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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski
Читать онлайн.Название Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos
Год выпуска 0
isbn 9788711449103
Автор произведения Franz Maciejewski
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Unter dieser Fragestellung soll in behutsamer Weise der mythologische Bodensatz gefiltert werden, in dem die Amarnageschichte auf andere Weise überlebt haben könnte. Es ist dies zugleich – nach den unter den Stichworten Machtpolitik, Sexualpolitik, Religionspolitik und traumatische Gedächtnisgeschichte skizzierten Ebenen – die letzte Schicht, mit welcher der Sondierungsschritt zur Formulierung einer alternativen Sinngeschichte sein Ende findet. Zu den Eckpfeilern des neuen Erzählgebäudes, dessen Solidität und Standfestigkeit sich in den nachfolgenden Kapiteln zu beweisen hat, zählen – thesenhaft gebündelt – diese Aussagen:
Das bewegende Geschichtsmoment der Amarnazeit ist ein vom Hause Juja betriebener Dynastiewechsel und nicht die Erfindung des Monotheismus.
Zum Machterhalt werden inzestuöse Verwandtschaftsverhältnisse auf Dauer gestellt, welche letztlich den Untergang der Thutmosiden heraufbeschwören.
Die religionspolitische Großtat Echnatons besteht in der Aufrichtung des weltgeschichtlich ersten Gottesstaates in Achetaton.
Im thebanischen Gottesstaat des Amun erlebt die untergegangene Theokratie von Amarna nach Jahrhunderten eine traumatische Wiederkehr.
Nicht in der Gestalt des biblischen Moses, sondern in König Ödipus könnte sich eine verschobene Erinnerung an König Echnaton erhalten haben.
Sämtliche Bausteine meiner Argumentation stammen aus dem Fundus, den die Forschung zusammengetragen hat. Das heißt, ich selber werde keinen neuen Sensationsfund präsentieren, sondern die vorhandenen Materialien – als handele es sich um verstreute Talatatblöcke11 – neu zusammensetzen und deuten. Keines der zentralen Zeugnisse der Monumente und Keilschriften, der Hymnen und Inschriften, der Kunst und Architektur wird dabei unberücksichtigt bleiben. Alles, was hier erzählt wird, wurde schon einmal erzählt – nur bruchstückhaft oder in anderer Reihenfolge und mit anderem Zungenschlag. Diese Arbeit will nicht das Sichtbare wiedergeben, sondern (nach dem schönen Wort von Paul Klee) sichtbar machen. Die Leser werden eingeladen, Amarna zu verlassen, um von außen einen neuen Blick auf die erweiterte Epoche zu werfen. Das schließt ein, dass die Sache nicht nach der herkömmlichen Weise chronologisch abgehandelt wird. Die Kapitel des Buches schließen aneinander vielmehr an wie die Teile eines Puzzles. Sie müssen passen, Sinn machen und neue Möglichkeiten eröffnen. Das ist ihre Ordnung. Eine Ordnung, die es mit sich bringt, dass zuweilen etwas vorausgeschickt werden muss, was erst später eingeholt werden kann. Und so beginnt die ägyptische Reise in Hattuscha, der Hauptstadt des bronzezeitlichen Hethiterreiches, um nach langer Fahrt in der griechischen Thebais zu enden, dem Schauplatz einer Tragödie, die wir möglicherweise als fernes Echo auf den Aufruhr von Amarna verstehen müssen.
Abb. 5: Das Königstor in Hattuscha (Detail des göttlichen Kriegers)
I
Der Fluch der bösen Tat
1. König Muršili öffnet ein Fenster
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung wütet im Lande Hatti, dem auf dem Gebiet des heutigen Anatolien gelegenen Hethiterreich,12 die Pest. Als die Plage nacheinander den eigenen Vater (Šuppiluliuma I.) und Bruder (Arnuwanda II.) dahinrafft, bekennt der in Hattuscha residierende Großkönig Muršili II. – ein Zeitgenosse der beiden letzten Amarnakönige Tutanchamun und Eje – öffentlich seine Seelenpein. Die nicht enden wollende Not lehrt ihn beten. In einem sogenannten »Pestgebet« wendet er sich an den Dynastiegott sowie die übrigen Götter des Landes. In der doppelten Rolle des Königs, der das Leben und Überleben (von Menschen, Tieren und Pflanzen) in seinem Herrschaftsbereich zu schützen hat, und des obersten Priesters, der den Göttern nahe ist und den gesamten Ritualbestand an seiner Seite weiß, bittet er um ein Ende des Unheils.
