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Die unsichtbaren Fäden. Lise Gast
Читать онлайн.Название Die unsichtbaren Fäden
Год выпуска 0
isbn 9788711509159
Автор произведения Lise Gast
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Du zum Doktor gehen, Doktor wieder gesund machen«, sagte sie in der ungeschickten Art, in die man so leicht verfällt, wenn man mit Ausländern spricht.
»Geschrien hast du, als wäre die arme Frau taub«, sagte Richard später, als sie davon erzählte. Er war im Nebenzimmer gewesen.
Bess schämte sich ein wenig. »Aber . . .«
»Aber daß sie kam, war ein Erfolg!« Er lächelte.
»Hättest du die Frauen damals nicht eingeladen, dann wäre das nicht geschehen. Übrigens, wie ist es mit dem diesjährigen Bazar? Ich will ihn früher ansetzen als im letzten Jahr, damit ich mit meinen Terminen zurechtkomme. Kann ich wieder mit deiner Hilfe rechnen, oder hast du zuviel zu tun?«
»Natürlich helfe ich! Bis dahin habe ich alles Obst im Garten verkraftet«, sagte Bess, beglückt durch sein Lob. Der Spielnachmittag mit den Ausländerinnen war ihre Idee gewesen. Sie rieb die Nase an seinem Ärmel. »Ich mach wieder Pferdchen, die werden so gern gekauft.«
Handgroße Pferdchen aus Leder herzustellen gehörte zu ihren liebsten Basteleien. Sie verstand sie so zu nähen, daß jedes anders, jedes in seiner Art reizend wurde. »Eigentlich zu schade zum Verkauf«, sagte sie manchmal und legte die Wange an das weiche Leder des soeben fertig gewordenen Tierchens. »Na, wer es kauft, der freut sich.«
Beim Bazar im Gemeindehaus hoffte sie, einige der Gastarbeiterfrauen wiederzusehen. Ihr lagen sie sehr am Herzen, vor allem aber deren Kinder. Die Erwachsenen würden sich immer zurücksehnen, sie würden nie richtig heimisch werden in diesem Land, in das sie zogen, weil ihre Männer hier auf Arbeit hofften. »Fern im Süd das schöne Spanien – Spanien ist mein Heimatland.« Ein kitschiges Lied, zugegeben, aber doch eins, das diese Sehnsucht veranschaulichte. Die Kinder jedoch, die hier zur Schule gingen, sich mit deutschen Kindern schlugen und vertrugen, deren Herzen sollten nicht mitten durchgerissen sein zwischen zwei Heimatländern, von denen keins das ganz richtige war. Bess hatte sich von Anfang an dafür eingesetzt, daß sie hier ein Zuhause finden sollten. Nach dem Bazar plante sie in jeder Woche eine Müttersprechstunde einzurichten, und im Januar oder Februar wollte sie mit ihnen eine Schneewanderung machen, allein mit all diesen Kindern, ohne Mütter, die so auch einmal einen freien Tag haben sollten.
Am liebsten wäre sie jetzt schon mit ihnen losgelaufen. Es war ein bezaubernder Spätsommer in diesem Jahr, klar, zart, durchsichtig. In der Frühe dachte Bess immer wieder an das Engelein mit den rosigen Füßen und fand, daß man dieses Gedicht auch singen können müsse. Vielleicht war es schon vertont, und sie wußte es nur nicht? Zu schade, daß man so wenig zur Musik kam! Sie erinnerte sich gern an den Nachmittag, als sie mit Hennings zusammen gesungen hatte. Singen macht froh, und gemeinsam singen erst recht, es verbindet auf eine geheimnisvolle Weise.
Der griechische Besuch hatte noch ein Nachspiel, von dem Bess aus einer gewissen Scheu heraus Richard nichts erzählte. Sie hatte Frau Zapkeni kurz entschlossen in den Wagen gepackt und zum Kinderarzt gefahren, womöglich ging die Griechin sonst nicht hin. Zudem gab es in der Kreisstadt eigentlich immer etwas zu besorgen. Bess tat das in jener Hochstimmung, in der Dorfbewohner die »Stadt« genießen, sah Schaufenster an und kaufte Mitbringsel. Danach lenkte sie den pastörlichen Wagen heimwärts, den sie wieder einmal ungefragt genommen hatte, und hielt an, als ein Mann am Straßenrand winkte. Richard hatte sie oft gewarnt, jemanden mitzunehmen, brachte es aber selbst nicht fertig, an einem armen Tramper vorbeizufahren. Außerdem war die Straße hier belebt, und innerhalb von zehn Kilometern würde schon kein Raubmord an ihr verübt werden, dachte Bess, als sie sich ihren Mitfahrer näher besah. Er war – Gesetz der Serie – offensichtlich ein Gastarbeiter, Italiener, wie sich alsbald herausstellte. Etwas Deutsch verstand er, und das nützte er sogleich, um Bess nach drei Minuten Fahrzeit zu fragen, ob er sie küssen dürfe. Bess verneinte entrüstet. So weit, meinte sie, gehe die Verbrüderung denn doch nicht.
