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und schluchzt dabei:

      »Meine Brüder haben mich verkauft.«

      Er weint, und weint, als ob er am Grabe seiner Mutter stehe und singt weiter, und ruft die Erde an zur Weheklage über die Sünde der Brüder.

      Diese Worte können einen Menschen immer erregen, mich erregten sie aber jetzt besonders, da ich doch eben von ähnlich streitenden Brüdern weggegangen war. Die Worte hatten mich so gerührt, daß ich selbst aufschluchzte. Lewontij hört es, verstummt und ruft: »Onkel, hör Onkel!«

      »Was denn, mein guter Junge?« sage ich.

      »Weißt du, wer unsere Mutter ist, von der hier gesungen wird?« fragt er.

      »Rahel,« antworte ich.

      »Nein,« entgegnet er, »in alter Zeit war es die Rahel, jetzt hat es aber eine andere, geheimnisvolle Bedeutung.«

      »Wieso geheimnisvoll?« frage ich.

      »Nun, dieses Wort hat einen verwandelten Sinn.«

      »Du Kind,« sage ich, »paß auf: ist es nicht gefährlich, was du hier grübelst?«

      »Nein,« erwidert er, »ich fühle es in meinem Herzen, daß unser Erlöser sich unseretwegen kreuzigen läßt, weil wir ihn nicht mit einigen Herzen und einigen Lippen suchen.«

      Ich erschrak noch mehr: wohin will der Junge nur damit hinaus? Und ich sage ihm:

      »Weißt du, Lewontjuschka, gehen wir lieber schneller aus Moskau fort in die Gegend von Nischnij-Nowgorod, um dort den Ikonenmaler Ssewastjan zu suchen; ich habe heute gehört, daß er dort umherzieht.«

      »Gut, gehen wir,« antwortet er, »hier in Moskau quält mich schmerzhaft ein böser Geist, aber dort sind Wälder, die Luft ist reiner, und dort, hörte ich, lebt auch der Starez Pamwa, ein Einsiedler ganz ohne Neid und Zorn, den ich gern gesehen hätte.«

      »Der Einsiedler Pamwa,« erwidere ich ihm streng, »dient der herrschenden Kirche, was haben wir mit ihm zu schaffen?«

      »Nun, was ist das für ein Unglück?« antwortet er: »Ebendeshalb will ich ihn ja sehen, um zu begreifen, was für ein Segen auf der herrschenden Kirche ruht.«

      Ich wasche ihm den Kopf und sage: »Was ist denn das für ein Segen?,« aber ich fühle selbst, daß er mehr Recht hat als ich, da er darnach drängt, zu erforschen, während ich einfach verwerfe, was ich nicht kenne, und in meinem Widerstande trotzig bin, ihm also nur Unsinn entgegne.

      »Die Angehörigen der herrschenden Kirche,« sage ich, »richten sich in ihrem Glauben nicht nach dem Himmel, sondern nach dem Tor des Aristoteles und bestimmen den Weg auf dem Meere nach dem Stern des heidnischen Gottes Remphan, du aber willst mit ihnen den Blickpunkt gemeinsam haben?«

      Aber Lewontij antwortet: »Du fabelst, Onkel: es hat nie einen Gott Remphan gegeben, sondern alles ist durch die eine Allweisheit geschaffen.«

      Daraufhin werde ich noch dümmer und sage: »Die Kirchlichen trinken Kaffee«.

      »Nun, was ist das für ein Unglück?« antwortet Lewontij; »Der Kaffee ist eine Bohne und wurde dem König David als Geschenk dargebracht.«

      »Woher,« sage ich, »weißt du denn das alles?«

      »Ich hab es in Büchern gelesen.«

      »Nun, wisse dann: alles steht in den Büchern nicht geschrieben.«

      »Was ist dort nicht geschrieben?« fragt er.