Wettergott von Hatti, mein Herr, und ihr anderen Götter von Hatti, meine Herren. Es sandte mich Muršili, der Großkönig, euer Diener: Geh und sprich zu dem Wettergott von Hatti, meinem Herrn, und zu den andren Göttern folgendermaßen:
Das ist es, was ihr getan habt: in das Land Hatti habt ihr eine Pest hineingelassen, und das Land Hatti wurde von der Pest überaus hart bedrückt.
Und wie es zur Zeit meines Vaters dahinstarb und zur Zeit meines Bruders und wie es, seit ich Priester der Götter wurde, nun auch vor mir dahinstirbt, das ist nun das zwanzigste Jahr. Und das Sterben, das im Lande Hatti herrscht, und die Pest wird von dem Lande noch immer nicht genommen.
Ich aber werde der Pein im Herzen nicht Herr. Der Angst in der Seele aber werde ich nicht mehr Herr.
Hier hadert kein Hiob mit seinem Schicksal. Wenn Muršili feststellt, dass die Götter die Pest in das Land gelassen haben, dann sind seine Worte von jedem Vorwurf frei. Er weiß die Verhängung des Unheils als Strafaktion einer zürnenden Gottheit zu deuten und er kennt die Voraussetzung, unter der allein eine Wende zum Heil vollzogen werden kann. Die von den Göttern erbetenen Machterweise hängen von der Offenlegung eines verschwiegenen Schuldzusammenhanges ab. Nur so kann der Fluch der bösen Tat aufgehoben werden. Der König befragt deshalb in einem zweiten Schritt das Orakel, um die Schuld herauszufinden beziehungsweise die Schuldigen benennen zu können, deren Handeln den Anlass für den Ausbruch der Pest gegeben hat. Die Auskunft verweist auf zwei »alte Tafeln« mit verbindlichen Vereinbarungen. Die eine verpflichtet das Land zu Opferriten für den Fluss Mala (den Euphrat), die aufgrund der Pest vernachlässigt wurden; die andere handelt von einem Vertrag mit Ägypten, der dem kulturellen Gedächtnis der Hethiter als »Vertrag mit den Leuten von Kuruštama« eingeschrieben ist – ein undurchsichtiger (wahrscheinlich in die Zeit Amenophis’ II. zurückgehender) Vorgang, bei dem »der Sturmgott Söhne des Hatti-Landes gepackt und sie nach Ägypten geführt hatte und sie hatte Ägypter werden lassen«. Dieser eidlich besiegelte Freundschaftsvertrag – der kleine Vorläufer des großen paritätischen Staatsvertrages, den Ramses II. und Huttuschili III. anderthalb Jahrhunderte später miteinander geschlossen haben – erklärt unter anderem, warum Muršilis Vater »seinem Bruder« Amenophis IV.-Echnaton anlässlich der Thronbesteigung gratulierte (wie wir aus einem der berühmten Amarna-Briefe wissen). Anderthalb Jahrzehnte später wurde der Vertrag jedoch von demselben Šuppililiuma verletzt, und zwar unmittelbar vor Ausbruch der Pest.
Der Sturmgott von Hatti brachte die Leute von Kuruštama nach Ägypten und schloss einen Vertrag über sie mit den Hethitern, so dass sie ihm unter Eid standen. Obwohl nun sowohl die Hethiter als auch die Ägypter dem Sturmgott eidlich verpflichtet waren, ignorierten die Hethiter ihre Verpflichtungen. Sie brachen den Eid der Götter. Mein Vater sandte Truppen und Wagen, das Land Amqa, ägyptisches Gebiet, anzugreifen. Die Ägypter aber erschraken und baten sogleich um einen seiner Söhne, das Königtum zu übernehmen. Aber als mein Vater ihnen einen seiner Söhne gab, töteten sie ihn, während sie ihn dorthin brachten. Mein Vater ließ seinem Zorn freien Lauf, er zog gegen Ägypten in den Krieg und griff es an. Er schlug die Truppen und Streitwagen des Landes Ägypten. Der Sturmgott von Hatti, mein Herr, gab meinem Vater durch seinen Ratschluss den Sieg; er besiegte und schlug die Truppen und Wagen des Landes Ägypten. Aber als sie die Gefangenen nach Hatti brachten, brach eine Pest unter ihnen aus, und sie starben.
Als