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die anderen geschminkten Ziegen in Sams Budike! Schade, jammerschade!

      Hans Balck ist schon viele Jahre hier unten in Südafrika, und die Heimat hat er eigentlich seit seinem sechzehnten Lebensjahr kaum wiedergesehen. Aber Blut bleibt Blut. Ein Deutscher ist er deshalb doch geblieben, und dieses Wörtchen „deutsch“ in seinem Wesen überlegt eine Viertelstunde allen Ernstes, ob es nicht seine, Hans Balcks Pflicht sei, die kleine Molly Reeve vor dem traurigen Zukunftsschicksal zu bewahren. Zum Beispiel, indem er sie tatsächlich heiratete?

      Es ist nicht die Rührseligkeit des „grauen Elends“, die diesen Gedanken in ihm aufkommen läßt. Hans überlegt ganz nüchtern und ernsthaft, ob er nicht morgen früh doch noch einmal zu Sam hingehen und die „Verlobung“ offiziell anerkennen soll. Erst nach reiflichen Erwägungen kommt er von dem Gedanken wieder ab. Was weiß er schließlich von der kleinen Molly. Sie waren ein bißchen verliebt heute abend ineinander, na ja — aber vielleicht hat sie einen jungen Mann in ihrer Heimat, der ihr Leben ausfüllt. Oder einen reichen Freund hier in Kimberley oder sonstwo. Die Vernunft behält die Oberhand über das Gefühl, aber Hans beschließt doch, sich auch weiterhin um die kleine Molly zu kümmern. Das heißt — Donnerwetter! Ganz plötzlich fährt es ihm durch den Sinn, daß er ja morgen — nein heute schon! — auf großer Fahrt ist. Übers Meer, nach Amsterdam und dann in die alte Heimat. Wenn er nach Monaten zurückkehrt hierher nach Kimberley, dann wird das „Programm“ in der „Kohinoor-Bar“ längst gewechselt haben und Molly Reeve Gott weiß wo sein. Nun, man kann ihr ja schreiben von unterwegs. Einen netten Brief mit der Bitte um ein späteres Wiedersehen. Wenn sie wirklich das ist, wofür Hans sie hält, dann wird man in Verbindung bleiben, man kann sie später aufsuchen und immer noch tun, was man will.

      Tja, die Reise! Seine Gedanken gleiten von Molly hinweg zu der bevorstehenden Aufgabe. Zum ersten Male Diamantenkurier! Da, in dem verschlossenen Brief auf dem Schreibtisch stehen seine Verhaltungsmaßregeln. „Blödsinn!“ denkt Hans Balck. „Ich weiß selber, wie ich mich zu verhalten habe. Mit guten Ratschlägen bin ich versehen!“ Was ist auch groß zu tun: Aufpassen, die Augen offen halten, die Fäuste bereit und auf keine Tricks reinfallen! Hans zweifelt keinen Augenblick daran, daß er den „Stern von Südafrika“ prompt und sicher an seinem Bestimmungsort abliefern wird.

      Der kleine Piet stöhnt gräßlich im Schlaf. Hans schaut hinüber auf den Schlafenden und denkt plötzlich daran, daß Piet Keulen ja der zweite Kurier ist. Merkwürdig, daß sie gerade ihn dazu bestimmt haben! Nach Piets Gejammer vorhin hat ihm offenbar Mr. Skuller sogar genau dasselbe gesagt wie Hans, nämlich, daß er den Diamanten in seinem Päckchen hat. Oder — Hollah! Ein neuer Gedanke fährt durch seinen Kopf und zaubert eine nachdenkliche Furche auf seiner Stirn. Ist es vielleicht so? Hat Piet wirklich den „Stern von Südamerika“ und er, Hans, nicht? By Jove, es wäre nicht unmöglich, daß die neunmalgescheiten Herren in der Direktion eine hübsche kleine Rechnung aufgestellt haben, etwa folgendermaßen: Mr. Balck ist ein großer, kräftiger Bursche, anerkannter Draufgänger und Boxer, ein Kerl, dem man es auf zehn Schritte ansieht, daß er bis jetzt das Gruseln noch nicht gelernt hat, kurz: der geborene Kurier. Wenn es jemand gibt, der Absichten auf den Diamanten hat, so wird er sehr leicht auf Mr. Balck als Kurier tippen. Mr. Piet Keulen dagegen ist klein und schmächtig, ein guter, harmloser Junge. Kein Mensch wird auf den Gedanken kommen, daß man ihm den kostbaren Stein anvertraut hat.

      Je länger Hans über die Sache nachdenkt, um so klarer erscheint sie ihm. Natürlich kann es so sein. Die Kuriere kennen einander nicht. Er hat ja auch nur zufällig durch Piets Redseligkeit erfahren, daß der Kleine da in doppeltem Sinne jetzt sein Kollege ist. Wenn jemand beobachtet, wer von den Skuller-Leuten in den nächsten Tagen abreist, und dabei zu der Überzeugung kommt, daß Mr. Balck und Mr. Keulen die Kuriere sind, so wird er bestimmt sich an die Sohlen Balcks heften und den kleinen Piet ungeschoren lassen. Das ist vielleicht der Zweck der Übung.

