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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski
Читать онлайн.Название Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos
Год выпуска 0
isbn 9788711449103
Автор произведения Franz Maciejewski
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Abb. 8: Das »Pawah-Graffito« in hieratischer Schrift mit hieroglyphischer Transkription (links)
Dies ist der Klagepsalm eines »armen Mannes« an den abwesenden Gott, verfasst in einer Situation der Not. Pawah gehört der demoralisierten Amun-Priesterschaft an, die unter Echnaton verfolgt wurde und erst unter Semenchkare wieder in offizieller Funktion amtieren durfte. Eine Zeit also zwischen Hoffen und Bangen. Pawah spricht eine Bitte aus, enthüllt aber (noch) keinen Schuldzusammenhang. Die Sehnsucht nach Heilung ist eingekleidet in den Wunsch nach dem Anblick des lange verfemten Gottes. Ob dem ein individuelles Geschick oder ein allgemeines Leiden zugrunde liegt, lässt sich letztlich nicht entscheiden. Üblicherweise hat man die Notlage im Sinne einer wirklichen Blindheit gedeutet. Das ist jedoch nicht zwingend. Die Rede von »uns« und »sie« (in Vers 3 und 5) spricht eher für einen kollektiven Kontext. In dieser Deutung erscheint »Finsternis« als eine Metapher für die Abwesenheit resp. Verbannung des Gottes Amun. Wenn es sich so verhielte, stünde implizit die von Echnaton verschuldete Gottesferne im Zentrum der Klage.
Es ist aufschlussreich, einen Text hinzuzuziehen, dessen Autor dem Zentrum der Macht näher gestanden hat, der jedoch ganz ähnliche Bilder und Redewendungen enthält. Dies gilt etwa für die Steleninschrift eines gewissen Hui, der unter Tutanchamun das Amt eines Vizekönigs von Nubien innehatte.
Komm in Gnaden, mein Herr Tutanchamun!
Ich sehe Finsternis, die du bewirkst, Tag für Tag.
Mach mir Licht, dass ich dich sehe,
dann will ich deine Macht verkünden den Fischen im Fluss
und den Vögeln im Himmel.
Ziemlich sicher tritt Hui hier nicht als jemand in Erscheinung, der mit Blindheit geschlagen, sondern der des Anblicks seines Königs, des »lebenden Abbilds des Amun«, beraubt ist. Es ist diese Gottesferne, die wiederum als Finsternis bezeichnet wird. Licht und Finsternis sind in beiden Texten die zentralen Metaphern für die Abwesenheit von jemandem, nach dessen Anblick man sich sehnt. Aber nur im ersten Fall, dem Graffito des Pawah, blitzt etwas von einer Schuld auf, die jene Gottesferne bewirkt haben könnte. Wie ein Schattenriss erkennbar wird dieser noch schemenhaft bleibende Schuldzusammenhang erst auf einer Inschrift des Tutanchamun selbst. Die ihm zugeschriebene Restaurationsstele – wir dürfen als ghostwriter hinter dem Kindkönig den »Gottesvater« Eje vermuten – spricht zweifelsfrei von einer gesellschaftlich verschuldeten Gottesferne, deren Folgen das ganze Land getroffen haben:
Als seine Majestät [Tutanchamun] als König erschien,
da waren die Tempel der Götter und Göttinnen
von Elephantine bis zu den Sümpfen des Deltas ...
im Begriff, vergessen zu werden,
ihre Heiligtümer fingen an zu vergehen,
indem sie Schutthügel geworden waren,
mit Unkraut bewachsen,
und ihre Kultbildräume waren, als wären sie nie gewesen,
ihre Hallen ein Fußweg.
So machte das Land eine Krankheit durch,
und die Götter kehrten diesem Land den Rücken.
Wenn man Soldaten nach Syrien schickte,
die Grenzen Ägyptens zu erweitern,
so hatten sie keinerlei Erfolg.
Wenn jemand einen Gott anflehte,
etwas von ihm zu erbitten,
so kam er nicht.
In diesem Text wird die unheilvolle Gottesferne nicht mit »Finsternis« sondern mit »Krankheit« assoziiert. Nun zählt der Begriff für Krankheit, wie er hier verwendet wird, zur Topik der traditionellen Chaosbeschreibung. Die Inschrift greift an dieser Stelle auf ein literarisches Zitat zurück, das aus den »Prophezeiungen des Neferti« (einem klassischen Text der ägyptischen Literatur) stammt.20 Wird dort die Leidenszeit im Bild der Verkehrung aller sozialen Verhältnisse veranschaulicht (»Der Schwache ist jetzt stark, man grüßt den, der sonst grüßte«), so wird hier die Krise im dramatischen Bild der völligen Abkehr der Gottheiten festgehalten: »Die Götter kehrten diesem Land den Rücken.« Als zeitgenössisches Zeugnis muss die Metapher von der »schweren Krankheit« jedoch auch ein unabweisbares Realitätszeichen getragen haben. Wie wir gesehen haben, wütete in dem von den Göttern verlassenen Land die Pest. Lässt sich diese Verbindung, die zunächst nur als sekundäre Ableitung aus den hethitischen Texten plausibel ist, durch eine innerägyptische Quelle absichern?
