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Pfad des traditionellen Kultus des Re-Harachte, beziehen. Dann aber steckte in der Erzählung vom Streit zwischen Apophis und Sekenenre auch das Moment eines gedächtnisgeschichtlich aufbewahrten Déjà-vu. In der Monolatrie-Variante läge eine amarnaspezifische Umarbeitung vor; im Bericht vom Bruch mit der rituellen Ordnung käme ein Stück Wiedererinnerung zum Zuge. Die aufgedeckte Erinnerungsspur macht es glaubhaft, dass die Hyksos nicht nur als fremde Invasoren den Hass auf sich zogen, die das Land tributpflichtig machten, sondern ebenso in der Gestalt der kultisch Unreinen. Der Hinweis auf die Titulatur der Hyksoskönige – einige von ihnen führen Re in ihrem Namen – steht dem nicht entgegen; er zeigt den Vorgang einer formalen Ägyptisierung an, nicht mehr.

      Unsere Argumentation erfährt eine nicht geringe Bekräftigung durch die Verwendung des Begriffs der Plage zur Kennzeichnung der eingetretenen Katastrophe. Im Text des Papyrus heißt es: »Die Plage herrschte in der Stadt der Asiaten [Stadt des Re (?)], denn König Apophis saß in Avaris.« Die Erzählung scheint an dieser Stelle in bemerkenswerter Weise zwischen Avaris, dem Herrschersitz der Hyksos, und der »Stadt des Re« zu differenzieren. Schon Gustave Maspero (1911), der »les Impurs de la ville de Ra« liest, hat die Stadt mit Heliopolis, der alten Sonnenstadt, identifiziert. Einem weit gefassten Verständnis nach umfasst »Plage« die demütigende Hyksosherrschaft insgesamt; in einem engeren Sinne könnte der Begriff die Entweihung der alten Sonnenstadt Heliopolis meinen, die – anders als Theben – im unmittelbaren Einflussgebiet der Hyksoskönige lag. Hier ist die Plage als Travestie der Religion fassbar. In dieser Zuspitzung wird die (den gesamten Text strukturierende) geopolitische Gegnerschaft »Avaris/Nordstadt vs. Theben/Südstadt« als religiöser Konflikt lesbar: »Stadt der Unreinen/Heliopolis vs. Stadt der Reinen/Theben«. Diese interkulturelle Radikalisierung erfährt der Hyksoskonflikt aber sicherlich durch die intrakulturelle Erfahrung mit der historisch jüngeren »Gegenreligion« des Echnaton. Die analogiestiftende Folie, die jener älteren Erinnerungsfigur unterlegt ist, enthält als Kennung das Gegensatzpaar »Achetaton/die neue Sonnenstadt vs. No-Amun/Theben/das südliches Heliopolis«. Die hier aufscheinende Strukturähnlichkeit – und das heißt zugleich: nicht die Identität der historisch divergenten Sinnformationen – ist die Klammer, welche die Hyksos-Erinnerung so eng an die Amarna-Erinnerung anbindet. Es sind Analogien dieser Art, mit denen das kulturell Unbewusste auf der Suche nach der verlorenen Zeit, die selber nicht beim Namen genannt werden darf, arbeitet.

      Am semantischen Potential von »Plage« lässt sich die Linie einer eigensinnigen Formatierung der Hyksos-Erinnerung noch weiter ausziehen. Goedicke hat in der zitierten Arbeit über die »kanaanäische Krankheit« darauf hingewiesen, dass sich der ägyptische Erstbeleg für den Ausbruch einer Pest im medizinischen Papyrus Hearst findet, der gemeinhin in die Zeit von Amenophis I. (gegen Ende des 16. Jahrhunderts v.u.Z.) datiert wird. Interessanterweise gilt dort die beschwörende Anrufung niemand anderem als Seth, der in Avaris verehrten Gottheit.

      So wie Seth das Große Meer [Mittelmeer] gebannt hat,

      so wird Seth dich bannen, o Krankheit der Amu!

