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können, daß er sich täglich mehrmals die Hände wusch und grantig wurde, wenn kein frisches Handtuch da war.

      Er war schon auf dem Weg zur Tür, den Akt mit dem roten Stempel »Leiche« in der Hand, als das Telefon läutete. Eine Sekunde zögerte er, drehte sich brummend um und hob ab.

      Es war sieben Uhr fünfzig, als Pierre Cousteau seine Akten auf den Schreibtisch schmiß – die zwei Psychosen und den Selbstmordversuch – und sich eine Zigarette anzündete. Um acht Uhr würde die Kantine aufsperren, und da gab es Kaffee. Sein Zimmerkollege blickte grantig. Oberinspektor Matisse, ein älterer Beamter, hatte vor zwei Jahren einen Herzinfarkt gehabt. Seither durfte er nicht mehr rauchen. Und sollte auch rauchige Zimmer meiden. Deshalb hatte er keine reine Freude mit Pierre, den er sonst aber gerne mochte.

      »Ich geh schon«, sagte Pierre mit der brennenden Zigarette im Mund, »ich geh ja schon.« Eine Sekunde dachte er daran, bei sich zu Hause anzurufen und Madame Croix zu fragen, ob mit seiner Tochter alles in Ordnung wäre. Die Kleine war sicher schon auf dem Weg zur Schule und Madame Croix führte seinen Haushalt, seit Christin weg war. Madame Croix war seine Nachbarin und sicherlich würde sie wieder keifen und fragen, wann er endlich wieder einmal nach Hause käme. Zu einer rechtschaffenen Zeit. Und was mit der Puppe seiner Tochter sei.

      »Ich geh schon, Alter«, sagte er zu Matisse. Er würde die Croix später anrufen. »Klappe 451«, sagte er. Höchst überflüssig. Matisse wußte ohnehin, wohin er ging. Klappe 451 war der Telefonanschluß der Kantine.

      Er war auf dem Weg zum Lift, als er plötzlich das Gefühl hatte, er hätte doch Madame Croix anrufen sollen, seine Nachbarin. Diese Sache mit der Puppe, er würde das ganz sicher heute erledigen, ganz sicher. Was sollte die Kleine schließlich von ihrem Papa denken. Es war eine Sprechpuppe, aber das Ding konnte nicht mehr sprechen. Die Batterie war in Ordnung, aber sonst irgendwas war kaputt, wenn man den Schalter umdrehte, krächzte es nur. Die Dicke in der Puppenklinik sagte eiskalt, es würde 20 Franc kosten und drei Tage dauern, die Techniker wären überlastet. Er zahlte 10 Franc Anzahlung und erhielt einen Zettel mit einer Nummer. Das war vor einer Woche gewesen.

      Christin hatte die Puppe seinerzeit gekauft. Wahrscheinlich hing das Kind deshalb so daran. Am dritten Tag begann seine Tochter zu fragen, was mit ihrer Puppe wäre. Er hatte das Ding vergessen und erzählte irgendwas. Er sah in die Augen seines Kindes und begann zu stottern und versprach schließlich, die Puppe am nächsten Tag zu bringen. Am nächsten Tag hatte er Hauptdienst und um 17 Uhr fiel ein Raub an, der alte Trudeau hatte ihn hinausgeschickt. Eine Prostituierte war beraubt worden. Rita Kuhn, 19 Jahre. Pierre Cousteau kannte sie, hatte schon mit ihr zu tun gehabt. Dienstlich natürlich. Irgendein Idiot hatte den großen Chef gespielt und bei Rita abkassiert, sie zusammengeschlagen und das Geld genommen. 1000 Franc, zwei Tageslosungen. Pierre hatte bis 23 Uhr mit ihrem Zuhälter gesprochen, dem widerlichen Schnurrbart-Pepe. Das war die einzige Chance, den Fall zu klären. Schnurrbart-Pepe strampfte ein bißchen, aber brachte brav am nächsten Tag den heißen Tip. Schnurrbart-Pepe wollte um alles in der Welt nur ja kein Konfident der Polizei sein. Um Gottes willen, da wäre er ruiniert! Aber der Tip war in Ordnung und Pierre Cousteau nahm den Mann fest, der dann zwei Stunden blöde herumredete, aber nach einer Wahlkonfrontation ein Geständnis ablegte. Rita hatte sofort auf ihn gezeigt: »Das ist das Schwein.« Es wurde spät, bis der Akt fertig war und die Puppenklinik war natürlich geschlossen. Pierre Cousteau erzählte seiner Tochter die wundersamsten Lügen und versprach, die Puppe aber ganz, ganz bestimmt am nächsten Tag zu bringen.

      Das war vorgestern gewesen.

      Im Lift auf dem Weg zur Kantine traf er zwei weibliche Kriminalbeamte vom Sittendezernat. Referat B. Sie fuhren bis in den vierten Stock, also ins Paßamt. Pierre hatte artig guten Morgen gesagt und den Rauch seiner Zigarette in eine Ecke geblasen. Und er hatte sehr wohl die vieldeutigen Blicke bemerkt, die sich die Kolleginnen zuwarfen. Blöde Gänse! Was soll’s. Er drückte den Knopf zum Erdgeschoß, zur Kantine.

