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zu sich niederziehend. »Erst erwarte ich den Ausdruck der Dankbarkeit, von welcher Sie sprachen.«

      Er wollte sie küssen. Sie wehrte sich aus allen Kräften.

      »Lassen Sie mich!« gebot sie ihm. »Ich werde um Hilfe rufen!«

      »Rufe nur, Liebchen, rufe! Ich werde Dir den Mund mit meinen Küssen verschließen. Komm, Herzchen! So! Jetzt! – – Ah! Oh!«

      Er hatte die aus allen Kräften Widerstrebende an sich gezogen. Beide bemerkten nicht, daß die Seitenthür leise geöffnet wurde. Eben, als er seinen Mund dem ihrigen näherte, war er gezwungen, die beiden letzten, schmerzhaften Rufe auszustoßen. Der Fürst von Befour war hereingetreten, hatte ihn mit der linken Hand bei der Kehle gepackt und ihm mit der Rechten einen solchen Hieb in das Auge versetzt, daß er das Mädchen losließ.

      »Himmeldonnerwetter!« brüllte er auf, indem er mit beiden Händen nach dem Auge fuhr. »Wer wagt es, hier einzutreten und – ah, Kerl, hier die Antwort!«

      Er hatte den Fürsten erblickt und holte aus, demselben einen Jagdhieb zu versetzen. Der Fürst aber war schneller als er und schlug ihm die Faust zum zweiten Male in der Weise an den Kopf, daß er zu Boden stürzte.

      »Gott, mein Gott, welch ein Unglück!« rief das Mädchen. »Ich aber bin schuldlos; ich kann nichts dafür!«

      »Das weiß ich sehr genau, mein Fräulein,« sagte der Fürst. »Beruhigen Sie sich! Ich weiß, daß dieser Mensch Sie durch Lügen verlockte, ihm an diesen Ort zu folgen. Verlassen wir ihn augenblicklich. Er hat die Besinnung verloren. Kommen Sie!«

      Er ergriff sie mit der einen Hand, nahm ihr Tuch und ihren Korb in die andere und zog sie hinaus und zur Treppe hinab. Unten führte er sie in die Küche.

      »Füllen Sie diesen Korb mit Brod, Butter, Fleisch und Wein!« gebot er.

      Er griff selbst mit zu. Sie stand da, als ob sie nicht begreifen könne, was hier geschah. Er zog Geld aus der Tasche und bezahlte, ohne sich zurückgeben zu lassen; dann hat er sie:

      »Bitte, vertrauen Sie sich jetzt mir an. Ich werde Sie nach Hause begleiten!«

      Er nahm ihren Arm in den seinigen, ergriff den Korb und führte sie fort. Sie folgte ihm wie im Traume. Sie war einer großen Gefahr entronnen. Sie dachte gar nicht daran, ihm den schweren Korb abzunehmen. So kamen sie zur Wasserstraße.

      »In welcher Nummer wohnen Sie?« fragte er.

      »Nummer Zehn, mein Herr. Hinterhaus parterre.«

      Die Thür stand noch offen. Sie traten ein, passirten dann einen Hof und kamen in einen engen, dunklen Hausflur, wo das Mädchen eine Thür öffnete. Finsterniß herrschte da.

      »Bist Du es, Anna?« fragte eine männliche Stimme.

      »Ja. Warum hast Du kein Licht?« antwortete sie.

      »Das Oel ging aus. Ich wollte die letzten Tropfen für Deine Rückkunft aufheben. Hast Du Etwas gefunden?«

      »Ja, lieber Vater. Warte nur. Ich will Licht machen!«

      »Ja, brenne an. Ich habe Hunger!«

      »Hunger!« ließ sich ein knurrendes, fast unarticulirtes Echo aus einer Ecke vernehmen, die aber noch nicht zu sehen war.

      Ein Zündhölzchen flammte auf, und dann brannte der Docht einer kleinen Lampe. Der Fürst stand vor der noch offenen Thür. Er hatte den Korb neben sich niedergesetzt. Er erblickte ein Zimmer oder vielmehr ein kaltes, feuchtes Gewölbe. Einiges Stroh und einige Lumpen lagen am Boden, darauf ausgestreckt in dem Winkel die Gestalt eines einbeinigen Mannes, in dem anderen Winkel aber eine hundeartig zusammengerollte Masse, welche man kaum für ein menschliches Wesen nehmen konnte. Der Eine war der Vater und der Andere der stumpfsinnige Bruder der armen Nähterin, der es jedenfalls nicht an der Wiege gesungen worden war, daß sie einst ein solches Elend ertragen müsse.

