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der Engel ist der Fürst des Elendes. So hat man ihn genannt. Wer er ist, das weiß man nicht, aber bereits seit mehreren Monaten erzählt man sich von Wohlthaten, welche an Armen und Elenden geschehen, ohne daß man erfährt, woher sie kommen. Man hat den unbekannten Wohlthäter den Fürsten des Elendes genannt.«

      Der Fürst lächelte leise und glücklich vor sich hin.

      »Haben Sie auch bereits Wohlthaten von ihm empfangen?« fragte er.

      »Nein. Aber wenn er unser Elend kennen würde, so bin ich gewiß, daß wir seine Hilfe erwarten dürfen.«

      »Nun, so denken Sie, daß diese kleine Gabe von ihm kommt!«

      »Nein; sie kommt von Ihnen!«

      »Das ist nicht so ganz und gar gewiß. Wie denn nun, wenn ich ein Bote vom Fürsten des Elendes wäre?«

      »Ein Bote von ihm? Gott, welch ein Glück! Dann würde er auch weiterhin an uns denken.«

      »Ja, das wird er ganz gewiß!«

      Der Alte humpelte näher, legte dem Fürsten die Hand auf den Arm und fragte, indem auch seine Tochter gespannt herzutrat:

      »Ist das wahr? Kennt er uns?«

      »Ja. Er weiß, daß Sie ein braver Beamter waren, der unverschuldet in das Elend gerieth. Der Staat hat Ihre Dienste vergessen, aber der Fürst des Elendes macht diesen Fehler wieder gut. Er hat mich beauftragt, Ihnen mitzutheilen, daß Sie von heute an eine jährliche Pension aus seiner Casse erhalten sollen.«

      »Eine Pension! Unmöglich! Wie käme ich zu diesem Glücke! Herrgott, eine Pension! Dieses Glück wäre so groß, so unbegreiflich, daß ich es gar nicht zu fassen vermöchte!«

      »Und doch können Sie es fassen. Hier greifen Sie zu!«

      Er zog seine Börse und zählte eine Anzahl Goldstücke auf den Tisch.

      »Was ist das? Was soll das viele Geld?« fragte der einstige Wachtmeister, indem seine Augen auf die blanken, funkelnden Dukaten hernieder glänzten.

      »Ihre Pension!«

      »Meine Pension?«

      Er fuhr sich mit der Hand nach dem Kopfe.

      »Das ist ein Traum! Das ist keine Wahrheit! Seit wann habe ich kein Geld gesehen! Und nun gar Gold! So sehr viel Gold!«

      »Nehmen Sie es in Gottes Namen! Es gehört Ihnen. Sie erhalten vom Fürsten des Elendes eine jährliche Pension von dreihundert Thalern. Hier liegt die erste Jahresrate. Was darüber ist, das soll für die Betten und Möbel, und für ein besseres Logis sein, auch für den Arzt, damit Fräulein gesunde Augen bekomme.«

      Da stieß das Mädchen einen lauten Schrei aus. Sie stürzte unter Thränen auf ihn zu und warf förmlich die Arme um ihn.

      »Mein Retter! Mein Wohlthäter! Unser Engel!« schluchzte sie.

      Der Alte konnte sich ebenso wenig halten. Er ergriff beide Hände des Fürsten und sagte:

      »Herr, wer Sie auch sein mögen, Sie sind ein Engel, den uns Gott gesandt hat. Er mag es Ihnen vergelten, wir können es nicht.«

      Der Irrsinnige hatte dem Vorgange zugesehen, ohne ihn begreifen zu können. Jetzt aber belebten sich auch seine Augen. Das Verständniß schien ihm zu kommen. Er rollte sich vom Boden auf, trat herzu, streichelte dem Fürsten mit der behaarten Hand über das Gesicht und murmelte in einem Tone, welcher seine höchste Zärtlichkeit ausdrücken sollte, aber wie das Grunzen eines Yacks erklang:

      »Gut, sehr gut Du! Mein Vater Du! Mein Bruder Du! Ich todtschlagen alle Feinde von Dir! Ich mir merken Dich!«

      Welcher Dank der ergreifendste war, derjenige des Vaters, der Tochter, oder des Schwachsinnigen, das konnte der Fürst natürlich nicht unterscheiden und bestimmen. Er riß sich los und sagte:

      »Nicht mir gebührt der Dank, Ihr Leute. Der Fürst des Elendes hat mich geschickt, um den Fehler gut zu machen, den das Schicksal an Euch begangen hat. Er wird an Euch denken und auch weiter für Euch sorgen. Denkt auch Ihr seiner freundlich! Und wenn Ihr betet, so betet auch mit für ihn!«

      Bei diesen Worten schloß er bereits die Thür hinter sich. Er eilte durch die dichte Finsterniß der beiden Flure und des Hofes hinaus auf die Straße.

