ТОП просматриваемых книг сайта:
Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland. Volker Elis Pilgrim
Читать онлайн.Название Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland
Год выпуска 0
isbn 9783955101473
Автор произведения Volker Elis Pilgrim
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Anglo- und deutsche TV-Produzenten planen neue Mammut-Serien über Hitler.
Und doch ist noch immer ein Rest des Unerklärlichen an Hitler hängen geblieben. Der erste Nach-45-Hitler-Biograf von Weltrang, Alan Bullock, sagte gegen Ende seines Lebens zu seinem amerikanischen Kollegen Ron Rosenbaum, je mehr er sich mit Hitler beschäftigt habe, umso unverständlicher sei ihm der Diktator geworden. »Da bleibt«, so auch der britisch-australische Historiker und Bestsellerautor Christopher Clark resignativ, »etwas Unbegreifliches«.
Die alten Versuche der Annäherung an Hitler mit Hilfe von Kategorien aus Psychiatrie und Psychoanalyse haben Hitler nicht enträtselt. Ian Kershaw summierte zur Jahrtausendwende: »Die Interpretationen von Adolf Hitlers Verhalten aus Ursachen frühkindlicher Störungen sind gescheitert.«
Zwei Besonderheiten in Hitlers Wirken und Persönlichkeit überragen alle anderen seiner Abnormitäten:
Erstens. Hitler war ein ungewöhnlicher Serienkiller.
Obwohl Massenmörder und Terroristen ebenfalls wiederholte Tötungen begehen, sind Serienkiller kriminologisch etwas phänotypisch anderes als Massenmörder, Terroristen und auch Amokläufer. Serienkiller leiden unter einer sexuellen Anomalie. Sie haben einen Drang zu morden, um sexuelle Befriedigung zu erlangen. Sie wurden früher »Triebtäter« oder »Lustmörder« genannt – Begriffe, die dieser Eigenart männlichen Mordens sehr nahe kamen und zu Unrecht in der Fach-Terminologie aufgegeben wurden.
Was Serienkiller mit ihren Händen tun, tat Hitler aus seinem Kopf heraus. Er wirkte schon ab 1919 darauf hin, dass Menschen von seinen – um ihn gescharten – Horden gequält und getötet wurden. Er befahl als Staatsführer Quälungen und Ermordungen fließbandhaft sofort von Februar 1933 an und machte damit bis zu seinem Selbstmord im »Führer«-Bunker am 30. April 1945 nicht Schluss. Adolf Hitler als Serienkiller zu definieren heißt deshalb, er tritt diesmal nicht als Psycho path auf – wie jahrzehntelang missverstanden –, sondern als Sexo path.
Es geht in Hitler 1 und Hitler 2 auch immer wieder um »profane« Serienkiller. Ohne ihr Spiegeln des Extrems würde Adolf Hitler nicht klar erkennbar werden. Außerdem sind Serienkiller ebenfalls immer noch eine terra incognita, ein maskulines Rätsel.
Maskuline Rätsel sind seit über vierzig Jahren Gegenstand meiner Untersuchungen. Ich arbeite neben Walter Hollstein, Klaus Theweleit und Wilfried Wieck für die Männerforschung, die universitär nicht etabliert ist. Es gibt an deutschen Universitäten inzwischen rund zweihundert Lehrstühle für Frauenforschung, jedoch keinen einzigen für Männerforschung!
Meine erste Veröffentlichung im Mai 1971 galt Albrecht Dürer, den ich zur Feier seines fünfhundertsten Geburtstags als homosexuell outete – was 2003 vom Nürnberger Dürer-Haus offiziell bestätigt wurde. Meine zweitjüngste Publikation Die Königsfälschung von 2009 behandelt den »Sonnenkönig« Louis XIV: Der Initiator des Absolutismus war kein gebürtiger Bourbone, sondern ein von der römischen Kardinalskorporation dem unfruchtbaren Königspaar untergelegtes süditalienisches Klappenbaby. Schon bei Ludwig 14 gab es eine Wesensveränderung, wenn auch aus ganz anderen Gründen als bei Hitler: Zuerst war Louis XIV ein unauffälliger Landesfürst, der aus den Fugen geriet, nachdem er am Sterbebett seiner Offizialmutter Anne d’Autriche erfahren hatte: Er verdankte seine Position des Königs von Frankreich nicht dem Gottesgnadentum, sondern einem Coup d’État, vollführt von den Kardinälen Richelieu und Mazarin.
Ob über Bismarck, Freud, Goethe, Marx, Mozart, Napoleon, Nietzsche, Luther, Rathenau, Reagan, Stalin und Wagner oder den »Mann auf der Straße«, es handelt sich in den meisten meiner Bücher um ungewohnte Perspektiven auf den Mann und seine männerbündische Gesellschaft. Ich studierte zwischen 1961 und 1968 bis zum Dr. jur. Geschichts- und Rechtswissenschaft, Psychoanalyse und Soziologie an den Universitäten Göttingen und Frankfurt am Main. Acht meiner zwischen 1973 und 2009 publizierten sechzehn Bücher behandeln Themen der Geschichtsschreibung, zwei berühren Hitler (Muttersöhne, 1986, und »Du kannst mich ruhig ›Frau Hitler‹ nennen«, 1994).
