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In zweiter Ehe. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название In zweiter Ehe
Год выпуска 0
isbn 9788711718957
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Seine Frau schlug die Augen auf und sah ihn an. Aber sie sprach nicht aus, was sie dachte. »Ich bete«, sagte sie nur.
Eine Tür öffnete sich, und die beiden fuhren herum.
Es war nicht die Tür zum Operationssaal, die sich bewegt hatte, sondern eine kleinere, etwas weiter entfernte. Eine Schwester kam aus dem Waschraum. Sie war jung, hielt sich sehr gerade, und ihr Gesicht unter dem weißen Häubchen wirkte ernst.
Frau Kreuger sprang auf. »Schwester! Ist etwas passiert?«
Eine Sekunde sah sie die Schwester erstaunt an; sie war ganz bei der vor ihr liegenden Aufgabe gewesen. Dann erst begriff sie. »O nein, nicht das Geringste!« sagte sie mit einem raschen Lächeln. »Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, wirklich nicht.«
»Wie lange wird es noch dauern?« fragte Rechtsanwalt Kreuger.
Die Schwester zuckte mit den Schultern. »Nicht mehr sehr lange, Doktor Kapellen muß nur noch nähen.«
Sie hatte sich schon abgewandt, ging mit weit ausholenden Schritten den Gang entlang, als sie sich noch einmal umdrehte. »Trotzdem würde ich Ihnen raten, jetzt zu Bett zu gehen«, sagte sie freundlich. »Es hat keinen Zweck, daß Sie hier warten. Sie könnten die Patientin bestimmt nicht vor morgen früh sprechen.«
Ohne die Reaktion des Ehepaares abzuwarten, eilte sie weiter.
Frau Kreuger ging zu dem Stahlrohrsessel zurück, setzte sich. Ihr Mann blieb zögernd stehen. »Sabine«, sagte er und räusperte sich, um seine Stimme frei zu bekommen, »ich glaube, ich werde telefonieren…«
Sie sah ihn an. »Ich verstehe nicht…«
»Ich werde versuchen, Marius Ellmann zu erreichen. Ich denke, er sollte es wissen!«
Die Uhr auf dem kleinen Turm des Schulgebäudes schlug Mitternacht. Die Gebäude des Internats lagen dunkel und in tiefster Ruhe.
Da flammte im Direktionszimmer Licht auf. Wenig später eilte der Pedell über den Hof, erklomm keuchend den Hügel zu dem hochgelegenen Jungenwohnhaus, pochte mit kräftigen Schlägen gegen die schwere eichene Tür.
Die Schläge hallten durch die Stille der Nacht, die Jungen fuhren in ihren Betten hoch. Das ungewöhnliche Ereignis wirkte alarmierend. Aus einigen der Zimmer und vor allem aus den großen Schlafsälen der Kleineren rannten die Jungen mit nackten Füßen auf den Gang, rasten die steinerne Treppe hinunter, um sich nur ja nichts von dem nächtlichen Abenteuer entgehen zu lassen. Sie kamen gerade noch zurecht, um mitzuerleben, wie Dr. Schmelzer, der Hausleiter, dem Pedell die Tür aufschloß, und ehe er sie noch verscheuchen konnte, hatten sie erfahren, was sie wissen wollten.
Mit Begeisterung verteilten sie die Nachricht durch das ganze Haus: »Ellmann muß zum Direktor kommen!« Einige Phantasiebegabte schmückten diese Nachricht sofort aus: »Ellmann hat was ausgefressen!« – »Ellmann ist mit einem Mädchen erwischt worden… im Wäldchen!« – »Ellmann hat dem Direx eine Stinkbombe mit Zeitzünder in die Wohnung geschmissen!«
Florian Ellmann hatte sich, als die alarmierenden Schläge ihn aus dem Schlaf rissen, knurrend auf die andere Seite gedreht und sich das Kopfkissen fest über die Ohren gezogen. Er haßte den Schulbetrieb, und er haßte das Internatsleben. Der Augenblick, wenn er abends in sein Bett steigen konnte, um endlich mit sich und seinen Träumen allein zu sein, war für ihn der schönste des Tages.
Aber als seine Stubenkameraden ihn an den Schultern rüttelten und ihm die Decke wegzogen, sträubte er sich, ihre Mitteilung zur Kenntnis zu nehmen.
