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breitgewischt und sah nun schrecklich aus. Sie hatte sehen wollen, was hier oben vorgehe und sich heraufgetappt.

      »Was ist's denn? Was jammerst Du, Marie?«

      »Der Vater stirbt! Der Vater stirbt!« jammerte die Gefragte. »Gott, mein Gott! Kann mir denn niemand helfen?«

      »Er stirbt? O, Du mein Heiland! Und ich kann nicht sehen!« klagte die Blinde. »Ist denn weiter niemand da?«

      »Ja, es ist Jemand hier,« ertönte die Stimme des frommen Mannes. »Gott läßt selbst den Unbußfertigen nicht allein in seiner letzten Stunde.«

      »Sie, Herr Seidelmann? So haben Sie ihn gewiß wieder einmal bis auf's Blut geärgert. Kein Mensch kann das so gut wie Sie!«

      »Weib, zügle Deine Zunge! Hier hat Gott gerichtet. Der Sohn dieses Mannes sitzt als Einbrecher im Gefängnisse. Der Vater trägt die Schuld an den Thaten dieses ungerathenen Buben; darum wurde er von Gott mit dem Tode bestraft. Und doch ist die ewige Gerechtigkeit nicht ganz ohne Barmherzigkeit. Die Gnade des ewig Langmüthigen hat den Alten abgerufen, damit er die Verurtheilung seines Sohnes nicht erleben möge.«

      Die Blinde hatte sich ihm genähert. Es war, als ob ihr die Augen aus dem Kopfe treten wollten, so waren dieselben dahin gerichtet, wo der Vorsteher stand.

      »Wie?« fragte sie mit bebender Stimme. »Robert soll ein Einbrecher sein? Er soll im Gefängnisse sitzen?«

      »Ja. Ich war bei ihm.«

      »Sie haben ihn im Gefängnisse gesehen?«

      »Mit diesen meinen Augen!«

      »Und Sie sind dann hierher geeilt, um seinem Vater die Kunde zu überbringen?«

      »Wie lieblich sind die Füße der Boten, welche Frieden predigen und das Heil verkündigen!«

      »Den Frieden und das Heil?« fragte sie mit erhobener Stimme. »Herr Seidelmann, wenn Sie wirklich die Wahrheit reden, wenn Robert wirklich im Gefängnisse steckt, so ist er sicher unschuldig! Sie selbst aber gehören hinein. Sie sind der Mörder, der vorsätzliche Mörder dieses braven Mannes, dessen Familie nur den einen Fehler begangen hat, ein Logis zu bewohnen, dessen Administrator Sie sind. Die weltliche Obrigkeit kann Ihnen wohl nichts anhaben, aber Gott wird Sie richten!«

      Da rief er ihr zornig entgegen:

      »Was höre ich? Ist denn der Antichrist in Gestalt einer blinden Frau auf die Erde gekommen? Diese Menschen sind allzumal Sünder, Einer wie der Andere. Und in diesem Hause ist das Verderben größer als zur Zeit Noah, da die Sündfluth hereinbrach. Weiß denn die Frau Fels bereits, warum ihr Sohn seit gestern nicht nach Hause gekommen ist?«

      »Jedenfalls, weil er zu arbeiten hat!«

      »Jetzt nicht. Aber später wird er zu arbeiten haben. Wolle zu zupfen und Flachs zu spinnen im Zuchthause!«

      »Im Zuchthause?« rief sie. »Was soll das bedeuten?«

      »Nun, ist gestern nicht sein Principal hier gewesen, um die Maschine des Engländers zu sehen? Ist diese Maschine nicht von der Polizei abgeholt worden? Wilhelm Fels hat Arbeitsmaterial unterschlagen und ist gestern Mittag arretirt worden.«

      »Arretirt!« kreischte die Blinde auf.

      »Arretirt!« schrie auch Marie, indem sie sich entsetzt von der Leiche wegwendete und zur Mutter des Geliebten herüberwankte. »Frau Fels, glauben Sie das nicht, glauben Sie das nicht!« jammerte sie.

      »Glaubt es oder glaubt es nicht!« sagte der Vorsteher. »Ich habe vorhin mit ihm gesprochen, er aber in seiner Verstocktheit hat den Boten der Gnade und des Friedens von sich gewiesen. Er wird dahin kommen, wo Heulen und Zähneklappern ist.«

      »Marie – Marie – mir wird – mir wird so schlimm – so sehr schlimm – so sehr schlimm,« klagte die Blinde.

      Das arme Mädchen wollte die alte Frau stützen und aufrecht halten; aber es gelang ihr nicht. Schwer wie Eisen glitt die Blinde zu Boden nieder, mitten in das Blut hinein.

