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ist? Oder wohin sie sich wenden wollte?«

      Florian schüttelte den Kopf.

      »Die Sache ist so«, sagte Direktor Bergland, »Marina war heute nachmittag bei mir und hat um Urlaub gebeten. Da sie keine stichhaltigen Gründe für ihren Wunsch vorbringen konnte, habe ich das natürlich ablehnen müssen. Wußten Sie davon?«

      »Auch nicht«, sagte Florian, dann fügte er nach einem kurzen Zögern hinzu: »Sie sollten mal ihre Freundinnen fragen, Herr Direktor. Marina hat doch immer mit diesen beiden Ziegen – ich meine, Mädchen – zusammengesteckt. Die wissen bestimmt was. Die müssen doch was gemerkt haben.«

      »Leider nein«, sagte Direktor Bergland. »Lotte liegt schon seit acht Tagen mit einer Grippe im Krankenrevier, und gerade heute mittag ist auch Rike eingeliefert worden. Marina war ganz allein in ihrem Zimmer. Das hat ihr die Flucht wahrscheinlich erleichtert.«

      »Ach so. Na… dann weiß ich auch nichts.«

      »Ellmann, nun passen Sie mal auf! Ihr Vater war doch heute mittag hier. Ist da irgend etwas vorgefallen? Ich meine, hat Marina vielleicht gewünscht, den Vater zu begleiten, und er hat es ihr abgeschlagen? Oder war sonst etwas Außergewöhnliches?«

      »Stimmt!« sagte Florian und fuhr sich mit allen fünf Fingern durch das wirre Haar. »Verdammt… Entschuldigung, Herr Direktor… ja, da war was. Vater ist nämlich mit was rausgerückt. – Er will sich wieder verheiraten, hat er gesagt – Ich glaube, das ist Marina ziemlich an die Nerven gegangen. Sie hat sich gräßlich aufgeregt.«

      »Aha. Da haben wir’s. Danke schön, Ellmann, mehr wollte ich nicht von Ihnen wissen. – Mehr können Sie mir ja wahrscheinlich auch nicht sagen. Gehen Sie jetzt bitte wieder schlafen.«

      Direktor Bergland wandte sich an seinen Assistenten. »Bitte, seien Sie so nett, und bringen Sie Ellmann hinüber.«

      Dr. Bär stand auf. »Ich hätte noch eine Frage an den Jungen, Herr Direktor.«

      »Bitte.«

      »Sagen Sie mal, Ellmann, weiß Ihre Frau Mutter schon von den Heiratsabsichten Ihres Vaters?«

      Florian dachte einen Augenblick nach, dann sagte er: »Ich glaube nicht. Vater hat gesagt, wir sollten es als erste erfahren.«

      Dr. Bär warf Direktor Bergland einen vielsagenden Blick zu, bevor er mit Florian das Zimmer verließ.

      Der Direktor blieb einen Augenblick ganz still sitzen, dachte nach. Aller Wahrscheinlichkeit nach war Marina zu ihrer Mutter gefahren. War es zweckmäßig, Frau Ellmann zu benachrichtigen? Wenn Marina bei ihr ankam, würde sie sich sofort mit der Schule in Verbindung setzen, andernfalls würde die Nachricht nur unnötige Unruhe für die Mutter bedeuten.

      Direktor Bergland entschloß sich, nichts zu unternehmen. Die Polizei war benachrichtigt worden, gleich nachdem Fräulein Sabatzky das Verschwinden des Mädchens entdeckt hatte.

      Mehr war im Augenblick nicht zu tun.

      Helen Ellmann schenkte gerade dem Bankier Hansgeorg Müller, der sie nach einem gemeinsam verbrachten Abend noch auf einen Sprung in ihre Wohnung begleitet hatte, eine Tasse Mokka ein, als es an der Haustür klingelte. Sie hob den Kopf und fragte erstaunt: »Wer kann das sein?«

      Der Bankier, ein schwerer Mann mit schütterem Haar und hellen Augen hinter blitzenden Brillengläsern, zog seine farblosen Brauen hoch. »Das mußt du doch wissen, Helen!«

      »Keine Ahnung. Ich erwarte keinen Besuch. Vor allem nicht mitten in der Nacht.« Sie reichte ihm Sahne und Zucker. »Vielleicht hat sich nur jemand in der Klingel geirrt. – Die Namen an der Haustür sind im Dunkeln kaum zu erkennen.«

      Sie setzte sich, schlug die Beine übereinander und nahm einen Schluck Kaffee. »Ah, das tut gut!« sagte sie. »Ich fürchte, ich habe ein bißchen mehr getrunken, als ich vertragen kann.«

      »Bestimmt nicht«, widersprach Hansgeorg Müller sofort, »jedenfalls hat man dir nichts angemerkt.«

      Sie öffnete ihren schönen, kühngeschwungenen Mund zu einem Lächeln. »Das sagst du nur, um mich zu beruhigen.«

      Es klingelte noch einmal, diesmal stürmischer und länger.

