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Das sogenannte Alte Testament. Gertrud Geddert
Читать онлайн.Название Das sogenannte Alte Testament
Год выпуска 0
isbn 9783862567379
Автор произведения Gertrud Geddert
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Im Verlauf der Jahrhunderte gab es mehrere Theorien darüber, inwieweit 1. Mose 1 und 2 genau festhalten, in welcher Reihenfolge alles erschaffen wurde und auch in welchem Zeitraum. Sind die sechs Schöpfungstage wortwörtlich als sechs Tage zu verstehen? Oder sollen wir die sechs Tage eher als sechs Epochen unterschiedlicher Dauer verstehen, oder gar als sechs Aspekte der Schöpfung Gottes? Oder geht es vielleicht nur um die literarische Form einer Erzählung?
Wenn Gott die Erde und das Weltall in einem kurzen Zeitraum erschaffen wollte, dann war das nicht unmöglich für ihn. Es ist also im Prinzip kein Problem, zu behaupten: Gott sprach, und es geschah – einfach so, aus dem Effeff, wie aus dem Ärmel geschüttelt, entstand alles in sechs mal 24 Stunden. Manche Ausleger meinen jedoch Ungereimtheiten im Text zu erkennen und werten sie als Hinweise darauf, dass diese Kapitel nicht wortwörtlich verstanden werden sollten. Sie fragen sich beispielsweise, warum es schon vor der Erschaffung von Sonne, Mond und Sternen Licht gab oder warum schon zwischen Tag und Nacht unterschieden wurde, ehe es eine Sonne gab.
Die unterschiedlichen Ansätze, den Schöpfungsbericht auszulegen, führten leider oft zu verhärteten Fronten, die es unmöglich machten, die viel wichtigeren Aussagen des Textes zu hören. Wenn wir alle unsere Kräfte in Diskussionen über die Wissenschaftlichkeit des Schöpfungsberichtes investieren, dann besteht die Gefahr, dass wir andere wichtige Gesichtspunkte aus den Augen verlieren. Unseres Erachtens ist die wichtigste Aussage des Textes die, dass wir das Entstehen des Weltalls nicht dem Zufall, sondern einem erschaffenden Gott zu verdanken haben. Es ist wichtig, dass wir Gott nicht als jemanden sehen, der irgendwo unbeteiligt im Hintergrund bleibt, sondern als jemanden, der direkt eingreift, um seinen Willen zu verwirklichen.
Es ist wichtig, dass wir berücksichtigen, in welchem geschichtlichen Kontext diese ersten Kapitel der Bibel geschrieben wurden und wie sie als Wort Gottes zum alttestamentlichen Gottesvolk sprachen. Die theologischen Gegner der damaligen Lehrer, Propheten und Autoren waren keine von Charles Darwin in die Irre geführten atheistischen Wissenschaftler. Es waren auch keine Wissenschaftler, die glaubten, das Weltall sei in Milliarden Jahren entstanden, und deren Zeitvorstellungen deshalb korrigiert werden müssten. Die Gegner des alten Israels waren die Vertreter heidnischer Religionen, die ihre eigenen Entstehungsgeschichten verbreiteten. Die Geschichten dieser Religionen unterschieden sich zutiefst vom biblischen Schöpfungsbericht: Sie sprachen von Göttern und Göttinnen und behaupteten, diese Götter hätten durch Morde und Kriege in der himmlischen Welt den Grundstein für eine ebenso gewalttätige irdische Welt gelegt.
Mose und seine Nachfolger bekämpften solche Vorstellungen und erklärten, dass es ganz anders war: Gott hatte am Anfang der Zeiten keine Gegner. Deshalb sind Mord und Krieg auch kein wesentlicher Bestandteil des Weltalls. Die Schöpfung ist gut. Sie entstand nicht dadurch, dass – wie andere behaupteten – ein Riesentier geschlachtet wurde. Selbst die Biester sind Teil der guten Schöpfung Gottes. Das Leben auf dieser Erde entstand auch nicht – wie wieder andere behaupteten – durch den magischen Einfluss der Sterne. Nein, es ist Gott, der alles erschaffen hat: Erde, Mond und Sonne ... und auch die Sterne, die in 1. Mose 1 fast nebenbei erwähnt werden. Und Gott schuf dies alles durch sein schöpferisches Wort, nicht durch Magie und nicht durch die kriegerische Macht eines Schwertes.
1. Mose 1 und 2 sind nicht als naturwissenschaftliche Abhandlungen zu verstehen. Aber sie stellen dennoch die Grundlage aller Naturwissenschaften dar. Wir erfahren dort, dass die Natur von Gott gewollt und geplant war, von Gott erschaffen und mit der Menschheit geteilt wurde. Gott beauftragte die Menschen, seinen Geschöpfen Namen zu geben. Und er gebot ihnen, den Garten zu pflegen, das heißt, verantwortlich damit umzugehen.