      »Er hat ein gestörtes Verhältnis zu den Frauen«, tuschelte man in seiner Umgebung. Natürlich hörte er davon, beziehungsweise wurde es ihm hinterbracht. Wie das so ist. Das aber war reiner Blödsinn und zuerst reagierte er wütend. Aber diese Reaktion blieb im wesentlichen bei ihm, sie war sozusagen nur innerlich, nach außen grinste er nur und winkte müde ab, was sonst hätte er tun sollen.

      Das angeblich gestörte Verhältnis zum weiblichen Geschlecht war wirklich blanker Unsinn, niemand wußte das besser als er selbst. Jedoch konnte er sich auch vorstellen, wie dieses Gerede entstanden war. Denn eines war richtig, er hatte ein gestörtes oder besser gesagt außerordentliches Verhältnis – nicht zu den Frauen – nur zu einer Frau. Zu seiner Frau.

      Das aber war den Menschen seiner Umgebung nicht so ohne weiteres zu erklären und auch schwer begreiflich zu machen. So versuchte er es gar nicht erst.

      Als sie ihn endlich verließ, seine Frau, als sie endlich ihre tausendfachen Drohungen wahr machte und ihre Koffer packte und wegflog, damals war er in einer Art Alkohol-Trance gewesen. Sie flog nach den USA, nach Pittsburg, er bezahlte die Flugkarte und wünschte ihr alles Gute. In Pittsburg lebte ihr Bruder, sein Schwager, den er gerne mochte. Und ihr ehemaliger Liebhaber, den er verabscheute. Er bezahlte also die Flugkarte und zusätzlich 500 Franc für ihr Übergepäck – es war sein letztes Geld – und er lächelte und wünschte ihr alles Gute. Das war fast auf den Tag genau vor einem Jahr gewesen.

      Geblieben waren ihm Schulden, eine Wohnung, die er allein der Erinnerung wegen am liebsten angezündet hätte, und seine siebenjährige Tochter, sein Liebling, die immerfort nach der Mama fragte und die er täglich mit neuen, großartigen Geschichten belog. Und er wunderte sich wirklich, daß dieses Fragen nach dem Verbleib der Mama nie aufhörte und daß seine phantastischen Geschichten immer phantastischer wurden. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte der Kleinen von Anfang an die Wahrheit gesagt. Aber wer kann das schon. Wer kann schon in himmelblaue Kinderaugen sagen: »Unsere Mama hat uns verlassen, sie will nichts mehr wissen von uns.« Wer kann das schon! Pierre Cousteau konnte es jedenfalls nicht.

      Die Kantine war zu klein für das Sicherheitsbüro, viel zu klein, das sagten alle. Die Kaffeemaschine war zwar schon eingeschaltet, aber noch nicht richtig heiß, es war noch ein paar Minuten zu warten. Es gab nur einen Telefonanschluß – eben die Klappe 451 – und wenn man anrufen wollte, war fast immer besetzt, denn dauernd hing jemand am Hörer. Es wurden ständig Kriminalbeamte der Hauptdienstgruppe gesucht und wenn sie nicht auf ihren Zimmern waren, konnten sie nur in der Kantine sein. Denn im Hauptdienst war permanente Erreichbarkeit oberstes Gebot. Im Augenblick telefonierte Madame Brunhild, die Pächterin der Kantine. Sie gab irgendeine Warenbestellung durch und hielt einen Zettel in der Hand, eine Liste. Es war ein ziemliches Gedränge um die Bar und Madame Brunhild schrie: »Ruhe, seid doch nicht so laut.« Sie gab weiter ihre Bestellung durch. Die Kaffeemaschine begann zu zischen und zu dampfen, gleich würde es soweit sein. Das mußte man ihr lassen, der Madame Brunhild, für Ordnung sorgte sie in der Kantine. Und für Sauberkeit. Und immer war ihr weißer Geschäftsmantel blütenrein und frisch gebügelt.

      Die Kriminalbeamten unterhielten sich leiser, sie hatten die Hände in den Taschen und die Schultern hochgezogen, es war ziemlich frisch in der Kantine, um nicht zu sagen saukalt, denn die Heizung war auch eben erst eingeschaltet worden.

      Der Kaffee war ordentlich heiß. Pierre Cousteau wartete, bis die Kollegen vom Hauptdienst alle ihre Tassen hatten, denn die mußten ja gleich wieder weg. Pierre hatte keine Eile. Er setzte sich dann auch an einen Tisch und schlürfte den Kaffee im Sitzen, langsam, man mußte sich ja nicht den Schnabel verbrennen. Die Tasse war noch halbvoll, als er seinen Namen schreien hörte. Es war Matisse. »Bankalarm«, sagte Matisse dann noch laut und es wurde ganz ruhig in der Kantine.

      Pierre sah Matisse und wußte, das war kein blöder Scherz, schließlich schrieb man den achtundzwanzigsten und nicht den ersten April. Welche Idioten überfallen eine Bank um acht Uhr früh und nicht vor Schalterschluß, dachte er, Matisse hatte ein Lederholster in der Hand, mit Pistole, es war Pierres Dienstwaffe. Er warf das Ding auf das Tischchen, die Tassen schepperten. »Mach schnell, Pierre«, sagte er, »der Alte wartet auf dich im Einsatzwagen. Die anderen sind schon unten im Hof.«

      Pierre verbrannte sich nun doch den Mund mit dem heißen Kaffee. Er fluchte

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