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in einem gutgenährten Körper wohnen kann?«

      »Dann müßten alle Helden der Weltgeschichte auch körperlich Titanen gewesen sein, und doch wissen wir das Gegentheil. Zeige her, den Schluß des Gedichtes. Auch in ihm funkelt und brillirt es, als ob der Dichter seinem Gedanken einen Königsmantel umgethan und eine Krone aufgesetzt habe. Und doch! Höre einmal!«

      Sie nahm das Buch gar nicht in die Hand. Sie kannte das Gedicht. Sie recitirte aus dem Gedächtnisse und declamirte:

      »Dann einet sich zu einem Strome

      Die Menschheit all von Nah und Fern,

      Und kniet anbetend in dem Dome

      Der Schöpfung vor dem einen Herrn.

      Dann wird der Glaube triumphiren,

      Der einen Gott und Vater kennt.

      Die Namen sinken, und es führen

      Die Wege all zum Firmament!«

      Sie war prächtig anzuschauen, diese Judith, welche sich von dem Dichter des Gottesgedankens so begeistern ließ, daß sich ihre Wangen rötheten und ihre dunklen Augen leuchteten und funkelten wie schwarze Kapdiamanten im Candelaberlichte.

      Da drüben auf der jenseitigen Straße, im hocharistokratischen Hause, hatte vor wenigen Minuten Fanny von Hellenbach die »Nacht« desselben Dichters declamirt. Welche von den beiden Mädchen war die Schönere, die Begeistertere? Das ließ sich schwer sagen.

      Judith hätte jene Gewandung tragen sollen, welche ihre Namensschwester trug, und kein Holofernes hätte ihr widerstanden. Sie ließ die beim Declamiren erhobenen Arme sinken und sagte:

      »Für Dich klingt aus diesen Worten und Reimen eine Coulanz und Brillanz, welche nur einem Hochgeborenen eigen sein kann, und mir ist es, als ob ein Sterbender, der nicht empor zum wahren Firmament kann, ertrinkend tiefer und immer tiefer in die Fluthen sinkt, in denen er ja auch ein Firmament erschaut, ein trügerisches – das seinige!«

      In ihren Augen schimmerte es feucht; es war ihr, als ob sie eine trübe, unglückliche Weissagung ausgesprochen hätte.

      »Oh, könnte ich ihn halten, ihn emporziehen, ihn retten!« fügte sie hinzu.

      Die Freundin blickte ihr in das erregte Gesicht und sagte dann:

      »Du schwärmst für ihn!«

      »Schwärmen?« fragte Judith, stolz die schönen Achseln zuckend. »Was ist Schwärmen? Ich kenne es nicht. Ich liebe ihn; ich liebe ihn glühend, wie nur ein Weib zu lieben vermag!«

      »Das heißt, Du liebst seine Gedichte!«

      »Nein; ich liebe seine Seele, welche wie ein schönes, leuchtendes Porträt aus seinen Worten strahlt. Ich bin sein Eigen; denn ich denke nur an ihn; ich könnte Alles, selbst mein Leben für ihn lassen!«

      »Und wenn er häßlich ist?«

      »Kann ein solcher Dichter häßlich sein? Was geht mich sein Gesicht, seine Gestalt, sein Gang, seine Haltung an? Ich sitze vor ihm, nein, ich liege vor ihm, um mich in seinem Geiste zu sonnen und aus seiner Seele Glück, Glück, tausendfaches Glück zu saugen!«

      »Er ist Hadschi, also ein Muhamedaner.«

      »Er sucht Gott und liebt ihn; ich suche den Dichter und liebe ihn. Wir sind Eins in einem und demselben Streben.«

      »Oder ist sein Name ein Pseudonym? Dann könnte er gar ein Christ sein!«

      »Und dennoch bleibt er mein Ideal.«

      »Und wenn Du Recht hättest, daß er in Armuth und Elend lebte, daß ihn das Gespenst des Hungers gefangen hielt?«

      »Wüßte ich, wo er wäre, so würde ich gehen, ihn zu befreien, meilen-, meilen-, meilenweit! Und wäre er so elend, daß kein Mensch ihn anblicken möchte, er würde doch mein Glück, mein Stolz, meine Wonne sein! Ich kenne seine Gestalt nicht; aber ich kenne seinen Geist, sein Herz, seine Seele, sein Gemüth! Er hat es mir angethan! Meine Sehnsucht wird ruhelos und ungestillt um ihn wandeln, wie die kleine, arme Erde um die glänzende, gluthenstrahlende Sonne wandelt!«

      Sie trat an das Fenster und legte ihre heiße Stirn, um sie zu kühlen, an die kalte Glasscheibe. Was dachte sie? Wohin flogen ihre Wünsche? Hätte sie gewußt, wie nahe, wie so sehr nahe der war, an den sie dachte! –

      Als der Baron vorhin die Thür hatte hinter sich schließen hören, war er erst ein Stück nach links gegangen, dann aber plötzlich umgekehrt, um zu sehen, ob er beobachtet werde. Da dies nicht der Fall war, ging er nach rechts zu weiter.

