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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski
Читать онлайн.Название Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos
Год выпуска 0
isbn 9788711449103
Автор произведения Franz Maciejewski
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
8 Ägyptische Gefangene schleppen die Pest in Hatti ein, die dort mehr als zwanzig Jahre wüten sollte. Šuppiliuluma selbst und sein Sohn (und kurzzeitiger Nachfolger) Arnuwanda fallen der Seuche zum Opfer.
9 Muršili übernimmt die hethitische Regierung im Schatten der Pest; er rollt das gesamte Geschehen im Sinne eines Schuldzusammenhangs neu auf.
Die komplexe Handlungs- und Ereigniskette beginnt zu einer Zeit, wo Muršili, wie er in den Texten selber bekennt, »noch ein Kind war« (ca. 1335). Als bilanzierender Staatsmann und erster Priester der Götter steht Muršili II. an deren Ende (ca. 1313). Es ist jene historische Bruchstelle, die durch die 20-jährige Seuche markiert wird und dazu geführt hat, dass die militärischen Aktionen auf beiden Seiten für eine gewisse Zeit tatsächlich zum Erliegen kamen. Leiden und Schuld haben, wie gesehen, die hethitische Geschichtsrekonstruktion in Gang gesetzt und nicht etwa ein besonderer historischer Sinn. »Wann hat es angefangen? Womit? Wie hat es sich zur Katastrophe auswachsen können? Wer war schuld? Welcher Gott zürnt? Womit kann man ihn versöhnen?« – das sind, in den Worten von Assmann, die leitenden Fragen hinter der öffentlichen Selbstthematisierung des hethitischen Großfürsten.
Unser Interesse ist ein anderes. Durch das Fenster, das König Muršili geöffnet hat und das die Amarnazeit schlagartig als Zeit einer dramatischen außen- wie innenpolitischen Krise erscheinen lässt, blicken wir mit anderen Augen. Und folglich stellen wir andere Fragen: Wer war König Nipchururija? Welche Gestalt verbirgt sich hinter der sogenannten Dachamunzu? Welche Frau hatte die Macht, gegen alle Tradition die Heirat mit einem ausländischen Prinzen in die Wege zu leiten? Hätte die diplomatische Heirat den Fortbestand der Dynastie gefährdet? Welche Kreise verbergen sich hinter dem Komplott, dem der erwählte Prinzgemahl zum Opfer fiel? Geben ägyptischen Quellen irgendeinen Hinweis auf eine Krise der Thronfolge und einen nachfolgenden Machtkampf?
Die Beantwortung dieser Fragen, das liegt auf der Hand, ist für ein Sinnverstehen der Amarnazeit von allergrößter Wichtigkeit. Es wäre jedoch voreilig, die skizzierte hethitische Geschichtsepoche auf eine bloße Vorgeschichte zur Aufarbeitung der uns eigentlich interessierenden ägyptischen Geschichte zu reduzieren – und hier abzubrechen. Das heißt, wir dürfen in Muršili nicht allein den unbeteiligten Dritten und bloßen Zuträger eines rein innerägyptischen Rätsels sehen. Zum einen finden sich viele Züge der hethitischen Geschichtsschreibung auch in anderen Teilen der spätorientalischen Welt, in Ägypten nicht anders als in Mesopotamien, historisch später dann in Israel und schließlich Griechenland. Was in der späten Bronzezeit seinen Anfang nimmt und in den hethitischen Texten zuerst in größerem Umfang greifbar wird, ist Teil eines allgemeineren interkulturellen Sinnhorizontes. Er wird später ausdrücklich beleuchtet werden. An dieser Stelle ist zunächst etwas anderes entscheidend. Das sakralrechtliche Verfahren des Muršili ist nicht nur der erste Glanzpunkt einer allgemeinen Entwicklung, es hat darüber hinaus paradigmatische Kraft. Mit ihm tritt die Grundfigur einer schuldabtragenden Vergangenheitsbewältigung ins Relief, die uns in anderen Kulturen wiederbegegnet – nicht zuletzt in Gestalt der griechischen Ödipus-Sage. (Erscheint der vor das klagende Volk tretende thebanische König, der angesichts einer von den Göttern verhängten Pest die jüngste Vergangenheit der Stadt aufrollen lässt, nicht geradezu als ein Wiedergänger des hethitischen Königs?) Herzstück ist jedes Mal das In-Beziehung-Setzen eines aktuellen Unheils – Pest, Seuche, Hungersnot – zu einem vergangenen, aber unabgegoltenen Unrecht oder Verbrechen. Die den göttlichen Zorn erregende Untat bleibt so lange verborgen, bis die Gottheit eine zweite Not schickt, die zum Himmel schreit. Dies ist der bekannte Topos der »späten Entdeckung«. Erst die göttliche Strafaktion führt zur Besinnung, dazu, dass der Fall, über den schon das Gras wuchs, neu aufgerollt und die Tat entsühnt werden kann. In dieser nachträglich in Gang gesetzten Vergangenheitsrekonstruktion wird die aktuelle Plage zum Zeichen für einen verdeckten Frevel ganz anderer Art. Die Götter bedienen sich typischerweise einer Naturkatastrophe, das inkriminierte Faktum ist dagegen immer ein sozialer Tatbestand: die Verletzung der heiligen Ordnung, von Recht und Gerechtigkeit, ägyptisch der »Maat«. Die genaue Referenz zwischen beiden ist das Problem; sie ist alles andere als eindeutig, weil kulturell codiert. Der skrupulöse Muršili sucht die Schuld bei sich selbst (resp. seinem Vorgänger und Vater Šuppiluliuma) und findet sie im Überfall auf ägyptisches Gebiet. Für uns als Beobachter hätte es viele gute Gründe gegeben, die Ägypter zu beschuldigen: des Angriffs auf Qades, der Ermordung des Zannanza, des Einschleppens der Pest. Aber im Selbstverständnis der hethitischen Kultur ist der Vertragsbruch das Urmodell der Sünde. Andere Kulturen mit weniger ausgeprägter politischer Moral, so dürfen wir schlussfolgern, hätten bei gleichem Anlass eine andere Schuldzuweisung getroffen, das heißt, das göttliche Zeichen anders gedeutet.