1. Mose 1 und 2 sind aber auch keine bloßen historischen Abhandlungen. Und dennoch stellen diese Kapitel die Grundlage der ganzen Weltgeschichte dar. Wir erfahren, wo alles begann und wozu alles dienen soll. Wir können diesen Kapiteln entnehmen, dass Gott, der Schöpfer, letztendlich für die ganze Geschichte zuständig ist. Er erschuf die Menschen zu seinem Bilde und berief sie zu seinen Mitarbeitern.
Wenn wir diesen Kapiteln gerecht werden wollen, müssen wir neben ihren Beiträgen zu Wissenschaft und Geschichte auch ihre literarische Schönheit entdecken. Dieser Text ist zugleich poetisch und wahr, kunstvoll geschrieben und doch aussagekräftig. Die Entstehungsgeschichte wird in zwei Teilen erzählt. Zuerst werden die sechs Tage aufgezählt, in denen Gott den Himmel und die Erde, die Himmelskörper, das Land und das Meer, die Lebewesen und die Menschen erschuf. Gleich darauf wird berichtet, dass Gott alles für »sehr gut« erklärte und selbst einen Ruhetag hielt. Im zweiten Teil des Textes werden dann Einzelheiten noch einmal besonders aufgegriffen und die Erschaffung von Eva als Adams Gegenüber und Partnerin betont. 1. Mose 1 beschreibt die Menschheit als den krönenden Abschluss der Schöpfung Gottes und betont Gottes Souveränität über und Zufriedenheit mit seiner Schöpfung. 1. Mose 2 betont die Rolle der Menschheit in Gottes guter Welt und vor allem die Notwendigkeit eines Lebens in menschlicher Gemeinschaft als den Kontext eines erfüllten Lebens als Treuhänder Gottes.
Was antworten wir nun Wissenschaftlern, die behaupten, unsere Welt sei Milliarden Jahre alt? Sind Christen verpflichtet, die Behauptung abzulehnen, dass die Galaxien durch einen Urknall in das Weltall hinausgeschleudert wurden? Müssen wir, um bibeltreu zu sein, die Behauptungen von Wissenschaftlern abstreiten, der Mensch stamme von den Primaten ab?
Unseres Erachtens befanden sich Theologen und Wissenschaftler wegen solcher Fragen viel zu lange im Kriegszustand. Tatsache ist, dass Wissenschaftler – Christen wie Atheisten – sich weder einig noch sicher sind, dass sie mit einer einzigen Theorie alles erklären können. Tatsache ist auch, dass sich Theologen unter sich noch weniger einig sind. Einige bekennen sich zu einer wörtlichen Interpretation der biblischen Weltentstehungslehre. Andere meinen, 1. Mose erkläre die Reihenfolge, nicht aber die Zeiträume, in denen Gott schuf. Wieder andere meinen, es gehe hier gar nicht um das Wie und Wann, sondern nur um das Warum und Von-Wem.
Wir möchten gerne die Gefahren beider Extreme dieses Spektrums aufzeigen. Auf der einen Seite ist es wichtig, dass wir als Bibelausleger uns auf das Auslegen der Bibel konzentrieren und nicht versuchen, den Naturwissenschaften hinterherzulaufen, um unsere Überzeugungen den neuesten Theorien anzupassen. Es besteht sonst die Gefahr, dass wir unsere Überzeugungen genauso oft revidieren müssen, wie die Naturwissenschaften es tun. Gott kann schließlich auch mit scheinbarem Alter geschaffen haben. Die noch größere Gefahr ist, dass wir allmählich unsicher werden, ob es überhaupt notwendig ist, an einen Schöpfergott zu glauben, um die Entstehung des Weltalls zu erklären. Wer braucht noch Gott, wenn ein Urknall alles erklärt?
Auf der anderen Seite sehen wir die Gefahr, Angst davor zu haben, Neues zu lernen und unsere Auslegungen zu überdenken. Es besteht die Gefahr, dass wir starr an Theorien festhalten, die dem widersprechen, was die meisten denkenden Menschen aus guten Gründen für sinnvoll halten. Es ist wichtig, die »Galileo-Lektion« zu bedenken. Die Kirche verfolgte damals Wissenschaftler wie Galileo Galilei (1564–1642), die glaubten, beweisen zu können, dass die Erde sich um die Sonne drehe und nicht umgekehrt. Die Kirche bestand darauf, dass die Bibel unmissverständlich ein »geozentrisches« Weltall – dass nämlich die Sonne sich um die Erde drehe – und nicht ein »heliozentrisches« unterstütze, wo die Erde um die Sonne kreist. Mit der Zeit musste die Kirche ihren Fehler einsehen – bis dahin hatten viele Wissenschaftler die damaligen Ausleger längst für unglaubwürdig erklärt.
Auch wenn wir die Ausleger respektieren, die behaupten, die Erde sei erst etwa 6 000 Jahre alt (und auch sie haben durchaus gute Argumente), so meinen wir doch, dass sie in der Gefahr stehen, den gleichen Fehler zu begehen. Wenn wir durch unser Teleskop schauen und Sternensysteme beobachten, die Millionen von Lichtjahren entfernt liegen,