»Na, man wird ja wohl mal fragen dürfen«, antwortete er friedlich und überraschend flüssig. Da mußte sie wieder lachen.
Und dann kam Eves Anruf: Sie seien auf der Rückfahrt, ob sie tatsächlich kommen sollten? Bess sagte vergnügt und sehr dringlich zu. Dann lief sie hinauf in Richards Reich, klopfte an der »Wartburg«, seinem Zimmerchen unterm Dach, und steckte den Kopf durch den Türspalt. »Sie kommen, sie kommen doch! Du hast richtig geweissagt – oder heißt das: weisgesagt? Egal, sie kommen. Freust du dich?«
»Hennings? Eve?« fragte Richard.
»Ja, sag ich doch. Ist doch meine Rede Tag und Nacht . . .« Tür zu und wieder hinunter. Hier in seinem Studierzimmer durfte sie ihn eigentlich nicht stören, und wenn, dann nur ganz kurz. Mit manchem aber mußte sie zu ihm, sofort, mit sehr guten und – natürlich – auch sehr schlimmen Nachrichten.
Hennings kamen spät in der Nacht, sie waren braun gebrannt und schienen von ihrem Urlaub höchst befriedigt zu sein. Eve saß noch eine Weile mit Richard und Bess wach, die Kinder trollten sich eher.
»Wir bleiben ja noch einen Abend! Ihr habt uns versprochen, daß wir bleiben dürfen«, sagte Eve, als sie sie schlafen geschickt hatte.
»Eine tolle Unternehmung«, sagte Richard bewundernd, als er hörte, wo überall sie gewesen waren. »Und du bist alles selbst gefahren? In Italien, wo Stoppschilder überbraust und Kurven geschnitten werden, daß es nur so raucht?«
»Nicht alles«, gestand Eve. »Christiane hat mich oft abgelöst, aber eine Strapaze war’s schon manchmal. Immerhin, solch eine Familienunternehmung hat es noch nie gegeben, und wer weiß, wann es wieder einmal dazu kommt. Ich bin froh, daß ich es riskiert habe. Zu Hause wartet allerlei Mißliches auf mich, da ist es gut, wenn man vorher Sonne und Abwechslung genossen hat. Wir sind länger weggeblieben, als wir eigentlich wollten.«
Am andern Morgen war sie zeitiger auf als erwartet. Sie frühstückte mit Bess allein. Richard war noch nicht wach. Sie schwatzten. Die Sonne schien. Es war ein Morgen mit Seidenwölkchen.
»Ihr hattet es also schön? Wie ich dir das gönne!« sagte Bess herzlich.
Eve nickte ihr zu. »Ja, wirklich. Die Kinder waren nett und aufgeschlossen. Es ist doch heute so«, sie lachte ein wenig trübe, »daß die Eltern erleichtert sind, wenn die Kinder nur gute Laune haben. Als wir Kinder waren, war es genau umgekehrt. Da hatten wir uns nach der Stimmung der Altvorderen zu richten. Jetzt tanzt man Eiertänze, damit man die holde Nachkommenschaft nicht verärgert.«
»Sollte man aber nicht«, sagte Bess und wußte, daß es tatsächlich so war, mehr oder weniger ausgeprägt natürlich, aber doch fast überall. »Ich tu es auch, mitunter jedenfalls. Was meinst du, wie es mir den Tag verdirbt, wenn Martin mit seinem Brummgesicht auftaucht und sich kaum herabläßt zu antworten, wenn ich ihn was frage! Er ist das, was man einen Morgenmuffel nennt. Freilich fall ich ihm wiederum auf die Nerven, wenn ich früh gesprächig und munter bin . . .«
»Und vielleicht nicht ganz leise?« fragte Eve ein wenig hinterhältig.
Bess mußte das leicht beschämt zugeben. »Kann sein. Aber Richard stört es ja auch nicht. Doch um noch einmal darauf zurückzukommen: Da wird immer von Partnerschaft zwischen jung und alt geredet, aber da müßten sich doch beide Partner bemühen, meine ich. Früher, als die Eltern einfach verlangten, die Kinder hätten so zu sein, wie sie es sich wünschten, war es auch verkehrt. Nein, beide sollten aufeinander Rücksicht nehmen und den andern respektieren.«
»Sollten, ja.« Eve seufzte. »Aber man ist goldfroh und dankbar, wenn. Unterwegs ging es ja ganz gut, wie gesagt. Meistens wenigstens. Ich habe mich sehr bemüht und die Kinder wohl auch. Es war sehr schön – wer kann das schon sagen am letzten Urlaubstag!«
Ich glaube, ich würde es immer sagen können, dachte Bess. Wir haben es nur noch nicht ausprobiert. Immer kam was dazwischen, wenn wir einmal fortwollten, aber ich denke es mir sehr schön. Und Eve hat vielleicht ein bißchen ein negatives Talent. Wenn sie von ihren »vielen« Kindern spricht, seufzt sie. Dabei kann sie mit ihnen wahrhaftig zufrieden sein. Früher hatte Eve, meine ich, mehr Humor, aber zur Ängstlichkeit neigte sie wohl von jeher.
Zu