      »Na, so was! Wer kann das bloß sein?« fragte Helen unruhig.

      »Ich glaube, du solltest doch öffnen«, sagte Hansgeorg Müller ruhig, »man sieht von der Straße her, daß du noch Licht hast.«

      Sie stand auf. »Wie du meinst. Aber herein lasse ich niemanden.« Sie ging in die Diele, betätigte den Haustüröffner, und während sie wartete, betrachtete sie sich prüfend in dem großen Garderobenspiegel. Das violette Samtkleid, das vorne hochgeschlossen und hinten tief ausgeschnitten war, brachte ihre üppige Figur vorteilhaft zur Geltung. Das tiefschwarze Haar, das sie zu einem mächtigen Knoten aufgesteckt hatte, saß tadellos, auch ihr Make-up war vollkommen in Ordnung. Nur der Blick ihrer großen dunklen Augen wirkte etwas verschwommen.

      ›Ich habe doch zuviel getrunken‹, dachte sie.

      Dann wandte sie sich zur Tür, und plötzlich schoß ihr ein Gedanke durch den Kopf. Wenn es nun Marius war, der sie so plötzlich besuchte? Seit ihrer Scheidung hatte sich Marius nicht mehr bei ihr blicken lassen. Selbst Weihnachten und Neujahr war sie allein mit den Kindern gewesen. Es war ganz unwahrscheinlich, daß er sie so plötzlich aufsuchte. Dennoch – Helen Ellmann glaubte, ihren geschiedenen Mann zu kennen. Wenn er noch einmal zu ihr fand, würde er es überraschend tun.

      Als sie die Tür öffnete, schlug ihr das Herz bis zum Hals. Fast war sie darauf gefaßt, Marius in der nächsten Minute vor sich zu sehen – aber es war ihre Tochter. Marinas Gesicht war blaß und verstört, ihr dunkles Haar, das sie sonst als Pferdeschwanz trug, hatte sich aufgelöst.

      »Marina!« rief Helen Ellmann verblüfft. »Ja, um Himmels willen, was ist denn geschehen? Du hast doch keine Ferien… oder? Wie kommst du nach Düsseldorf? Warum hast du nicht… ?«

      Marina ließ ihre Mutter nicht zu Ende reden, sondern warf sich in ihre Arme. »Mami! Mami!«

      Helen Ellmann stieß rasch die Wohnungstür zu. Eine Ahnung von dem, was geschehen war, stieg in ihr auf. »Bist du etwa ausgerissen?« fragte sie.

      Marina löste sich aus den Armen ihrer Mutter, sah sie aus fiebrig glänzenden Augen an. »Es ist etwas Entsetzliches passiert!«

      »Was denn? Um Himmels willen, so rede doch, Marina! Ist Florian… ?«

      »Nein, mit Florian ist nichts, es ist nur… Vater…«

      »Bitte, sprich leise, Marina«, sagte Helen erschrocken, »ich bin nicht allein!«

      »Du… du bist nicht…« Marinas Blick glitt von der Mutter zu der Kleiderablage, sie sah Hansgeorg Müllers schweren Ulster, seinen Hut. Sie verstand oder glaubte zu verstehen. »Ach, so ist das also«, sagte sie wild, »so ist das! Wenn ich das gewußt hätte! Und ich Idiot fahre bei Nacht und Nebel zu dir nach Düsseldorf, will dich warnen, will dir helfen… und du! Verdammt, dann ist es dir ja wahrscheinlich ganz egal, daß es so gekommen ist! Eigentlich hätte ich’s mir denken können.«

      »Was denn? Wovon sprichst du?« fragte Helen Ellmann tief beunruhigt.

      »Vater wird wieder heiraten. Aber für dich ist das ja höchstwahrscheinlich keine Sensation!« Marina wurde von einem Schluchzen geschüttelt. Mit tränenerstickter Stimme rief sie: »Ich bin so unglücklich! Ich…« Sie flüchtete in das Zimmer am Ende der Diele. Helen, die fassungslos dastand, hörte, wie die Tür von innen zugeschlossen wurde.

      Schwestern eilten durch die Gänge des Krankenhauses, zogen die hellen Vorhänge zurück. Das graue Licht des aufkommenden Tages brach herein.

      Rechtsanwalt Kreuger und seine Frau saßen auf der schmalen Holzbank und starrten vor sich hin, ausgehöhlt vor Angst und Müdigkeit. Neben ihnen stand ein nervös wirkender Mann. Er hatte die Hände in die Taschen seines Mantels gebohrt, den Kopf zurückgelehnt. Niemand sprach ein Wort.

      Schritte eilten vorbei,

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