ТОП просматриваемых книг сайта:
Die unsichtbaren Fäden. Lise Gast
Читать онлайн.Название Die unsichtbaren Fäden
Год выпуска 0
isbn 9788711509159
Автор произведения Lise Gast
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Und nun war die Stimmung ganz und gar verdorben. Auch Richard in seiner Langmut gelang es nicht, sie wiederherzustellen. Man trennte sich mißlaunig und ohne das übliche und beliebte Täßchen Mokka nach dem Sonntagsessen in Richards Zimmer, das Bess sonst »ausnahmsweise« dort bereitete. Es war seit je koffeinfreier Kaffee, denn Richard brauchte seine Mittagsruhe, und er wußte das auch, spielte aber geduldig den Nichtsahnenden. Bess warf sich wütend auf die Couch in ihrem Zimmer, um ein bißchen zu weinen. So schön hätte der Tag werden können!
Gerade als ein tröstlicher Schlaf sie einzuhüllen begann, erschienen die angekündigten Gäste. Und, da paßte es ihr erst recht nicht. So munter und wach sie am frühen Morgen war, so ungeheuer schwer fiel es ihr, nach dem Mittagsschlaf wieder aufzustehen. Und wie sah man da aus! Als wäre man seit zwanzig Jahren im Altersheim oder schon drei Tage im Grab gewesen.
Bess brauchte all ihre christliche Nächstenliebe, um »Da seid ihr ja!« und »Herzlich willkommen!« zu rufen, und es klang trotzdem bemerkenswert lahm. Dabei konnte Eve Henning gar nichts dafür, daß alles verfahren war und verquer. Sie kam ahnungslos herein, sehr gut angezogen und sehr gut aussehend, und auch das empfand Bess als einen Wespenstich des Schicksals. Vor allem ärgerte sie Richards bewundernder Blick, als er Eve begrüßte. Er sollte nun einmal keine andere Frau gut aussehend finden und ihr Komplimente darüber machen – er machte Eve eins in der ersten Sekunde. Na, und den Töchtern!
Natürlich war es keine Kunst, mit so schönen Töchtern Eindruck zu schinden, wenn die eigenen Söhne widerborstig waren und nicht erschienen. Bess goß Kaffee auf und hätte die Kanne am liebsten an die Wand geschmettert, als unversehens Friederike hereinhuschte. Friederike, die jüngere Tochter. Nach ihr kam Daniel.
»Kann ich dir helfen, Tante . . .« Sie stockte. Dann sagte sie mit einem unbeschreiblich lieben und ein wenig verlegenen Ausdruck: »Du, darf ich Tantel zu dir sagen? Zusammengezogen aus Tant’ und Elisabeth: Tant’ El? Wir hatten früher eine Tante, die wir Tantel nannten, sie stammte aus Schlesien. Wir hatten sie furchtbar gern. Und dich – darf ich dich so nennen?« fragte sie noch einmal und wurde dunkelrot.
Damit war ein Pflaster auf Bess’ wunde Seele geklebt. »Selbstverständlich gern, Kind«, sagte sie schnell.
Friederike sah entzückend aus mit ihrer klaren siebzehnjährigen Haut und den schönen, ein wenig zu hellen blauen Augen. Zu helle Augen hatte auch Eve, fiel Bess jetzt wieder ein. Und die kann sie nicht nachschminken, dachte sie noch rasch, ehe sie kapitulierte vor dem liebevollen Blick dieser jungen Friederike. Eve war zu stark geschminkt, das war ihr sofort aufgefallen. Jetzt aber schob Bess all ihren Groll beiseite und nahm das Mädchen rasch um die Schultern.
»Ja, du kannst mir helfen. Wir dachten, ihr kämt eher. Nun hat Martin alles aufgefuttert.« Sie lachte. Tatsächlich, es ging schon wieder, das Lachen.
»Welcher ist Martin?« fragte Friederike begierig. »Der Mittlere? Mutti wußte nichts Genaues über eure Kinder, nur daß der Älteste so heißt wie Christiane – ich meine: eben passend.«
»Kristian, ja. Wir nennen ihn aber Krister.«
»Krister? Hab ich noch nie gehört. Ein wunderbarer Name!« sagte Friederike begeistert. »Und der zweite heißt Martin? Und der Jüngste . . . Es muß herrlich sein, so viele Söhne zu haben. Immer hab ich mir viele Brüder gewünscht, nicht nur einen – immer. Eine aus meiner Klasse hat sieben Geschwister. Wenn jemand sie fragt, wie viele Brüder sie habe, und sie antwortet: drei, dann sagt jeder achtungsvoll: oh! Aber sobald sie hinzusetzt: und vier Schwestern!, kommt ein bedauerndes: oh!«
Friederike setzte die beiden Ohs scharf gegeneinander ab, das erste klang hoch und freudig, das zweite tief und ausgesprochen bedauernd.
Bess mußte lachen. »Sowas Dummes! Schwestern sind doch etwas Schönes, ich hätte so gern wenigstens eine Tochter. Oder zwei. Solche wie dich . . .« Nun wurde sie auch verlegen. »Komm, mach die Kondensmilch auf, da liegt der Öffner. Wie dich und deine Schwester, solche Töchter ließe ich mir gefallen!«
Versöhnt mit der Welt trat sie ins Wohnzimmer, wo Eve mit Richard saß. Sie unterhielten sich lebhaft.