Das führt zum zweiten Punkt. In der in Rede stehenden Plage, der wir die Pestgebete des Muršili verdanken, haben wir mit Sicherheit kein isoliertes Ereignis hethitischer Geschichte vor uns. Wie die Annalen berichten, haben ägyptische Gefangene die Pest in Hatti eingeschleppt. Damit kann aber gerade nicht das anatolische Kernland gemeint sein, sondern in erster Linie das umkämpfte syrisch-kanaanäische Gebiet. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich die Pest von dort auf die Nachbarländer (unter Einschluss Ägyptens) ausgebreitet und nach und nach im gesamten Vorderen Orient gewütet. Wie ist sie in diesen Ländern erinnert worden? Gibt es Quellen, die mit den hethitischen Dokumenten vergleichbar sind? Hat es Versuche gegeben, die Heimsuchung durch die Seuche in ähnlicher Weise auf schuldhaftes menschliches Verhalten zurückzuführen? Welche zürnenden Götter treten auf, welche werden um Rettung angerufen?15 Dies ist ein Fragenkatalog ganz anderer Art. Von seiner Beantwortung hängt es ab, ob wir die Zwillingsgestalt von »Schuld und Plage« für ein konstitutives Element der Überlieferungsgeschichte von Amarna in Anspruch nehmen dürfen, das sich in all seinen Sedimentschichten nachweisen lässt, oder doch eher für den Ausdruck eines besonderen Rechtsbewusstseins der hethitischen Kultur halten müssen, das durch die Laune des Zufalls in die Nähe von Amarna gerückt worden ist.
Für die Vermutung, dass die Pestepidemie die ganze vorderasiatische Welt heimgesucht hat, sprechen mindestens vier Belegstellen aus den Amarnabriefen.16 In einem an König Amenophis IV.-Echnaton gerichteten Schreiben (EA 35) entschuldigt sich der König von Alaschia (Zypern) für eine doppelte Unbill, die geringe Menge gelieferten Kupfers sowie das Ausbleiben (Ableben?) eines ägyptischen Gesandten. In beiden Fällen handele es sich nicht um die Nachlässigkeit des Hofes oder gar um eine böse Absicht, beteuert der (um die Aufrechterhaltung guter Handelsbeziehungen bemühte) Monarch; vielmehr habe der Pestgott Nergal seine Hände im Spiel.
Dass das Kupfer so wenig ist, kein Kummer komme darüber in dein Herz! Denn in meinem Land hat die Hand Nergals, meines Herrn, alle Menschen meines Landes getötet, und so ist keiner da, der Kupfer bereitete.
Mein Bruder, in dein Herz komme kein Kummer darüber, dass dein Bote drei Jahre in meinem Land geblieben ist; denn die Hand Nergals ist auf meinem Land und auf meinem Hause. Meine Frau hatte einen Sohn, der jetzt tot ist, mein Bruder.
Wahrscheinlich um dieselbe Zeit – der kanadische Ägyptologe Redford datiert EA 35 in die Nähe des fünften Regierungsjahres von Amenophis IV.-Echnaton – wütete die Seuche entlang der phönizischen Küste. Einer der lokalen Stadtfürsten, Rib-Addi von Byblos, meldet die Pest mit den Worten: »Die Leute von Simyra dürfen nicht in meine Stadt kommen; es herrscht Pest in Simyra« (EA 96). Wenig später, nach dem Fall von Simyra, tragen Flüchtlinge die Pest dennoch nach Byblos, der für Ägypten von alters her wichtigsten Handelsmetropole in der Region. Rib-Addi versucht entsprechende Nachrichten gegenüber dem ägyptischen Hof herunterzuspielen, jetzt wohl seinerseits aus Furcht vor Isolierung, einer drohenden Quarantäne von Menschen und Waren (Zedernholz aus dem Libanon und Papyrus aus Ägypten); aber seine abwiegelnden Worte klingen wenig überzeugend:
Sie versuchen Ärger zu machen, indem sie vor dem König sagen: »Der Tod ist in der Stadt«. Möge der König, mein Herr, diesen Worten keinen Glauben schenken. Es gibt keine Pest im Land.
Abgeschnitten vom Hinterland wie zuvor Simyra hat Byblos die Seuche möglicherweise über den Seeweg weitergetragen – nach Norden. Jedenfalls hören wir im Brief König Niqmaddus II. (EA 49) von der Erkrankung von Mitgliedern der