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Der versiegelte Engel und andere Novellen. Nikolai Semjonowitsch Leskow
Читать онлайн.Название Der versiegelte Engel und andere Novellen
Год выпуска 0
isbn 9788075831286
Автор произведения Nikolai Semjonowitsch Leskow
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Dann wurde die Kopie in einem Nu mit Lack bedeckt, und wir setzten sie in den Rahmen. Nun nahm Ssewastjan das echte, vom Brett abgetrennte Bild und verlangte so schnell wie möglich einen Fetzen von einem alten Filzhute.
Damit begann der äußerst schwierige Prozeß der Entsiegelung.
Man gab dem Ikonenmaler einen Hut, und er zerriß ihn sofort über dem Knie in zwei Teile, bedeckte mit dem einen den versiegelten Engel und schrie: »Das heiße Plätteisen!«
Im Ofen lag auf sein Geheiß ein schweres Schneiderbügeleisen. Michailiza packte es mit der Ofengabel und reichte es Ssewastjan. Jener umwickelte den Griff mit einem Lappen, spuckte auf das Eisen und legte es auf den Filzfetzen. Von dem Filz steigt ein böser Gestank auf, aber der Ikonenmaler wiederholt es noch und noch einmal und nimmt es dann plötzlich weg. Seine Hand fliegt wie der Blitz; der Rauch steigt schon in einer Säule hoch, aber Ssewastjan versteht zu backen: mit der einen Hand dreht er langsam den Filzlappen und mit der anderen führt er geschickt das Eisen. Mit jedemmal fährt er langsamer, aber fester darüber und dann wirft er plötzlich den Fetzen und das Eisen weg und hält die Ikone ans Licht: das Siegel ist fort, als wäre es nie dagewesen! Der starke Stroganower Lack hat standgehalten, der Siegellack ist vollständig verschwunden, nur ein schwacher feuerroter Tau ist zurückgeblieben, aber das leuchtende, heilige Antlitz ist jetzt ganz zu sehen.
Der eine weint, der andere betet, der dritte beugt sich über die Hände des Ikonenmalers, um sie zu küssen, nur Luka Kirillow vergißt seine Aufgabe nicht, sondern kargt mit jeder Minute. Er reicht Ssewastjan die Kopie und sagt:
»Nun, mach schneller fertig!«
Aber jener antwortet: »Mein Werk ist beendet, ich habe alles getan, was ich übernommen habe.«
»Und das Siegel aufdrücken?«
»Wohin?«
»Ja hierher, auf das Gesicht des neuen Engels, wie es bei jenem alten war.«
Aber Ssewastjan schüttelt den Kopf und antwortet:
»Nein, ich bin kein Beamter, daß ich mich erfrechen würde, so etwas zu tun.«
»Was sollen wir nun anfangen?«
»Ja, das weiß ich doch nicht. Ihr hättet dafür einen Beamten oder einen Deutschen herbitten sollen. Das habt ihr jetzt versäumt, nun tut es selbst.«
Luka erwidert:
»Was glaubst du wohl! Um nichts in der Welt werden wir uns dazu erfrechen.«
Und der Ikonenmaler antwortet:
»Auch ich werde mich nicht erfrechen.«
Während der wenigen Minuten dieses Streites stürzt plötzlich die Frau Jakow Jakowlewitschs totenbleich ins Zimmer und spricht:
»Seid ihr denn noch nicht fertig?«
Wir antworten, wir seien fertig und auch wieder nicht fertig: das Wichtige sei vollbracht, aber eine Kleinigkeit vermöchten wir nun nicht.
Sie erwidert: »Auf was wartet ihr denn? Hört ihr denn nicht, was sich draußen tut?«
Wir horchen und erbleichen noch mehr als sie. In unserer Sorge hatten wir dem Wetter keine Aufmerksamkeit geschenkt, und nun hören wir es draußen toben: das Eis geht!
Ich springe hinaus und sehe, wie das Eis schon über den ganzen Fluß treibt, wie die Schollen krachend und berstend übereinander springen. Besinnungslos stürze ich zu den Booten, ... kein einziges ist mehr da, alle sind fortgeschwemmt. Mir stockt die Zunge im Munde, so daß ich kein Wort über die Lippen bringe, und mir scheint es, ich versinke in die Erde ... Ich stehe da ... rühre mich nicht ... und gebe keinen Laut von mir.
Aber während wir hier im Dunkeln umherirren, hatte die Engländerin, die mit Michailiza in der Stube zurückgeblieben war, die Ursache der Verzögerung erfahren, die Ikone ergriffen ... und einen Augenblick später eilt sie, in der einen Hand eine Laterne haltend, mit dem Bild auf die Treppe hinaus und schreit:
»Nehmt! Fertig!«
Wir schauen hin: auf dem Antlitz des neuen Engels ist das Siegel!
Luka steckt die beiden Ikonen sofort in den Busen und schreit:
»Das Boot!«
Ich eröffne ihm, daß kein Boot da ist, daß alle fortgetrieben sind.
Und ich sage Ihnen, das Eis treibt daher wie eine Herde, zerschellt an den Pfeilern und erschüttert die Brücke, so daß die armdicken Ketten dröhnen.
Wie die Engländerin dies hört, wirft sie die Hände empor und schreit mit unmenschlicher Stimme: »James!« Und sie fällt in Ohnmacht.
Und wir stehen dabei und fühlen nur das eine: »Wo bleibt jetzt unser Wort? Was wird jetzt mit dem Engländer, was mit dem alten Maroi?«
Eben ertönt vom Glockenturm des Klosters das dritte Läuten.
Da rafft sich Onkel Luka auf und ruft der Engländerin zu:
»Komm zu dir, Gnädige, deinem Manne wird nichts geschehen. Vielleicht wird der Henker das alte Fell unseres Maroi peitschen und sein ehrliches Gesicht mit dem Brandzeichen entehren, aber das soll erst nach meinem Tode geschehen.« Dabei bekreuzigt er sich und geht.
Ich schreie ihm zu: »Onkel Luka, wo willst du hin? Lewontij ist umgekommen, auch du wirst es!« Und ich eile ihm nach, um ihn aufzuhalten. Allein er hebt das vor seinen Füßen liegende Ruder auf, das ich bei unserer Ankunft auf die Erde geworfen habe, schwingt es über mich und schreit: »Fort, oder ich schlage dich tot!«
Meine werten Herren, ich habe mich in meiner Erzählung offen genug als kleinmütig bekannt, als ich den verstorbenen Knaben Lewontij auf der Erde seinem Schicksal überließ und selbst auf einen Baum kletterte; aber ehrlich und offen sage ich Ihnen, daß ich hier vor dem Ruder Onkel Lukas nicht erschrocken und auch nicht zurückgewichen wäre ... aber, ob Sie es mir glauben oder nicht, in dem Augenblick, als ich mich des Namens Lewontijs erinnerte, sah ich, wie die Gestalt des Jünglings zwischen mir und Luka in der Dunkelheit erstand und drohend gegen mich die Hand erhob. Diesen Schrecken konnte ich nicht ertragen und wich zurück. Aber Luka stand schon am Ende der Kette und rief uns plötzlich, den einen Fuß auf die Kette setzend, zu:
»Stimmt den Chor an!«
Unser Vorsänger Arefa steht bei uns, vernimmt es und beginnt sogleich: »Ich öffne die Lippen«. Die anderen fallen ein, und so schreien wir den Chor