Hans Goedicke (1984) hat den erwünschten Nachweis anhand des »Londoner Medizinischen Papyrus«, der in die Regierungszeit des Tutanchamun datiert wird, erbracht. In einer luziden Textinterpretation hat er zeigen können, dass der Papyrus die magische Anrufung zweier Gottheiten enthält, die vor der »Krankheit der Amu« (der Pest) schützen sollen. Amu war im Alten Ägypten die gängige Bezeichnung für die »Asiaten«, so dass wir den Ausdruck mit »asiatische Krankheit« oder regional präziser »kanaanäische Krankheit« übersetzen dürfen – eine Weise der Benennung, die kulturübergreifend bis in unsere Zeit bekannt ist (etwa in der Rede von der »französischen Krankheit« oder der »spanischen Grippe«) und die stets eine Herkunftsvermutung mit einer apotropäischen Abweisung verbindet. Die nähere Spezifizierung des Papyrustextes bringt weitere Klarheit. Die Fürbitte wird in »der Sprache der Keftiu« (Kreter) vorgetragen und richtet sich an zwei nicht-ägyptische Götter (Santas und Kupapa), für die Goedicke einen anatolischen Hintergrund vermutet – womit überraschend (und doch erwartbar) die hethitische Karte im Spiel ist. Die Anrufung der anatolischen Götter macht Sinn, weil die Ägypter die Seuche mit Hatti in Verbindung bringen – wie umgekehrt die Hethiter mit den Ägyptern. Kreta steht dagegen mutmaßlich für das Land, das von der Epidemie aller Wahrscheinlichkeit nach verschont blieb; das Zitieren kretischer Sprache – mutmaßlich handelt es sich um Linear B – soll die Gunst des Verschontwerdens magisch auf die Schutzflehenden übertragen.
Unsere Suche nach einer ägyptischen Reaktion auf die Epidemieerfahrung hat zu einem ersten Ergebnis geführt. Wie für die betroffenen Nachbarländer kann auch für Ägypten »eine eindeutige Betroffenheit über die kanaanäische Krankheit« (Goedicke) festgestellt werden. Mit dieser Vergewisserung im Rücken dürfen wir jener Metapher von der »schweren Krankheit« einen Doppelsinn unterstellen – ganz so, wie dies Jan Assmann in einer prägnanten Schlussfolgerung festgehalten hat: »Wenn man bedenkt, dass am Ende der Amarnazeit eine wirkliche Pest ausbrach, dann ist diese Beschreibung nicht nur metaphorisch zu verstehen.« Das ist nun aber keineswegs so zu interpretieren, als enthalte die Inschrift der Restaurationsstele gleichsam als Subtext den in den hethitischen Texten ausgemachten Zusammenhang von Schuld und Strafe. Ganz im Gegenteil. Der zeitgleiche Londoner Medizinische Papyrus verharrt noch ganz im Kontext ritueller Reinigung; er nährt freilich zugleich den Verdacht, bestimmte Kreise am ägyptischen Hof könnten ein Interesse daran gehabt haben, den sozialen Ursachen- und Schuldzusammenhang der kanaanäischen Krankheit gezielt außer Landes zu lokalisieren und damit zu einer nicht-ägyptischen Angelegenheit zu machen. König Tutanchamun ist jedenfalls kein ägyptischer Muršili; die Idee einer Strafaktion ägyptischer Götter, die mit der Seuche geschehenes Unrecht ahnden, bleibt eigentümlich blass und vage. Das Moment des Unausgeführten zeigt sich am deutlichsten darin, dass die am Auszug der Götter Schuldigen im Stelentext nicht einmal andeutungsweise genannt werden.
Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn wir einen zweiten historischen Text, mit dem die Steleninschrift des Tutanchamun eine verblüffende Ähnlichkeit hat, einblenden. Es handelt sich um die große Inschrift der Königin Hatschepsut am Felsentempel von Speos Artemidos. Vier Generationen vor Amarna in Erinnerung an die Überwindung der Schreckensherrschaft der Hyksos geschrieben, begründet auch sie (als Königin auf dem Pharaonenthron unter besonderem Legitimationsdruck stehend) eine Politik der Restauration und Erneuerung:
Der Tempel der Herrin von Kusa [Hathor]