      Das war die zweite Familie, welche er heute Abend glücklich gemacht hatte, die eine hier in Nummer Zehn und die Andere in Nummer Elf der Wasserstraße. Denn daß sich auch die Familie des Schneiders Bertram glücklich fühlte, das war gewiß. Ihre Glieder hatten seit langer Zeit sich zum ersten Male wieder sättigen können.

      Die Kinder lagen schlafend auf ihren Strohsäcken. Der Brustkranke lehnte in seinem Stuhle, mit geschlossenen Augen und leise athmend; auch ihn wollte ein kurzer Schlummer erquicken. Marie war ein Stündchen eine Treppe tiefer gegangen und Robert, der Schreiber, stand in seinem Nebenstübchen am Fenster und schaute hinüber, wo jenseits der Gärten sich das Palais des Obersten von Hellenbach erhob.

      Dort wurden jetzt die Fenster dunkel, welche am heutigen Abende so festlich erleuchtet gewesen waren. Ein Licht erlosch nach dem andern, bis nur noch ein Fenster erleuchtet blieb.

      Dieses Fenster kannte Robert sehr genau. Wie oft, wie sehr oft hatte sein Auge auf demselben geruht, wohl mit derselben Ehrerbietung, mit welcher der kleine Käfer empor zur Sonne schaut.

      Auch jetzt zog er den Tischkasten heraus und entnahm demselben ein kleines Fernrohr. Keine Noth, selbst der Hunger nicht, hatte ihn vermocht, sich desselben zu entäußern, denn dieses Rohr war für ihn der Weg zur Seligkeit; es erlaubte ihm, von hier hinüber zu schauen zu Der, von der er im Wachen träumte und über die er im Traume wachte. Er zog das Rohr aus und richtete es nach dem Fenster hinüber. Was sah er?

      Zwischen den Gardinen vorüber sah er sie vor dem Nachttische stehen. Ihr Lockenhaar hing aufgelöst wie eine fließende Mähne auf die entblößten Schultern herab, welche aus der Ferne wie Silber und Perlmutter herüberglänzten. Sie hatte begonnen, sich zu entkleiden, und sein Blick folgte dem Gemälde, welches kein Maler in solcher Vollendung auf die Leinwand zu zaubern vermocht hätte. Und als das herrliche Bild verschwunden war, schob er das Rohr zusammen und flüsterte:

      »Ja, sie ist die Incarnation der Nacht des Südens, jener funkensprühenden, reflexerglühenden, mächtigen, prächtigen Nacht der Tropen, wie ich sie im Gedichte geschildert habe. Sie hat zu diesen Versen gesessen und – und ich –? Ah, ich bin der Wurm, der während dieses Sternenflammens am Boden kriecht. Ich hätte nicht jene stolze, glückliche, strahlende Nacht schildern sollen, sondern die weinende, vor Thränen triefende Nacht, welche die unglückliche Schwester der ersteren ist. Ob ich das wohl brächte? Ob ich es vermöchte, ein Bild so großen Trauerns in den gleichen Rahmen zu fassen? Versuchen wir es!«

      Er nahm ein Blatt, tauchte die Feder ein, öffnete seine Gedichte, schlug »Die Nacht des Südens« auf, welche Fanny von Hellenbach so sehr begeistert hatte, und schrieb, als ob es ihm dictirt werde:

      »Wenn um die Berge von Befour

      Des Abends dunkle Schatten wallen,

      Dann tritt die Mutter der Natur

      Hervor aus unterird'schen Hallen,

      Und läßt auf die versengte Flur

      Des Thaues stille Perlen fallen.

      Des Himmels Seraph flieht, verhüllt

      Von Wolken, die sich rastlos jagen;

      Die Erde läßt, von Schmerz erfüllt,

      Den Blumen bittre Thränen tragen,

      Und um verborg'ne Klippen brüllt

      Die Brandung ihre wilden Klagen.

      Da bricht des Morgens glühend Herz:

      Er läßt den jungen Tag erscheinen,

      Der küßt den diamant'nen Schmerz

      Von tropfenden Karfunkelsteinen

      Und trägt

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