      Der einstige Wachtmeister erblickte beim Scheine der Lampe den Fürsten und fragte in mißtrauischem Tone:

      »Wer steht hier? Wen hast Du mitgebracht? Einen Polizisten?«

      »Nein, o nein, lieber Vater!« antwortete sie. »Das ist mein Retter, mein Wohlthäter, welcher uns einen ganzen Korb voll – – ah, mein Herr, soll das, was sich in dem Korbe befindet, wirklich uns gehören?«

      »Natürlich, natürlich, liebes Fräulein,« antwortete er, indem er eintrat und die Thür hinter sich zuzog. »Aber lassen Sie vor allen Dingen schauen, was hier das Nothwendigste ist!«

      Es herrschte eine dumpfe Feuchtigkeit, eine grimmige Kälte in dem Raume, welcher mehr einem Stalle, als einer menschlichen Wohnung glich. Ein kleiner Windofen stand in der Ecke, an der Wand lehnte ein Tisch und an dem einzigen, kleinen Fenster standen zwei alte Stühle, auf welche sich zu setzen, gefährlich zu sein schien.

      »Giebt es hier in der Nähe Holz und Kohlen zu kaufen?« fragte der Fürst.

      »Zur jetzigen Stunde nicht mehr,« antwortete das Mädchen.

      »Aber Feuer müssen Sie haben. Kommen Sie, bitte, helfen Sie mir hier den Korb leeren.«

      Der Alte hatte sich inzwischen mit Hilfe seines Stelzfußes erhoben und trat herzu. Er sah, was die Beiden dem Korbe entnahmen und auf den Tisch legten.

      »Herrgott!« rief er, indem seine Augen gierig funkelten. »Brod, Butter, Käse, Schinken, Wurst, Eier, Fleisch und Wein! Wem gehört das? Wer darf das essen?«

      »Du, Du, Ihr, lieber Vater!« antwortete die Tochter. »Dieser Herr ist so gütig, es uns zu schenken.«

      »Gieb mir Brod!« sagte er, nach einem Messer greifend.

      »Brod!« knurrte es aus der Ecke, und der Knäuel begann, sich zu entrollen.

      Als der Schwachsinnige sich erhob und herbeitrat, bot er eine Erscheinung zum Fürchten. Er war eine wahrhaft hünenartige Gestalt mit kurzen, übermäßig dicken Beinen und langen, dünnen Affenarmen, an denen sich statt der Hände riesige, behaarte Bärentatzen zu befinden schienen. Sein Gesicht glich dem einer englischen Bulldogge und das freudige Zähnefletschen, mit welchem er den Anblick der Eßwaaren begrüßte, hatte etwas grauenhaftes Hungrig-Tierisches an sich.

      Der alte Wachtmeister hatte das Brod angeschnitten, warf dem Sohne ein Stück zu und biß nun auch selbst mit solcher Gier in seine Schnitte, daß es wirklich zum Weinen war. Wie lange hatten diese armen Leute wohl keine regelmäßige Nahrung gehabt!

      Jetzt war der Korb völlig geleert. Der Fürst trat ihn mit den Füßen zusammen und riß ihn dann in Stücke aus einander. Vater und Tochter sahen ihm erschrocken zu. Sie begriffen nicht, warum er ihnen ihr Eigenthum zerstörte.

      »Hier, Fräulein, heitzen Sie ein!« sagte er. »Für weitere Nahrung für das Feuer werde ich gleich sorgen.«

      Er ergriff erst den einen und dann den anderen Stuhl und trat und brach beide in Stücke.

      »O weh, meine Stühle!« jammerte der Alte.

      »Grämen Sie sich nicht! Morgen sollen Sie bessere Möbel haben und auch eine gesündere Wohnung. Jetzt aber ist vor allen Dingen, da Sie sich sättigen können, auch Wärme nothwendig. Verbrennen Sie nur getrost die Stühle, und, wenn das nicht langen sollte, auch den Tisch. Ich sorge für Ersatz!«

      Er griff selbst mit zu, und bald prasselte ein lustiges Feuer in dem Ofen, in dessen Nähe sich der Geistesschwache sofort niederkrümmte, um mit ausdruckslosen Augen in die Flamme zu starren.

      »Aber, Herr? wer sind Sie denn eigentlich?« fragte endlich der Wachtmeister.

      »Der Name ist jetzt nicht nöthig. Später, wenn es sein muß, werde ich ihn nennen.«

      »Das ist ja gerade, als ob der Fürst des Elendes bei uns bescheerte!«

      »Wer ist das?« fragte der Fürst.

      »Wer das ist? Wissen Sie das noch nicht?«

      »Ich bin ein Fremder hier.«

      »Ach

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