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ging. Er traf allerdings in einem kleinen Café Joy Cawler, aber die Verabredung bezog sich nicht auf ein Stelldichein. Joy hatte ihm versprochen, ihm heute das Haus zu zeigen, in dem Lydia Soelter Wohnung genommen hatte.

      Es war eigentlich kein Haus zu nennen, dieser Wohnsitz der jemenitischen Gesandtschaft mitten im Eingeborenenviertel Adens, viel eher ein ganzer Komplex von Gebäuden. Lehmgebackene hohe Mauern mit blinden oder holzvergitterten Fenstern und maurischen Ornamenten, Vorhöfe, ausgedehnte Seitenflügel, sogar ein schlankes Minarett, das sich nadelspitz über dem Innenhofe erhob. Detlev stand lange im Schatten eines Torweges gegenüber dem Gebäude und betrachtete unruhig die Fenster. Wie ein Gefängnis sah dies aus, die hohen Mauern, hinter dem Hof erst hoch oben die kleinen Fenster mit ihren gitterartigen Holzverkleidungen.

      „Sie spähen umsonst, Mr. Ring,“ sagte Joy mit gutmütigem Spott. „Es wird kein Tüchlein aus irgendeinem Fenster da oben wehen, und die schöne Laila wird auch nicht hinter Schleiern auf Sie herabblicken. Sie hat nämlich Besuch zurzeit.“

      „Besuch?“

      „Yes. Sie müssen sich nicht etwa einbilden, daß Laila — verzeihen Sie, Mrs. Soelter — so etwas wie eine Gefangene in diesem für arabische Begriffe fürstlichen Palast da ist und sich etwa nach dem blonden Königssohn sehnt, der sie trotz Aufseher und Wächter, aus ihrem Verlies herausholt. So romantisch ist die Sache gar nicht. Mrs. Soelter hat das Hotel ‚Majestic‘ mit diesem Haus freiwillig vertauscht aus Gründen der hohen Politik. Sikri ben Abdullah, ihr Adjutant oder Berater, hat ihr die Zweckmäßigkeit dieses Wohnungswechsels klar gemacht. Es scheint, daß sich mehr Leute hier in Aden für Mrs. Soelter interessieren, als den jemenitischen Diplomaten recht ist.“

      „Wohnt der Araber auch da drüben?“

      „Sikri ben Abdullah? O nein! Der ist ein viel zu strenger Rechtgläubiger, als daß er mit einer weißen Frau, die so schamlos ist, ihr Antlitz allen Männern preiszugeben, unter einem Dache wohnen sollte. Es wohnt überhaupt keiner von der Gesandtschaft hier. Die braunen Gentlemen sind in einem anderen Palast abgestiegen als Gastfreunde eines hier ansässigen vornehmen Hamdaniten. Mrs. Soelter haust allein hier mit einigen ihr anscheinend treu ergebenen Dienern. Das heißt, wie treu sie sind, wollen wir dahingestellt sein lassen, denn bei einem Araber weiß man nie genau, wie weit seine Ergebenheit reicht.“

      Detlev starrte noch immer nach den Fenstern. „Sie sagten, Mrs. Soelter habe Besuch?“ fragte er, ohne den Blick zu wenden.

      „In der Tat. Bewundern Sie meine journalistische Allwissenheit, Mr. Ring! Ich kann Ihnen wahrheitsgemäß berichten, daß eben um diese Stunde Captain Nicholls einer Einladung Mrs. Soelters gefolgt ist und irgendwo da oben hinter den Gitterfenstern seinen Mokka nimmt.“

      „Ach, der nette Captain vom Kamelreiterkorps? Er kennt wohl Frau Soelter bereits länger?“

      „So weit gehen meine Informationen nicht, aber es ist leicht möglich, daß er sie früher bereits kennengelernt hat. Nicholls ist als Beauftragter, des Gouverneurs oft im Jemen und in Assir gewesen. Sein Besuch bei Mrs. Soelter heute hat auch einen diplomatischen Anstrich. Meine Verbindungen reichen leider nicht so weit, daß ich Ihnen sagen könnte, was und worüber er mit ihr verhandeln soll, aber ich weiß immerhin, daß er offiziell im Auftrag des Gouvernements sie um diese Unterredung gebeten hat. Allerdings ...“ Joy sah Detlev, dessen Gesicht unwillkürlich eine deutliche Erleichterung zeigte, teilnehmend an ... „Es tut mir leid, Mr. Ring, aber als gewissenhafte Berichterstatterin bin ich verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, daß den guten Captain Nicholls nicht nur die Dienstpflicht in das Haus da treibt. Er hat ein sehr starkes und ausgesprochen menschliches Interesse an der Dame.“

      „Woher wissen Sie das? Hat er es Ihnen gesagt?“

      Joy lächelte überlegen. „Meine Augen sind noch leidlich gut, und ich habe sie gestern abend auf dem Fest offen gehalten. Mehr gehört nicht dazu, um festzustellen, daß Captain Nicholls ebenso blind verliebt ist in die geheimnisvolle Dame wie — Sie selbst, Mr. Ring!“