      Goedicke bezieht die Heldentat des Seth, die hier evoziert wird, auf die Bannung einer Flutwelle im Gefolge der vulkanischen Katastrophe von Thera (dem heutigen Santorin). Das ist ein kontrovers diskutiertes Thema, aber für unsere Diskussion ohne Belang. Bedeutsamer ist eine andere Verknüpfung. Jene erstmals erwähnte Pest, die in Kanaan/Syrien wütete und Ägypten bedrohte, wirft ihren Schatten auf das Ende der Hyksos-Zeit – ein erstaunlicher Parallelismus zu jener Seuche am Ende der Amarnazeit, auf die König Muršili mit seinen Pestgebeten reagierte. Wir sind mit einer weiteren starken Ähnlichkeitsrelation von Hyksos- und Amarna-Erinnerung konfrontiert. Es überrascht daher nicht, wenn Goedicke die Erwähnung einer Plage in der ramessidischen Erzählung von Apophis und Sekenenre mit der im Papyrus Hearst berichteten Pest zusammenbringt: »Das Auftreten der Plage im späten 16. Jahrhundert stimmt mit dem einleitenden Hinweis der spät-ägyptischen Geschichte vom Streit zwischen Apophis und Sekenenre überein, nämlich dass ›das Land von Ägypten den Unreinen gehörte‹; das Letztere bezieht sich möglicherweise auf vor der Pest Geflohene.«

      Natürlich ist die Mutmaßung über Pestflüchtlinge nicht weniger spekulativ als der Bezug auf den Vulkanausbruch von Thera.22 Wir werden deshalb für unsere gedächtnisgeschichtliche Rekonstruktion nur so viel festhalten wollen: Unabhängig von Amarna arbeitet schon das Gedächtnis der Hyksos-Ära mit einem doppelsinnigen Begriff von Plage – der Reminiszenz an die Bedrohung durch eine Pest sowie der Erinnerung an einen schmerzhaften Riss im Sinnhaushalt der Kultur. Mit dem Begriff der kanaanäischen Krankheit in seiner spezifischen Kulturbedeutung stand den Ägyptern der Nach-Amarnazeit damit ein Referenzrahmen zur Verfügung, der es ihnen erlaubte, den Schrecken von Amarna gleichsam in verhüllter Form zu bannen und auszutreiben. Eingeschrieben in das semantische Schnittmuster der Hyksoserfahrung wurde es möglich, das inkommensurable Eigene in Gestalt des Fremden auszustoßen. Denn genau hierin besteht der große Unterschied: Die Hyksos waren wirklich Fremde, die Amarnakönige dagegen Ägypter aus dem Geblüt der glorreichen 18. Dynastie. Hatten die eigenen Herrscher jenseits der Anklänge an die Bedrohung durch Pest und kultische Unreinheit noch in einer anderen Hinsicht Ähnlichkeit mit den »Herrschern der Fremdländer«, den Hyksos? Könnte es sein, dass der Schrecken, den das schöne Achetaton verbreitete, nicht allein, wie gemeinhin vermutet, von der Kultreform ausging, sondern ebenso durch eine machtpolitische Bedrohung verbreitet wurde? Seit zwei Generationen hatte das Haus Juja die Macht der Thutmosiden gleichsam untergraben. Und sah es jetzt (nach dem Tod Echnatons) nicht so aus, dass Amarna drauf und dran war, den »fremden Asiaten« in Gestalt der Hethiter die Hand zu reichen und einer neuen Fremdherrschaft den Weg zu ebnen? Die bisher gegebenen Andeutungen reichen zu einer so weitgehenden Erklärung bei weitem nicht aus. Es gilt, die besonderen Grundlagen der Macht, die Legitimierung der Machthaber und die Verschiebung der Machtzentren in den Blick zu nehmen. Unsere Erkundung wird aber nicht dem ausgetretenen Königsweg (des Echnaton) folgen – eine Absage an die gängige Erwartung, mit der schrittweisen Radikalisierung einer religiösen Reform durch den jungen König die entscheidende Richtschnur in Händen zu halten. Sie setzt an anderer Stelle an, an dem scheinbar marginalen Vorkommnis eines Plans, der nur zur Hälfte ausgeführt wurde – des Versuchs, einen hethitischen Königssohn auf den ägyptischen Thron zu setzen. Wir nehmen den Faden wieder auf, den uns nicht die ägyptische Überlieferung selbst, sondern die hethitische Geschichtsschreibung in die Hand gegeben hat; den Dachamunzu-Faden, dessen pure Existenz als deutliches Krisensymptom zu verstehen ist und der deshalb helfen kann, das Knäuel Amarna zu entwirren.

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