      Er schien hier auf der Wasserstraße sehr gut orientirt zu sein, denn an einem kleinen Häuschen angekommen, trat er in den dunklen Flur und tappte sich, ohne Licht zu haben, ganz leidlich die Treppe hinauf. Oben schien ihm eine weinende Frauenstimme als Leiterin zu dienen. Er fand eine Thüre und klopfte an. Man schien erstaunt aufzuhorchen. Er klopfte abermals.

      »Herein!« hörte er rufen.

      Er öffnete und trat ein. Er sah ein ärmliches Zimmerchen vor sich. Sauber und rein war es; aber es gab da nur einen Tisch, keinen Stuhl, kein anderes Möbel als zwei Betten, welche man durch eine offen stehende Thür in der Schlafkammer stehen sah.

      Auf der Diele saßen zwei Knaben, welche sehr trübe Gesichter zeigten; am Fenster stand eine Frau, die Augen voller Thränen, und vor dem Tische lehnte ein noch junger Mann, welcher sich Mühe gab, einen Teller magerer Brodsuppe für sich allein zu behalten, ohne ihn mit den Seinigen zu theilen.

      Die Frau war diejenige, welche vorhin bei dem Juden Salomon Levi gewesen war. Als sie den Baron erblickte, erröthete sie. Sie mochte ihn erkennen, wenn auch nicht an den Zügen, da er im Schatten gesessen hatte, so doch an dem Anzuge, welchen er trug.

      Er grüßte höflich, bat um Entschuldigung, daß er störe, und fragte dann die weinende Frau:

      »Kennen Sie mich, liebe Frau?«

      Sie wendete sich halb ab, ohne zu antworten. Er fuhr fort:

      »Ich war bei Salomon Levi, wo ich etwas über Ihre Lage erfuhr. Schämen Sie sich nicht. Ich komme, Ihnen zu helfen.«

      Die beiden Leute fühlten sich wie electrisirt. Der Mann legte rasch den Löffel fort, und die Frau griff nach der Schürze, um ihre Thränen zu trocknen.

      »Die Kinder brauchen nicht zu hören, was wir sprechen,« sagte der Baron. »Tragen Sie dieselben hinaus auf die Betten und hören Sie dann, was ich Ihnen zu sagen habe.«

      Er hatte auch hier gleich von seinem Eintritt an eine solche Stellung eingenommen, daß er sich möglichst im Schatten befand. Die Frau gehorchte ihm und kehrte dann mit einem Gesichtsausdruck zurück, in welchem die hoffnungsvollste Wißbegierde zu lesen war. Sie und ihr Mann, welcher noch kein Wort gesprochen hatte, warteten, was der räthselhafte Fremde ihnen nun mittheilen werde. Dieser fragte, sich wieder an die Frau wendend:

      »Ich wiederhole meine Frage, ob Sie mich wieder erkennen?«

      Sie nickte mit dem Kopfe.

      »Sie wollten bei dem Juden diesen Tisch und die beiden Betten, welche sich im Nebenzimmer befinden, versetzen?«

      Sie erröthete abermals vor Scham und blickte, ohne zu antworten, ihren Mann an. Dieser nahm das Wort:

      »Warum fragen Sie?«

      »Weil ich die größte Theilnahme für Sie empfinde.«

      »Wer sind Sie?«

      »Vielleicht werde ich Ihnen dies nachher sagen. Haben Sie nur vorher die Güte, mir mitzutheilen, warum Sie sich nicht an andere Leute als an diesen Juden wenden?«

      »Ich habe keinen anderen Menschen.«

      »Was brachte Sie in die traurige Lage, all Ihr Eigenthum auf die Leihbank zu tragen?«

      »Die Noth.«

      »Und was brachte Sie in diese Noth?«

      Der Mann schien über diese zudringliche

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