      Hans hat bisher als selbstverständlich angenommen, daß die Worte Mr. Skullers ernstgemeint waren und daß er selber den „Stern von Südafrika in seinem Päckchen hat. Die neue Überlegung versetzt seinem Selbstbewußtsein einen starken Stoß. Ärgerlich holt er das kleine, verschnürte Päckchen aus der verschlossenen Reisetasche und dreht es mißmutig in den Fingern.

      „So’n Ball mit mir schieben! Die ganze Reise über wie ein Höllenhund aufpassen auf das Paketchen da, das womöglich nur einen wertlosen Stückchen Dreck enthält! Nee! Können Sie mit mir nicht machen, Mr. Skuller. Mit mir nicht!“

      Hans beginnt vorsichtig die Verschnürung zu lösen, schält die Umhüllung, ohne das Siegel zu verletzen, an einer Ecke auf. Ein Beamter aus Metternichs schwarzem Briefkabinett hätte ihn beneiden können um die Geschicklichkeit, die er dabei entwickelt. So! Jetzt ist eine kleine Öffnung da. Hans bläst hinein, um die innere Umhüllung zur Seite zu drücken, und schüttelt dann das Päckchen. Es rappelt drinnen. Kiesel oder Diamant. Hans schüttelt vorsichtig das Päckchen über der flachen Hand, bis sich ein Stein in die Öffnung klemmt, den er mit spitzen Fingern herauszieht.

      Der „Stern von Südafrika!“

      Hans betrachtet gründlich und aufmerksam den Stein, der in seiner flachen Hand glitzert. Jawohl, das ist der „Stern von Südafrika“, ein richtiger, unzweifelhaft echter Diamant.

      „Na also!“ Befriedigt steckt Hans den Stein in seine Umhüllung zurück, schließt und verschnürt das Päckchen ebenso vorsichtig und sauber, wie er es geöffnet hat. Kein Mensch kann dem Ding ansehen, daß es eben noch offen war. Hans weiß natürlich, daß er absolut gegen seine Instruktion gehandelt hat. Mr. Skuller würde ihn fristlos entlassen, wenn er wüßte, daß sein Kurier einfach das versiegelte Päckchen geöffnet hat, das heißt, falls der Herr Generaldirektor nicht vor Entsetzen bei der Nachricht einem Schlaganfall erliegen würde.

      „Wenn die Herren wollen, daß ich auf das Ding aufpassen soll, muß ich schon wissen, daß sich das Aufpassen lohnt“, brummt Hans, seine nachträglichen Bedenken abschüttelnd. „Jetzt weiß ich’s also, und alles ist in Butter. Gute Nacht, Marie!“

      Die Müdigkeit macht sich nun doch geltend. Hans steht auf und reckt gähnend die Arme. Ein Blick auf die Uhr. „Donnerwetter! Schon zwei Uhr durch! Da wollen wir rasch noch ’n paar Kilometer schlafen!“ Die Couch, wie sonst, in ein regelrechtes Bett umzuwandeln, verlohnt sich nicht mehr. Hans zieht nur Rock und Weste aus und langt sich seinen Bademantel. Die Reaktion nach der tollen Trinkerei macht sich plötzlich stark bemerkbar. Hans ist mit einem Male so müde, daß ihm die Augen fast zufallen. Ein letzter Blick erhascht noch das auf dem Tisch liegende Päckchen. Ach so! Der „Stern von Südafrika“.

      „Ruhe sanft!“ murmelt Hans gähnend und wirft mit sicherem Schwung das Päckchen in die auf dem Tisch stehende offene Reisetasche. Dann haut er auch schon lang auf sein Lager hin.

      Hans Balck schläft, den Kopf in die Couchkissen gewühlt, tief und ruhig den Schlaf eines Mannes, der ein hervorragend gutes Gewissen hat. Piet Keulen aber wälzt sich drüben an der anderen Längswand des Zimmers qualvoll auf seiner Couch hin und her.

      Der arme Junge träumt schauerliche Dinge. Krallenhände greifen nach seinem Hals, ein langes, spitzes Brotmesser senkt sich von oben her aus dem Unsichtbaren langsam herab gegen seine Kehle. Er hat das schreckliche Gefühl, an Händen und Füßen gefesselt dazuliegen und dieses drohende Messer sehen zu müssen. Dann wieder tanzen glühende Kreise um ihn. Tausend Augen lauern im Dunkel, Finger zeigen auf ihn, Revolver und Dolche heben sich gegen einen Wehrlosen, der gefesselt im Bett liegt. Nein, jetzt geht er durch eine dunkle Straße, wie durch einen Schacht. Pfiffe gellen auf aus dem Dunkel, grinsende Verbrecherfratzen lauern um die Ecke, die Häuserwände neigen sich vornüber, als wollten sie über ihm zusammenstürzen. „Das ist er!“ krächzt irgendwo eine Stimme. „Das ist der Mann, der den Diamanten bei sich hat!“

      Piet beginnt in seinem Angsttraum zu laufen, eine keuchende, blutgierige Meute hinter ihm her. Dann ist da auf einmal ein Strand, ein Meer. Drüben am anderen Ufer steht riesengroß sein Freund Hans Balck, die Shagpfeife im Mund, die Hände in den Hosentaschen und schaut gelassen herüber. Piet Keulen hört die Meute hinter sich, fühlt Hände, die nach ihm greifen, läuft, läuft — hinein in das Wasser, immer tiefer — eine Woge rollt heran und schlägt über seinem Kopf zusammen, daß er gurgelnd

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