      »Der Herr ist ein gerechter und eifriger Gott, der da heimsuchet die Sünden der Väter an den Kindern bis in's dritte und vierte Glied! Denen aber, welche seine Wege wandeln, läßt er seine Gnade leuchten bis in alle Ewigkeit.«

      Mit diesen Worten entfernte sich der fromme Bote des Friedens. Er, dessen Beruf es war, Segen zu spenden, hatte den Fluch gebracht. Er, der Bote und Verkündiger des Lebens, hatte den Tod gegeben. Er ließ eine Leiche zurück und eine Ohnmächtige, Beide im Blute liegend, und um sie jammerten und klagten ein reines unschuldiges Mädchen und die nun zu Waisen gewordenen Kleinen.

      Bald darauf betraten Polizisten das Haus, um im Auftrage des öffentlichen Anklägers in den Wohnungen der Gefangenen eine strenge Haussuchung zu halten. Diese Letztere war natürlich resultatlos. Aber das Elend, welches sie fanden, flößte ihnen das tiefste Mitleid ein. Die Leiche Bertram's war bereits starr geworden. Die Kinder hockten, leise schluchzend, in der Ecke, Marie saß, in starren, wortlosen Schmerz versunken, bei dem todten Vater, und auf einem alten Scheuerkissen saß Frau Fels. Als die Beamten den Versuch mit ihr machten, sie zum Sprechen zu bringen, gab sie nur unarticulirte Töne von sich, welche wie »eingebrochen«, »arretirt« und »im Zuchthause« klangen und kaum verstanden werden konnten. Der Armenarzt, welcher schnell geholt wurde, erklärte, daß sie irrsinnig geworden sei. Der Todte wurde in das Leichenhaus, die Blinde in die städtische Anstalt für Geisteskranke und die Kleinen in das Waisenhaus gebracht. Marie erhielt die Weisung, das Logis zu reinigen und daselbst zu verbleiben, bis der Vormund, welcher den Kindern gegeben werden mußte, anderweite Maßregeln getroffen habe.

      Sie nahm diesen Befehl hin, ohne zu antworten, und ließ auch die Entfernung des Todten und der Lebendigen geschehen, ohne sich vom Platze zu rühren. Es hatte ganz und gar den Anschein, als ob auch sie irrsinnig geworden sei.

      Der Vorsteher hatte sich nicht in seine Wohnung, sondern zur Vormundschaftsbehörde begeben, um zu melden, was geschehen sei, und in welcher geistlichen Verwahrlosung er die Hinterlassenen getroffen habe. Er wurde darauf gefragt, ob er sich der Sorge der Vormundschaft unterziehen wolle, und er antwortete:

      »Es ist Gottes Wille, in welchem ich mich füge. Ich werde wachen und beten, damit mir die Freude werde, die Verirrten auf den Pfad des Heiles zurückzuführen!«

      Von da begab er sich zum Baron von Helfenstein, der ihn auch sofort bei sich vorließ. Er grüßte in seiner gewöhnlichen, salbungsvoll-unterthänigen Weise und sagte:

      »Heute bringe ich Euer Gnaden wichtigere Botschaften, als bei meinem letzten Besuche. Darf ich Sie mit denselben behelligen?«

      »Setzen Sie sich und sprechen Sie!« antwortete der Baron, auf einen Sessel deutend.

      Herr Seidelmann folgte diesem Gebote und begann:

      »Zunächst habe ich zu melden, daß die Bertram's die Miethe bezahlt haben!«

      »Wirklich?« erklang es verwundert. »Woher mögen sie das Geld erhalten haben?«

      »Von einem Juden aus der Wasserstraße, sagte der alte Schwindsüchtige.«

      »Das könnte nur Salomon Levi sein. Vielleicht haben sie etwas versetzt!«

      »Wohl schwerlich. Sie hatten nichts mehr, was einen Werth hatte. Und ich schätze, daß der Robert Bertram, welcher mir das Geld brachte, sich im Besitze von wenigstens fünfzig Thalern befand.«

      »Alle Wetter! Das wäre allerdings viel! Was könnte den Juden vermocht haben, der Familie diese Summe zu opfern?«

      »Zu opfern?« fragte der Vorsteher, indem er überlegend die Achsel zuckte. »Salomon Levi bringt niemals ein Opfer. Was er thut, das hat sicher seine Berechnung. Er unternimmt niemals Etwas, was ihm nicht Vortheil bringt.«

      »Um so neugieriger wäre ich, die Gründe seiner Großmuth zu erfahren.«

      »Wollen Sie mich mit dieser Angelegenheit betrauen?«

      »Sehr gern. Ich würde Ihnen dankbar sein. Aber der Jude ist ein schlauer Fuchs. Man müßte sehr vorsichtig sein.«

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