      Detlev zog unwillig die Augenbrauen zusammen. „Ich denke nicht daran, Miß Cawler.“

      „Möglich, daß Sie nicht daran denken. Aber so etwas hat auch nichts mit dem Denken zu tun, sondern höchstens mit dem Fühlen.“

      Nun mußte auch Detlev lächeln. Seine Augen rissen sich langsam von dem schweigenden Haus los. „Sie triefen ja förmlich von Weisheit, Miß Cawler!“

      „Weil ich eine kluge alte Dame bin.“ Joy warf einen Blick auf die immer länger und dunkler werdenden Schatten in der Gasse. „Wollen wir jetzt weitergehen, Mr. Ring? Die Dunkelheit kommt hier schnell, und bei der miserablen Beleuchtung hier im Araberviertel kann man sich Hals und Beine brechen.“

      Detlev nickte zögernd. Es hatte wirklich keinen Sinn, wie ein verliebter Primaner hier zu stehen und das Haus anzustarren. Er nahm sich vor, heut abend noch einen kurzen Brief zu schreiben und Lydia Soelter um ein Wiedersehen zu bitten. Irgendein Bote würde sich ja wohl im Hotel finden, der den Brief ohne Zeitverlust in ihre Hände bringen könnte. Er war mit Joy schon ein Stück die Gasse hinaufgegangen, als er plötzlich stehen blieb und verwundert zurücksah. Vier oder fünf Araber waren eben auf der anderen Seite der Gasse vorübergegangen. Sie trugen nicht den Turban der Jemeniten, sondern den Stirn- und Nackenschleier der Beduinen und hatten außerdem Mund und Nase mit Tüchern umwickelt nach Art der nordafrikanischen Tuaregs. Tuaregs oder verwandte Stämme aber gab es hier in Aden natürlich nicht. Detlev, dem diese Unterschiede in der Bekleidung der Araber nicht so geläufig waren, hätte vielleicht den Männern nicht soviel Beachtung geschenkt wie Joy, die ihnen interessiert nachschaute, wenn ihn nicht etwas anderes stutzig gemacht hätte. Gleich hinter den Arabern kam ein Auto, ein geschlossener, ziemlich hochrädiger Ford, an dessen Steuer ebenfalls ein Araber saß. Der Wagen fuhr langsam die Gasse hinunter, so langsam, daß es aussah, als ob er mit den rasch ausschreitenden Männern gleichen Schritt halten wollte.

      Es war schon reichlich dunkel, aber die helle, weißgelbe Front des Gesandtschaftshauses war noch deutlich erkennbar. Detlev sah genau, wie die vier Araber dort Halt machten und anscheinend mit dem Pförtner oder sonst jemand im Innern durch die kleine Pforte in der Außenmauer verhandelten. Kaum zehn Schritte weiter hatte auch das Auto Halt gemacht. Plötzlich gewahrte Detlev, wie eine rasche Bewegung durch die Gruppe ging. Die Pforte mußte wohl von innen geöffnet worden sein. Ein Arm stand eine Sekunde lang steil in die Luft gereckt, Detlev hörte einen gurgelnden Laut wie den Notruf eines Mannes, den harte Fäuste im Entstehen erstickten. Dann huschten die Araber rasch und lautlos durch die Pforte.

      „Was war das, Miß Cawler?“ Detlev wandte sich erregt zu Joy, die ebenfalls befremdet nach der Pforte sah. „Gehört das etwa zu den üblichen Besuchszeremonien hier bei den Arabern?“

      „N ... ein.“ Joy schüttelte verwundert den Kopf. „Das sah ja förmlich aus, wie ...“

      „Wie ein Überfall!“ Detlevs Stimme flog vor Erregung. „Kommen Sie! Wir müssen sofort hin!“

      Die Amerikanerin haschte nach seinem Rockärmel und hielt ihn fest. „Nicht so schnell, Mr. Ring! Ich glaube, wir tun am besten, wenn wir uns nicht in diese Dinge mischen.“

      „Aber Ly ... Frau Soelter! Wenn Sie etwa in Gefahr ...“

      „Die Verhältnisse um diese Dame sind ebenso mysteriös wie sie selbst. Wir wissen nicht, was da vorgeht, und die Araber können höchst ungemütlich werden, wenn man sich unberechtigterweise in ihre eigenen Angelegenheiten mengt. Vergessen Sie nicht, daß Mrs. Soelter nicht allein ist! Captain Nicholls ist bei ihr und wird sie vor einer etwaigen wirklichen Gefahr schon zu schützen wissen.“

      „Ist er wirklich im Haus? Sind Sie dessen ganz sicher?“

      „Absolut.“

      Detlev zögerte. Aber seine innere Unruhe war zu groß. Er riß sich los und begann die Gasse zurückzugehen. „Warten Sie hier auf mich, Miß Cawler! Ich muß wissen, was das eben zu bedeuten hatte!“

      „Wenn Sie müssen ... dagegen läßt sich nichts machen.“ Joy hatte ihn mit zwei Sprüngen eingeholt und ging an seiner Seite. „Aber dann gefälligst nicht ohne mich.“

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