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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski
Читать онлайн.Название Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos
Год выпуска 0
isbn 9788711449103
Автор произведения Franz Maciejewski
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Die Wirkung, die Weigalls Buch auf seine Zeitgenossen und die nachfolgende Generation ausgeübt hat, lässt sich kaum überschätzen. Mit der Stilisierung des Aton als eines »allliebenden Wesens« nach christlicher Provenienz vollzieht Weigall eine überraschende Vergegenwärtigung des alten Glaubens, der für ihn nicht abgelebt ist: »Aton ist Gott beinahe so, wie wir ihn auffassen.« Der Gott der Liebe und Echnaton, sein Prophet, bewegen sich nicht länger (nur) in den Kulissen des Einst, sie sind vielmehr von brennender Aktualität. Weigall sprengt die monotheistische Epoche des Alten Ägypten endgültig aus dem Kontinuum der Zeit heraus und macht Amarna im Benjaminschen Sinne zu einer mit »Jetztzeit« aufgeladenen Vergangenheit. Breasted hatte den Ketzerkönig als »erste Persönlichkeit der Weltgeschichte« bezeichnet, Weigall nennt ihn ergänzend und weiterführend »unseren Bruder, ja fast unseren Zeitgenossen«. Die Ununterscheidbarkeit von Vergangenheit und Gegenwart, die sich in diesen Worten ausspricht, erhellt die besondere Attraktivität der Forschungen über Amarna. Diese verdankt sich nicht allein der Wiederkehr des Vertrauten. Erforscht wird alles Mögliche, aber zum Faszinosum wird nur, was auf die eine oder andere Weise gebraucht wird. Es spricht vieles dafür, dass die Brauchbarkeit Echnatons für eine Rolle im Hier und Jetzt (sagen wir probeweise: in der sich zuspitzenden Krise des Abendlandes am Vorabend der Katastrophe des Ersten Weltkrieges) mitverantwortlich war dafür, dass die Berichte über seine kulturelle Revolution so schnell zum Allgemeinbesitz der intellektuellen Elite geworden sind. Die Amarnafunde hatten ohne Zweifel einen Nerv der Zeit getroffen. Sie brachten das Gewünschte. »Echnatons Monotheismus« fühlte sich an wie eine Zeltplane in den Zeiten einer zunehmenden transzendentalen Obdachlosigkeit – und war zugleich eine intellektuelle Herausforderung. Mit dieser Idee konnte man arbeiten, weiterdenken, Lücken füllen.
Einer der Intellektuellen, die sich von der Geschichte anstecken ließen und bereit waren, den Faden weiterzuspinnen, war kein Geringerer als Thomas Mann. Beginnend im Jahre 1926, vor dem Frregungshintergrund einer regelrechten Ägyptomanie – 1912 wurde die Büste der Nofretete gefunden, 1922 war das Große Jubeljahr der Entdeckung des Grabes Tutanchamuns, 1925/26 gelang in Karnak der Fund der ungewöhnlichen Kolosse Echnatons –, begab sich Mann in die Brunnentiefe der Zeit, um den Mythos des biblischen Joseph neu zu beleben. Als ein Meister kultureller Bricolage wob er in die fiktionale Welt der nachfolgenden Josephsromane mit großer Kennerschaft die Sachwelt des ausgegrabenen Ägypten, darunter die Welt von Amarna. »Den Sonnenmonotheismus des Echnaton mit dem hebräischen Monotheismus in Beziehung setzen zu können«, wurde zu einem der leitenden Motive von Manns Arbeit an Gedächtnis und Geschichte. Und nach und nach entwickelte sich daraus die Lieblingsidee, Josef den Ägypter als Zeitgenossen Echnatons auftreten zu lassen. Mit dem feinen Gespür für das Besondere der Konfrontation eines Mannes der Geschichte mit der Figur eines Mythos lässt der ägyptologisch beratene Dichter1 die beiden am Hofe des Pharao zusammentreffen. Als Traumdeuter gerufen, erfährt Joseph die Einweisung in die Lehre Echnatons und zieht diesen seinerseits in ein Gespräch über den Gott Abrahams. Mann imaginiert keinen Disput über die Religion, eher ein schweifendes Zwiegespräch über die letzten Dinge, in dem beide Kontrahenten eine gute Figur machen – Brüder im Geiste. Wenn er dennoch einen Vorbehalt gegen Echnaton äußert, dann nicht wegen der gefallenen Worte, sondern des Fleisches wegen, das sie aussprach. Anders als etwa beim leibesschwachen Rilke, den Echnatons »hinblühend, mildvergängliches Gesicht« zu hochfahrenden Versen inspiriert hat, bleibt Manns physiognomischer Blick nüchtern. »Bei der Beschreibung seines Gesichts«, so lesen wir bei ihm, »dürfen die Jahrtausende uns nicht von dem zutreffenden Gleichnis abschrecken, dass es aussah wie das eines jungen vornehmen Engländers von etwas ausgeblühtem Geschlecht; langgezogen, hochmütig und müde (...) mit tief träumerisch verhängten Augen, von denen er die Lider nie ganz aufzuheben vermochte, und deren Mattigkeit in bestürzendem Gegensatz stand zu der nicht etwa aufgeschminkten, sondern von Natur krankhaft blühenden Röte der sehr vollen Lippen. So war eine Mischung schmerzlich verwickelter Geistigkeit und Sinnlichkeit in diesem Gesicht.« Nach dieser Sichtweise war Echnaton wohl »auf dem rechten Weg, aber der Rechte nicht für den Weg«. Die romanhafte Anverwandlung des ägyptologischen Themas eines solaren Monotheismus endet unversehens bei der Abneigung des ersten Blicks, den wir bei Champollion kennengelernt haben. Dem hinfälligen Körper des Abkömmlings einer dekadenten Dynastie hat Thomas Mann den Fortschritt in der Geistigkeit nicht wirklich abgenommen.
