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daheim erträglich zwischen uns. Du glaubst nicht, welche Schwierigkeiten Töchter oft machen, du hast keine, da ahnst du es nicht. Söhne, ja, mit denen auszukommen ist für eine Mutter viel leichter. Auf Daniel kann ich mich am meisten verlassen.«

      »Söhne können auch schwierig sein, wenn sie größer werden.« Bess dachte an Krister, der mit achtzehn, neunzehn Jahren plötzlich Nacht für Nacht wegblieb, der . . . Nein, sie sagte nichts davon.

      Eve tat ihren Einwand auch sofort ab. »Vielleicht. Aber mit Töchtern ist es zweifellos schwieriger. Wenn sie anfangen sich zu verlieben und man ahnt nicht, in wen. Du machst dir keinen Begriff. Sei froh!«

      Es klang betrüblich. Bess wollte widersprechen, ließ es dann aber sein. Eve mußte sich wohl einfach einmal aussprechen.

      »Du hast es gut. Mit dir würde ich tauschen. Dieses geräumige Haus« – du würdest dich schön bedanken, wenn du hier treppauf treppab laufen müßtest, dachte Bess – »und dieser Mann! Zu zweit sein, beschützt zu werden, ja, wer das noch hat, schätzt es nicht oder doch zu wenig. Ich bliebe am liebsten hier, weißt du das? Verzeih, Bess, wenn ich das sage. Aber es ist schwer, ohne Mann durchzukommen, die Sorgen um die Kinder allein zu tragen, jedem Vorwurf der jüngeren Generation allein gegenüberstehen zu müssen, als Witwe immer nur halb zu zählen – ja, das ist so. Als Witwe ist man abgewertet in der Gesellschaft. Man wird geradezu bestraft dafür, daß einem der Mann genommen wurde. Gerecht ist das nicht und schön auch nicht, kann ich dir sagen.« Sie schwieg.

      Bess schwieg ebenfalls. Was sollte sie auch sagen. Natürlich war es leichter zu zweit. Aber ein bißchen ärgerlich war sie doch, daß Eve dachte, sie selbst trüge alle Last der Welt und Bess habe es wie ein Königskind. Drei Söhne großzuziehen, war das gar nichts? Und Eve war sicherlich der Meinung, alle Verantwortung für die Erziehung trage Richard. Freilich, er gehörte nicht zu der Art von Vätern, die der Mutter die ganze Erziehung überlassen und nur schelten, wenn es einmal nicht geradeläuft, sondern schief. Dennoch: der Mann mußte ja auch umsorgt und vor vielem abgeschirmt und gesundheitlich überwacht werden, aber davon wußten die Frauen wiederum nichts, die keinen mehr hatten, obwohl sie sich eigentlich erinnern müßten. Daß man ihm vieles nicht sagen konnte, weil man ihn nicht aufregen oder verstören wollte, daß man ausglich und zum Guten wendete und damit oft den Kindern gegenüber falsch handelte oder sich entscheiden mußte: Hier Mann, hier Kinder . . . Trotzdem!

      »Hauptsache, ihr hattet es schön, das ist doch unverlierbar«, sagte Bess sozusagen als Resümee. »Und heute nachmittag singen wir, nachmittags und abends. Ich habe viele Liederbücher herausgesucht und zurechtgelegt. Ich freu mich, daß ihr euch Zeit mitgebracht habt.«

      »Ja, ich freu mich auch. Ich möchte aber erst noch einmal in die Stadt, einiges besorgen, ehe die Kinder aufwachen«, sagte Eve. »Deshalb bin ich so zeitig aufgestanden. Vielleicht fährst du mit?« Es klang sehr herzlich.

      Bess bedauerte, nein sagen zu müssen. »Heute nicht, Eve, schade. Aber könntest du mir ein paar Kleinigkeiten besorgen? Damit tätst du mir einen großen Gefallen. Soll ich es dir aufschreiben?«

      »Ja, bitte. Aber schreib groß, damit ich die Brille nicht brauche.« Eve zog die Mundwinkel herab. »Jetzt ist man ja schon in dem Alter, in dem man bei allem, was man lesen will, nach der Brille greift. Freilich . . .«

      »Du könntest bald Großmutter sein«, sagte Bess. Es klang belustigt und gleichzeitig ein wenig neidvoll.

      »Mädchen beeilen sich mehr als Jungen. In Christianes Alter haben manche Töchter längst mit der nächsten Generation angefangen.«

      »Wahrhaftig. Ist das nun ein Vor- oder ein Nachteil?« fragte Eve lachend.

      Bess erinnerte sich später, daß sie eigentlich nie so nett und jungmädchenhaft gelacht hatte wie in diesem Augenblick. Der Urlaub hatte sie erfrischt. Das Haar, ein wenig verwildert, sträubte sich um das gebräunte Gesicht, jung sah sie aus, absolut nicht nach Großmutter. Bess hatte nur sekundenlang aufgesehen und schrieb dann weiter. Als sie den Blick erneut hob, stand Eve am Fenster.