Übermäßig geschminkt ist sie ja gar nicht, versuchte Bess edelmütig zu denken, und bei großen Töchtern muß man wahrscheinlich mehr auf sich achten. Obwohl – nein, die hektische Konkurrenz zwischen den Generationen, in der die Mütter es den Töchtern unbedingt gleich- oder sogar zuvortun wollten, die hatte sie immer als unwürdig abgelehnt. Wenn man alt wird, wird man alt, dafür sind die Kinder jung. Außerdem, auch wenn die Jungen das nicht glauben wollen: Jugend ist nicht das einzige auf der Welt, was glücklich macht. Bess ahnte nicht, daß diese Überlegung rein theoretischer Art und ihr Edelmut ein bißchen billig war. Sie hatte einen Mann, der sie jung fand, der ihr jeden Tag etwas Hübsches sagte, der nie eine andere begehrenswert gefunden hatte. Da war es leicht, zufrieden zu sein.
»Ach, ihr wollt heute noch weiter?« fragte sie enttäuscht. Eve hob das Handgelenk mit der zierlichen Uhr. »Wir müßten längst weiter sein. Wir wurden aufgehalten. Aber vorbeifahren wollten wir doch nicht. Und da du so freundlich sagtest, ihr hättet gerade von uns gesprochen, setzte ich mich den Kindern gegenüber durch. Sie haben es eilig, weiterzukommen.«
»Wir hatten aber wirklich von euch gesprochen«, sagte Bess und setzte die Kaffeekanne ab. »Und wir dachten, ihr kämt wegen dem Jahrestag.«
»Welchem Jahrestag?« fragte Eve.
»Na, dem von Kristers und Christianes Taufe! Weißt du das nicht mehr? Heute vor fünfundzwanzig Jahren?«
Eve hatte offensichtlich nicht darangedacht und es am Telefon wohl auch überhört, man merkte es deutlich. Aber daß sie es nicht zugab und sofort rief: »Aber natürlich habe ich!« das, fand Bess, hätte nicht sein müssen. Lieber ehrlich sagen: »Oh, das hatte ich vergessen!« oder so etwas. Sie mußte doch sicher vielerlei im Kopf behalten. Jawohl, das kam auch im nächsten Augenblick. »Weißt du, es lastet so viel auf mir. Der Bruder meines Mannes – er war nicht der Vormund der Kinder, das bin ich, solange ich nicht wieder heirate, und ich denke nicht dran, ein zweites Mal zu heiraten – der ist vor kurzem auch gestorben. Es war vorauszusehen und für ihn sicherlich eine Erlösung. Aber er war der einzige Mensch, an den ich mich manchmal wenden konnte, wenn ich in Schwierigkeiten war. Ich meine nicht wirtschaftliche Schwierigkeiten, denn ich bekomme ja meine Pension als Beamtenwitwe; doch wenn ich Sorgen hatte mit den Kindern und der Schule oder Scherereien mit dem Hausbesitzer oder wenn ich im Umgang mit Behörden nicht weiterwußte, da stand er mir immer bei. Jetzt haben wir niemanden mehr, keinen Verwandten, keinen Freund, keinen Kollegen, der sich um uns kümmert oder uns hilft. Mein Schwager war der einzige. Es ist schon nicht einfach, wenn man Witwe ist und so eine Anzahl Kinder hat . . .«
Es klang, als wäre es ein Dutzend, fand Bess. Sie rief sich gleich zur Ordnung; natürlich hat es eine Frau in so einem Fall nicht leicht. Aber es klang so wehleidig, so süchtig nach Bedauern und Trost . . .
»Um so mehr sollte man sich da an alte Freunde halten«, sagte sie so warm wie möglich. »Wie gut, daß ihr gekommen seid!« Sie verteilte die Tassen auf dem Tisch, Friederike die Tellerchen. Der dreizehnjährige Daniel saß stumm dabei, sein schmales Gesicht war verschlossen.
Christiane war auf die Veranda hinausgegangen. Krister erschien genau in dem Augenblick, als Bess die erste Tasse Kaffee eingoß, und er sah so nett aus, groß und schlank und hell und sauber, daß ihr Herz einen kleinen Hopser machte.
»Komm, setz dich hier neben Christiane. Ihr seid über dasselbe Taufbecken gehalten worden, ihr zwei – erinnert ihr euch denn gar nicht mehr aneinander ? Da muß ich mich doch wundern.«
Krister zeigte sich von seiner besten Seite. »Natürlich, ich weiß es noch wie heute. Grüß dich, TaufSchwesterchen«, sagte er mit seinem bezauberndsten Lächeln, während er Christiane ansah, und mit einem Schlag war alles gut.
Auch Hans erschien sehr vergnügt und unbefangen und kuchenhungrig, und Bess war insgeheim froh, daß Martin nicht kam, denn Eve verbreitete sich soeben ausführlich über die bärtigen und unmanierlich gelockten