt sich gut, sah noch einmal zurück und winkte mit der Hand, ehe er startete. Hollmann winkte zurück.
»Jaja, unser Herr Pastor. Da geht er einen schweren Gang. Aber er ist ja ein s-tudierten Herrn, und . . .«
»Um Gottes willen, Richard!«
Bess hob beide Hände an den Mund, als sie ihren Mann sah. Sein Gesicht war eingefallen und grau, und seine Augen wirkten noch dunkler als sonst. Sie wußte sofort, daß etwas Entsetzliches passiert sein mußte.
»Was ist?«
»Du mußt jetzt sehr tapfer sein«, sagte er und legte den Arm um sie, »sehr tapfer. Ich brauch dich. Sind die Kinder wach? Noch nicht? Wollen wir sie schlafen lassen, oder was meinst du? Eve ist verunglückt. An der Kurve vor der Bahnunterführung. Ein anderer Wagen kam von hinten und überholte erst mich . . .« Er begann, den Unfall zu schildern, in sachlicher, ein wenig umständlicher Art. Auf diese Weise gelang es ihm, Bess sozusagen langsam an das furchtbare Geschehen heranzuführen. Es schien richtig zu sein.
Als er schwieg, schwieg sie zuerst auch. Nach einer kleinen Weile fragte sie vorsichtig, sehr leise: »Und sie? Ist sie . . .?«
»Ja, sie ist tot. Sie hat nichts mehr gemerkt, bestimmt nicht. Wir müssen es den Kindern sagen. Nein, nein, Bess, ich tu es.«
»Ich geh mit. Ich laß dich nicht allein. Aber nein, Richard, natürlich kann ich es.«
Bess brauchte die drei Hennings nicht einmal zu wecken, es war, als sollte es so sein. Sie waren wach und kamen auf seine Bitte ins Frühstückszimmer, wo Richard wartete. Er sprach mit ihnen ruhig und einfach.
»Aber wir – wir –«, stammelte Daniel als erster, »wir – wir –« Die beiden Worte steigerten sich im Ton, gleich würde er laut herausweinen.
Richard stand schon bei ihm und legte den Arm um seine Schulter. »Ruhig, mein Junge, ihr seid ja bei uns. Wir sind für euch da. Wenn ihr niemand habt, uns habt ihr. Ihr bleibt bei uns, alle drei, wir nehmen euch gern, Bess und ich.«
Er sagte das, ohne zu überlegen. Und er sah am Gesicht seiner Frau, daß es richtig war, daß sie das gleiche gedacht hatte. Er fühlte es wie einen Strom, der von ihm zu ihr floß und wieder zu ihm zurück, einen inbrünstig starken Strom. Er hielt den fremden Jungen im Arm und versuchte, den beiden Mädchen zuzulächeln.
»Natürlich bleibt ihr bei uns, seid ihr bei uns zu Hause«, sagte er, und seine Stimme klang wie eine Glocke, fand Bess, tief, voll, wie Bronze. »Solange ihr uns braucht, seid ihr unsere Kinder, und auch später noch, wenn ihr mögt. Wir haben uns immer noch welche gewünscht.«
»Immer!« sagte Bess sogleich. »Nun haben wir sechs . . .« Sie sah das neue Leben mit sechs Kindern vor sich wie einen Weg, der sich vor ihr öffnete, wie einen längst erträumten, plötzlich gefundenen Weg.
Und sie brachte es fertig, nicht zu weinen, so heiß es ihr auch in die Augen stieg. Sie lächelte. Richard vergaß dieses Lächeln nie.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.