      »Es wird ein schöner Tag. Heute möchte ich nochmal richtig im Urlaub sein, faul und glücklich. Nur noch die Besorgungen. Ich bin bald zurück.«

      Sie nahm Bess um den Hals und küßte sie, rasch, ein wenig verlegen. Das hatte sie noch nie getan. Dann ging sie schnell hinaus.

      Bess sah ihr nach, wie sie ins Auto stieg und anfuhr, erst ein Stückchen rückwärts, nach rechts ausscherend, dann vorwärts. Sie fuhr den Gartenzaun entlang und bog auf den Weg ins Dorf ein. Bess trat vom Fenster zurück an den Tisch. Da lag der Zettel mit den Notizen.

      Sie überlegte, nahm das Papier und lief damit in den Flur. Gerade kam Richard die Treppe herunter, schon im Mantel.

      »Fährst du etwa in die Stadt, Löwe? Jetzt gleich? Eve ist eben fort und hat meinen Besorgungszettel vergessen. Wenn du sowieso hinein mußt . . .«

      »Ich muß, ganz rasch.« Er nahm ihr das Papier aus der Hand und steckte es ein. »Du bist nicht böse, wenn ich nicht frühstücke, nein? Vielleicht treffe ich sie. In unserer City ist das ja nicht schwierig. Jedenfalls sehe ich mich nach ihr um.«

      »Vielleicht erreichst du sie sogar schon unterwegs, sie ist ja gerade erst weg. Es kann ja auch sein, daß sie es merkt und umkehrt.«

      »Ich denke, man soll nicht umkehren? Unter gar keinen Umständen?« fragte er und gab ihr im Vorbeigehen einen Kuß auf die Nasenspitze. Er neckte sie manchmal damit.

      »Soll man auch nicht. Aber sie ist vielleicht gescheiter als deine Frau – und nicht so abergläubisch.«

      Als sie aus der Haustür trat, saß er schon im Wagen, winkte und schaltete. Bess winkte auch. Dann lief sie ins Haus zurück. Ihr war es recht, wenn sie jetzt allein war; da konnte sie die Zeit gut nützen, um nachher für den Besuch welche zu haben.

      Richard fuhr durchs Dorf, während er über die Reihenfolge seiner Besorgungen nachdachte. Wenn man zeitig in die Stadt kam, konnte man noch einen günstigen Parkplatz bekommen, von dem aus sich eins nach dem andern erledigen ließ. Erst Amtsgericht – hoffentlich hatte das schon auf. Und dann . . .

      Dort fuhr Eve. Er erkannte ihren Wagen und war froh, sie noch vor der Stadt erreichen zu können. Da brauchte er nicht nach ihr zu suchen. Hier auf der geraden Strecke fuhr er sonst schneller, jetzt aber blieb er im Abstand von etwa fünfzig Meter hinter ihr. Wie gut! Eben überholte ihn im kleinen Sportflitzer einer jener rasenden jungen Rolande, die jede auch nur einigermaßen kurvenlose Strecke als Rennbahn benützen. Hui, war er vorüber und blieb gleich auf der linken Fahrbahn, um an Eves Wagen vorbeizukommen. Die schien ihn nicht zu bemerken, jedenfalls fuhr sie nach links, um die nächste Kurve etwas zu schneiden. Da aber mußte sie doch in den Rückspiegel gesehen haben . . .

      Richard fühlte, wie sich alles in ihm zusammenzog. Er starrte vorwärts, während er automatisch das Gas wegnahm, sah Eves Wagen unmittelbar vor dem kleinen silbernen Sportwagen, der noch mehr nach links ging, um nicht aufzufahren, da zog Eve im letzten Moment nach rechts. Sie mußte sehr erschrocken sein, denn sie verriß das Steuer und kam ins Schleudern. So geschah das Unglück.

      Richard war sofort an der Unfallstelle, allein. Der andere hatte nicht gehalten, doch das fiel Richard erst später auf. Jetzt war es nur Eve, an die er denken konnte. Er sah sofort, daß hier jede Hilfe zu spät kam. Der Wagen hatte einen Heckmotor, so daß vor dem Fahrer unter der Kühlerhaube nichts als Luft war, es sei denn ein Reservetank. Wie oft wird das bei Heckmotor Wagen beanstandet! Der Baum, auf den der Wagen frontal geprallt war, hatte die Achse zusammengebogen und war durch die Windschutzscheibe direkt in den Führersitz hineingeschlagen. Eve mußte auf der Stelle tot gewesen sein.

      Das war der einzige Trost überhaupt. Wenn sie noch etwas gespürt hätte – entsetzlich. Es war unmöglich, den Körper herauszuziehen. Richard sah das und versuchte es trotzdem. Dabei flüsterte er unentwegt: »Nein, nein, nein!« Schließlich ließ er es sein, wischte sich das Gesicht und sah sich um. Allein. Ganz allein. Er dachte an jenen Augenblick im Krieg, an dem er auch so gestanden hatte, völlig allein und ausgeliefert . . .

      Letzten Endes ist jeder allein. Aber es ist grausam,

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