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denke: »Herrgott, was ist denn mit ihm los?« Trotz meiner Angst beginne ich zu horchen, und es scheint mir, als höre ich tief im Wald etwas knistern. »Gnadenreicher Herr!« denke ich mir: »Das ist gewiß ein wildes Tier, das uns gleich zerreißen wird!« Lewontij kann ich schon nichts mehr zurufen, denn ich sehe, daß er gleichsam aus sich selbst herausgeflogen ist und mir enteilt, und so bete ich nur noch: »Engel Christi, beschütze uns in dieser schrecklichen Stunde!« Das Knistern kommt immer näher und ist schon dicht bei uns. Ich muß Ihnen hier, meine werten Herren, eine große Gemeinheit gestehen: ich war so verzagt, daß ich den kranken Lewontij an der Stelle, an der er lag, zurückließ, schneller als eine Eichkatze auf einen Baum kletterte, mich auf einen Ast setzte, mein Säbelchen zog und, mit den Zähnen wie ein erschreckter Wolf klappernd, wartete, was da kommen würde.

      Plötzlich sehe ich aus der Dunkelheit, an die sich meine Augen bereits gewöhnt haben, etwas heraustreten, aber ich kann durchaus nicht erkennen, ob es ein Tier oder ein Räuber ist. Aber wie ich genauer hinschaue, kann ich genau unterscheiden, daß es weder das eine, noch das andere ist, sondern ein kleiner Greis in einer Kutte; ja, ich kann sogar das Beil erkennen, das er im Gürtel stecken hat, und das große Holzbündel auf seinem Rücken. Er kommt auf die Lichtung heraus, atmet hastig, als wolle er die Luft von allen Seiten her einsammeln, wirft dann mit einem Male sein Bündel zur Erde und geht sofort, als habe er die Nähe eines Menschen gewittert, gerade auf meinen Gefährten zu. Er tritt an ihn heran, beugt sich über ihn, schaut ihm ins Gesicht, nimmt ihn dann bei der Hand und sagt: »Steh auf, Bruder.« Und was glauben Sie? Ich sehe, wie er Lewontij aufstehen hilft, ihn zu seinem Bündel führt, es ihm auf die Schultern legt und sagt: »Trag es hinter mir her!« Und Lewontij trägt es.

      Elftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Sie können sich vorstellen, meine werten Herren, wie ich vor solch einem Wunder erschrecken mußte. Woher war dieser stille, gebieterische Alte gekommen, und wie hatte mein Ljowa, der noch eben dem Tode nahe schien, die Kraft gewonnen, gleich das Holzbündel zu tragen!

      Ich stieg, so schnell ich vermochte, vom Baum herunter, warf mein Säbelchen an seinem Strick auf den Rücken, brach mir für alle Fälle einen verläßlichen kräftigen Knüppel und eilte ihnen nach. Ich hatte sie bald eingeholt und sah: der Alte ging voran und war genau so, wie er mir im ersten Augenblick erschienen war, — klein und bucklig, das Bärtchen auf beiden Wangen buschig und weiß wie Seifenschaum, und mein Lewontij folgte schnell seiner Spur und blickte mich dabei unverwandt an. Aber wenn ich ihn ansprach und mit der Hand berührte, schenkte er mir nicht die geringste Aufmerksamkeit und ging wie im Schlaf daher.

      Ich trat an den Alten heran und rief:

      »Verehrter!«

      Und er erwiderte: »Was willst du?«

      »Wohin führst du uns?«

      »Ich führe niemanden,« sagte er, »alle führt Gott.«

      Bei diesen Worten blieb er stehen, und ich sah, daß sich vor uns eine niedrige Mauer mit einem Tor erhob, und in dem Tor ein kleines Pförtchen angebracht war. Der Alte begann daran zu klopfen und rief: »Bruder Miron! Bruder Miron!«

      Aber von drinnen antwortet unwirsch eine grobe Stimme:

      »Wieder hast du dich nachts herumgetrieben. Bleib im Wald zu Nacht! Ich lasse dich nicht herein!«

      Doch der kleine Greis begann zu flehen und freundlich zu bitten:

      »Laß ein, Bruder!«

      Plötzlich riß der Grobian von innen die Türe auf, und ich sah einen Menschen in der gleichen Kutte, wie sie der Alte trug, vor mir. Er war ein roher Kerl, und kaum hatte der Alte die Füße über die Schwelle gesetzt, als jener ihm einen Stoß versetzte, daß er beinahe zur Erde gefallen wäre. Aber er sagte:

      »Segne dich Gott, mein Bruder, für diesen Dienst.«

      »Heiland«, denke ich mir, »wohin sind wir geraten!«

      Und plötzlich erleuchtet und entsetzt es mich wie ein Blitz:

      »Gott sei mir gnädig! Wenn es nur nicht Pamwa, der zornlose Einsiedler ist. Dann wäre es besser gewesen, ich wäre im dunklen Wald umgekommen oder hätte mir bei einem wilden Tier oder einem Räuber ein Lager gesucht, als unter diesem Dache!«

      Kaum hatte er uns in seine kleine Hütte hineingeführt und ein gelbes Wachslicht angezündet, als ich schon erriet, daß wir uns wirklich in einer Waldeinsiedelei befanden. Und ich kann mich nicht mehr beherrschen und frage:

      »Verzeih mir, gottesfürchtiger Mann, wenn ich dich frage, ob es sich für mich und meinen Gefährten geziemt, hier zu bleiben, wohin du uns geführt hast?«

      Er aber antwortet:

      »Gottes ist die ganze Erde, und gesegnet sind alle Lebenden. — Lege dich hin und schlafe!«

      »Nein«, erwidere ich, »erlaube, daß ich dir sage: wir gehören dem alten Glauben an.«

      »Wir sind alle vom Leibe Christi, er umfängt uns alle.«

      Und damit führt er uns in einen Winkel, wo auf dem Boden eine dürftige Lagerstatt aus Matten hergerichtet ist und am Kopfende ein mit Stroh bedeckter Holzklotz liegt, und sagt zu uns beiden: »Schlaft!«

      Mein Lewontij legt sich als gehorsamer Junge gleich hin, während ich meine Vorsicht beibehalte und frage:

      »Verzeih, Mann Gottes, noch eine Frage ...«

      Er antwortet: »Wozu fragen: Gott weiß alles.«

      »Nein, sage mir: wie heißt du?«

      Aber er erwidert mit dem für ihn ganz unpassenden Weiberspruch:

      »Man nennet mich den Enterich, wie man mich heißt, das weiß ich nicht.« Und mit diesen leeren Worten kriecht er mit seinem Lichtlein in eine kleine Kammer, eng wie ein Holzsärglein, aber hinter der Wand vernimmt man wieder die Stimme des Grobians:

      »Untersteh dich nicht, Licht zu brennen: du zündest noch die Zelle an. Aus dem Büchlein kannst du am Tage beten, jetzt aber bete im Dunkeln.«

      »Ich werde nicht, Bruder Miron«, antwortet jener, »ich werde nicht.« Und bläst das Lichtlein aus.

      Ich flüstere: »Vater, wer ist es, der Euch so barsch bedroht?«

      »Es ist mein Diener Miron, ein guter Mensch ... er behütet mich.«

      »Nun ist es aus«, denke ich mir, »es ist der Einsiedler Pamwa. Es kann niemand anders sein, als er, der Zorn- und Neidlose. Jetzt ist das Unglück da! Er hat uns hieher gebracht und sengt uns jetzt, wie der Feuerbrand das Fett. Das einzige, was übrigbleibt, ist, morgen beim Morgengrauen Lewontij von hier zu entführen und zu fliehen, damit er nicht wisse, wo wir sind.« Ich klammerte mich an diesen Plan und beschloß nicht zu schlafen, um den Jüngling beim ersten Morgenschimmer zu wecken und zu fliehen.

      Um nicht einzuschlafen und womöglich zu verschlafen, liege ich da und spreche in einem fort das Glaubensbekenntnis, wie es der alte Glaube vorschreibt, und wenn ich damit fertig bin, setze ich gleich hinzu: »Dieser Glaube ist der Apostolische, dieser Glaube ist der Katholische, dieser Glaube hält das All ...« und beginne von neuem. Ich weiß nicht, wie oft ich das Glaubensbekenntnis wiederholt habe, um nicht einzuschlafen, aber gewiß waren es viele Male. Und auch der Alte betet noch immer in seinem Sarge, und mir scheint, als zeige mir das Licht in den Balkenritzen, wie er sich immer von neuem verneigt. Und plötzlich meine ich ein Gespräch zu hören, und was für eines ... ein ganz unerklärliches ... als sei Lewontij beim Starez eingetreten und spräche mit ihm über den Glauben ... aber ohne Worte, sondern sie sehen einander nur an und verstehen sich. Dieses Bild stand mir lange vor Augen, und ich hatte darüber schon vergessen, mein Glaubensbekenntnis zu wiederholen. Da glaube ich zu hören, wie der Starez dem Jüngling sagt: »Gehe und entsündige dich!« Und jener antwortet: »Ja, ich will mich entsündigen.« Auch jetzt kann ich Ihnen nicht sagen, ob es

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