Bereits als Student beschäftigte ich mich in den Seminaren von Strafrechtlern, Kriminologen und Soziologen mit Serienkillern. Meine Universitätslehrer auf diesem Gebiet waren Friedrich Geerds, Jürgen Habermas, Klaus Lüderssen, Eberhard Schmidhäuser, Curt und Ilse Staff und die hessische Frauengefängnis-Direktorin Helga Einsele, deren Nachfolgerin Eva von Pilgrim wurde. Während meines Studiums in den 1960ern machte in Nordrhein-Westfalen der jugendliche »Kirmesmörder« Jürgen Bartsch Schlagzeilen und lieferte – gemeinsam mit seinen Vorläufern, dem »Schlächter von Hannover« Fritz Haarmann und dem »Vampir von Düsseldorf« Peter Kürten – erstes Material für eine Definition des befremdlichen Tätertyps »Serienkiller«.
Zweitens. Hitler erscheint biografisch nicht einheitlich.
Es gibt »zwei Hitlers«, den frühen unauffälligen Hitler 1 – bis 29-jährig – und den historisch wirksamen Hitler 2 in seinem Alter von 30 bis 56.
Ist in der Hitler-Forschung die Auseinandersetzung mit Hitlers Serienkiller-Anlage eine Neuheit, so haben sich schon mehrere Autoren dem Phänomen der »zwei Hitlers« genähert, u. a. in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Publikationen Anton Joachimsthaler mit Korrektur einer Biographie (1989), Brigitte Hamann mit Hitlers Wien (1996), Anna Maria Sigmund mit Diktator, Dämon, Demagoge (2006), Dirk Bavendamm mit Der junge Hitler (2009), Ralf Georg Reuth mit Hitlers Judenhass – den es bei Hitler 1 noch nicht gab – (2009), Thomas Weber mit Hitlers erster Krieg (2010/2012) – behandelnd einen Hitler, der als Soldat des Ersten Weltkriegs seine weltbekannten Negativa noch nicht »draufgehabt« hatte – sowie Henrik Eberle mit Hitlers Weltkriege. Wie der Gefreite zum Feldherrn wurde (2014) – eine Gegenüberstellung der zwei Hitler-»Ausgaben«, wie sie sich im Ersten und im Zweiten Weltkrieg jeweils betätigten.
Hitler 1 war weder politisch begabt noch antisemitisch fanatisiert. Schon Autoren wie Erich Fromm und Joseph Stern haben sich mit einer weiteren Auffälligkeit am frühen Hitler beschäftigt: Hitler 1 war ein willenloser, Publikums-scheuer »Sonderling« (Hitlers eigenes Wort für seine Selbstkennzeichnung als Hitler 1), der vor mehr als fünf Personen nicht reden konnte und nicht wagte, sich auf eine Empfehlung hin bei einem bekannten Wiener Bühnenbildner vorzustellen. Er war ein »Schöngeist«, ein privatisierender, sich in Malerei, Architektur und Musik versuchender Dilettant, jedoch nicht imstande, Prüfungen zu bestehen.
Hitler 1 war praktisch und ideell kein »Gewaltmann«, stattdessen ein körperlich fragiler »Weichling«, der Offiziere nicht mochte, sich vier Jahre lang seiner Stellungspflicht entzog und der bei seiner erzwungenen Musterung für den österreichischen Militärdienst im Februar 1914 als untauglich eingestuft wurde. Über diese Besonderheiten gibt es genügend Zeugnisse aus seiner österreichischen Jugend- und seiner deutschen Soldatenzeit – allen voran August Kubizeks Adolf Hitler. Mein Jugendfreund, Franz Jetzingers Hitlers Jugend. Phantasien, Lügen und die Wahrheit, Bradley f. Smiths Adolf Hitler. His Family, Childhood and Youth und Fritz Wiedemanns Der Mann, der Feldherr werden wollte. Hitlers militärischer Vorgesetzter im Ersten Weltkrieg, sein späterer Adjutant als Bürochef in der Reichskanzlei, Wiedemann, zeigt einen Hitler 1, der nicht führen konnte und nicht vorstehen wollte und deshalb nie zum Offizier befördert wurde.
Aufgrund dieser riesigen Differenzen zwischen den zwei Hitler-»Ausgaben« wurde bisher vergeblich versucht, mit dem erwachsenen Hitler 2 den jugendlichen Hitler 1 zu interpretieren oder Hitler 2 aus Hitler 1 herzuleiten. Alle diesbezüglichen Versuche gingen ins Leere, da Hitler 1 und Hitler 2 voneinander so verschieden waren, als hätte es sich um andere Personen gehandelt.
Wie kam es zu der Wesensveränderung und vor allem wann und wo? Dieser Vorgang ist das Hauptthema des Zyklus, das alle Bände durchzieht. Die Nahtstelle zwischen Hitler 1 und Hitler 2 war seine Zeit vom 21. Oktober bis zum 19. November 1918 als damals »hysterisch« diagnostizierter »gasvergifteter« Soldat in einer sanitären Spezial-Station für »Kriegsneurotiker«,