»Menschenskind, Ellmann, begreifst du denn nicht?! Du bist dran, der Direx…«
Die Jungen schwiegen und zogen sich rasch in ihre Betten zurück, als Dr. Schmelzer, einen Mantel über dem Schlafanzug, eintrat. »Ellmann!« sagte der Hausleiter ruhig. »Bitte stehen Sie auf! Der Herr Direktor möchte Sie sprechen!«
»Jetzt!?« Florian riß die verschlafenen Augen auf. »Ausgerechnet jetzt? Mitten in der Nacht? Was ist denn passiert?«
»Kommen Sie, kommen Sie!« drängte Dr. Schmelzer. »Ziehen Sie sich an… es genügt, wenn Sie Strümpfe und Schuhe nehmen und Ihren Mantel überziehen. Beeilen Sie sich!«
Florian folgte der Anweisung des Hausleiters mit mürrischem Gesicht. Seine aufreizende Art, allen Anordnungen seiner Lehrer nur langsam und widerwillig zu folgen, hatte ihm seit langem viele Sympathien verscherzt. Dr. Schmelzer wartete ungeduldig, aber schweigsam.
Endlich hatte Florian sich seinen Wintermantel angezogen. »Na dann…«, sagte er lustlos und stapfte hinter Dr. Schmelzer her über den Gang.
Von allen Seiten öffneten sich die Türen, und neugierige Jungenaugen verfolgten Florians Abmarsch. Ihm war durchaus nicht wohl in seiner Haut. Er konnte sich zwar nicht entsinnen, in letzter Zeit etwas angestellt zu haben, aber er hatte die Erfahrung gemacht, daß man bei den Erwachsenen nie wissen konnte, was sie wieder einmal ausgeheckt hatten. Florian wußte, daß seine Leistungen in Latein, Physik und Mathematik miserabel waren und seine Versetzung trotz aller Nachhilfestunden mehr als unsicher war. Ohne links und rechts zu sehen, folgte er Dr. Schmelzer aus dem Haus und über den dunklen Hof. Eine unbestimmte Angst saß in ihm. Irgend etwas Schlimmes mußte passiert sein, dachte er, wenn man ihn zu dieser Stunde zum Anstaltsleiter holte.
Direktor Bergland saß im dunkelgrauen Anzug hinter seinem Schreibtisch, zu seiner Rechten der junge Dr. Bär, sein Assistent, in einem rot-weiß gestreiften Bademantel.
Die Stimme des Direktors klang anders, als Florian es erwartet hatte. Verhältnismäßig milde sagte er zu Dr. Schmelzer: »Vielen Dank, lieber Kollege… es tut mir sehr leid, daß ich Sie und den Jungen geweckt habe. Ich hoffe nur, daß das Haustelefon morgen endlich repariert werden kann. Sie brauchen nicht zu warten, Doktor Bär wird den Jungen nachher wieder zurückbringen.«
Dann wandte er sich an Florian: »Guten Abend, Ellmann – nehmen Sie doch Platz.«
Florian setzte sich gehorsam. Er war von Unruhe erfüllt und strich sich verlegen durch das dunkle, vom Schlaf zerzauste Haar. Direktor Bergland betrachtete ihn aufmerksam, bevor er sich entschloß, weiterzureden. Er rekapitulierte im Geist alles, was er über diesen Jungen wußte. Florian war ein höchst mittelmäßiger Schüler, dessen einzige Stärke in einer gewissen Begabung für neue Sprachen lag. Außerdem zeichnete und malte er mit großer Freude, aber in den naturwissenschaftlichen Fächern war er ein glatter Versager. Er war ein ausgesprochener Einzelgänger, beteiligte sich selten an Streichen und Raufereien, war bisher noch nie bei einer Unehrlichkeit ertappt worden. »Florian Ellmann ist selbst zum Lügen zu faul«, hatte sein Klassenlehrer einmal auf einer Konferenz gesagt, und Direktor Bergland mußte trotz des Ernstes der Situation ein wenig lächeln, als er daran dachte.
Florians dunkles Gesicht hellte sich bei diesem Lächeln auf. Er war ein aufgeschlossener, schlaksiger Junge, dessen kräftige Nase in dem noch unfertigen Gesicht übergroß wirkte.
»Haben Sie eine Ahnung, Ellmann, warum ich Sie habe holen lassen?« fragte er.
Florian sah dem Direktor gerade in die Augen und schüttelte den Kopf.
»Es handelt sich um Ihre Schwester.« Direktor Bergland machte eine kleine Pause.
Florian reagierte nicht. Alles, was Marina betraf, war ihm ziemlich gleichgültig, und er hatte keine Ahnung, worauf der Direktor hinauswollte.
Der Direktor räusperte sich. »Sie ist aus dem Internat verschwunden!«
Jetzt riß Florian die Augen auf. »Ver…«, stotterte er, »soll das heißen, sie ist ausgerissen?«
»Es sieht so aus. Fräulein Sabatzky hat bei ihrem letzten Rundgang festgestellt, daß Marinas Bett unberührt war. Auch ihr Mantel und ihre Handtasche fehlen. Sie muß zum Fenster hinausgeklettert sein.«
»Toll!« sagte Florian, halb verblüfft, halb bewundernd.
»Ich frage Sie nun, Florian – bitte, antworten Sie mir ehrlich… Hat Ihre Schwester