Wenn Mann den Verfall des Hauses der Thutmosiden als morbide Spätkultur versteht, dann überträgt er auf diese Epoche die Erfahrung seiner Zeit: den unaufhaltsamen Untergang des europäischen Bürgertums, den er in Werken wie Buddenbrooks oder Der Zauberberg so meisterlich nachgezeichnet hat. Aber anders als Weigall holt er die Epochenfigur Echnaton nicht hinüber in die Jetztzeit. Für ihn ist der König kein salvator mundi. Im Kampf gegen das heraufziehende Unheil des Nationalsozialismus beschwört Mann den jüdisch-christlichen Humanismus, an dem Echnaton seiner Einschätzung nach keinen Anteil hat. Deshalb bleibt auch das »verwickelte Verhältnis von Geistigkeit und Sinnlichkeit«, das er so treffend diagnostiziert, unanalysiert.
Einer, der wie kein anderer über alle analytischen Mittel verfügte, gerade diesen Knoten zu lösen, war Sigmund Freud. Spätestens mit der 1912 erschienen Studie von Karl Abraham über Amenophis IV. (Echnaton) war das Thema des monotheistischen Aton-Kultes Teil des psychoanalytischen Diskurses geworden. Doch von Beginn an begegnete der Gründervater der Psychoanalyse der wissenschaftlichen Neugier, das Seelenleben Echnatons zu ergründen, mit Reserve. Auf das von Abraham nicht ohne Stolz mitgeteilte Ergebnis der Studie (»Der Ödipus-Komplex, Sublimierung, Reaktionsbildungen – alles wie bei einem Neurotiker von heute«) antwortete Freud kühl, er trage Bedenken, »den König so scharf als Neurotiker hinzustellen«. Tatsächlich hat er sich zeitlebens geweigert, Echnaton auf die Couch zu legen; er hatte anderes mit ihm vor. Mit Breasted und Weigall begriff Freud den Ketzerkönig als eine weltgeschichtliche Persönlichkeit, deren einzigartige Leistung, den »vielleicht reinsten Fall einer monotheistischen Religion in der Menschheitsgeschichte« hervorgebracht zu haben, er nicht durch den Nachweis einer neurotischen Symptomatik geschmälert sehen wollte. Eine befremdliche Beschneidung der eigenen Profession, die dazu führte, dass der Herold sexueller Ätiologie die Fragen nach Triebausstattung und Libidoentwicklung des Pharao mit Stillschweigen überging. So blieb die Dialektik von Sinn und Sinnlichkeit, die sich den ersten Ausgräbern in der irritierenden Gegensätzlichkeit von Schrift- und Körpergedächtnis offenbart hatte und dann von Thomas Mann auf den Begriff gebracht wurde, ein weiteres Mal unaufgeklärt.
Eine Inkubationszeit von einem Vierteljahrhundert musste vergehen, ehe sich Freud in der Lage sah, seine eigene weit ausholende Argumentation vorzustellen, zunächst »in einer Art von historischem Roman«, der dann in überarbeiteter Form Teil des Spätwerks Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939) wurde. Der Titel verrät, dass nicht Echnaton selbst, sondern – ähnlich wie bei Thomas Mann – eine biblische Figur die Gedankenführung zusammenhielt: Moses, den Freud freilich nicht als mythische Figur wie Joseph, sondern als geschichtliche Gestalt verstanden wissen wollte – mit ägyptischer Vorgeschichte: »Moses war kein Jude, (vielmehr) ein vornehmer