      »Was? Was dort noch nicht geschrieben ist?« Ich weiß gar nicht mehr, was ich sagen soll, und poltere los:

      »Die Kirchlichen essen Hasen, und der Hase ist unrein.«

      »Beschimpfe nicht, was Gott geschaffen hat, es ist Sünde.«

      »Wie soll ich den Hasen nicht beschimpfen, wo er doch unrein ist, von Eselsart, Zwittereigenschaften hat und beim Menschen dickes, melancholisches Blut erzeugt?«

      Aber Lewontij lacht nur und sagt:

      »Schlaf, Onkel, du redest ungereimtes Zeug.«

      Ich muß Ihnen gestehen, daß ich damals noch nicht klar wußte, was in der Seele dieses gesegneten Jünglings vorging; ich war nur sehr erfreut, daß er nicht weitersprechen wollte, denn ich sah selbst ein, daß mein Herz nichts von dem wußte, was ich sprach, und so schwieg ich denn und dachte mir nur, während ich mich niederlegte:

      »Nein, diese Zweifel sind bei ihm aus Gram entstanden. Morgen werden wir aufstehen und uns auf den Weg machen; dann wird sich alles in ihm zerstreuen.« Für alle Fälle aber hatte ich in meinem Sinn beschlossen, einige Zeit schweigend neben ihm einherzugehen, um ihm zu zeigen, daß ich noch sehr zornig auf ihn sei.

      Nur brachte ich in meinem wetterwendischen Charakter nicht die Kraft auf, mich böse zu stellen, und so begannen wir bald wieder miteinander zu sprechen, und nicht über göttliche Dinge, weil er viel belesener war als ich, sondern über die Gegend, wozu uns die riesigen dunklen Wälder anregten, durch die unser Weg führte. Ich bemühte mich, mein Moskauer Gespräch mit Lewontij zu vergessen, und entschloß mich, auf der Hut zu sein und nicht irgendwie auf den Starez Pamwa, den Einsiedler zu stoßen, der Lewontij so begeistert hatte und über dessen erhabenen Lebenswandel ich selbst unfaßbare Wunder von kirchlich Gläubigen gehört hatte.

      »Nun,« denke ich mir, »was soll ich mir große Sorgen machen, wenn ich ihm aus dem Wege gehe? Er selbst wird uns doch gewiß nicht suchen.«

      Und so wandern wir wieder friedlich und wohlbehalten und kommen schließlich in Ortschaften, in denen wir Kunde davon erhalten, daß der Ikonenmaler Ssewastjan die Gegend durchziehe. Nun beginnen wir, ihn von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf zu suchen, wir folgen ihm schon auf frischer Fährte, wir erreichen ihn fast und können ihn doch nicht einholen. Wir laufen wie gekoppelte Hunde, legen Strecken von zwanzig bis dreißig Werst ohne Rast zurück, aber wenn wir irgendwohin kommen, so sagt man uns:

      »Er ist hier gewesen und ist eben, vor einer Stunde weggegangen.«

      Wir eilen ihm nach, aber es gelingt uns nicht ihn einzuholen.

      Einmal an einer Wegkreuzung gerate ich mit Lewontij in Streit. Ich sage: »wir müssen rechts gehen«, und er sagt: »links«. Schließlich hätte er mich beinahe überredet, aber ich beharrte auf meiner Meinung. Wir gehen also und gehen, und schließlich merke ich, daß ich nicht mehr weiß, wohin wir geraten sind, und daß weder ein Pfad, noch eine Spur weiterführt.

      Ich sage dem Jüngling: »Kehren wir um, Ljowa!«

      Aber er antwortet: »Nein ich kann nicht mehr weitergehen, Onkel, ich habe keine Kraft mehr.«

      Ich frage besorgt: »Kindchen, was fehlt dir denn?«

      Und er erwidert: »Siehst du denn nicht, wie mich der Frost schüttelt?«

      Ich sehe, wie er am ganzen Körper zittert und wie seine Augen umherirren. So plötzlich war es geschehen, meine werten Herren. Er hat über nichts geklagt, ist flink einhergegangen, und nun setzt er sich mit einem Male in einem Wäldchen aufs Gras, lehnt seinen Kopf an einen hohlen Baumstumpf und sagt:

      »Oh, mein Kopf, oh mein Kopf! Mein Kopf brennt wie Feuerflammen. Ich kann nicht weiter gehen, ich kann keinen Schritt mehr machen.« Und damit neigt sich der Arme zur Erde und fällt hin.

      Dies geschah gegen Abend.

      Ich war sehr erschrocken, und während ich wartete, ob sein Anfall nicht nachlassen würde, brach die Nacht herein. Es war Herbstzeit und trüb, die Gegend war unbekannt, ringsum nichts als Fichten und alte Tannen, und der Knabe starb einfach hin. Was sollte ich tun? Unter Tränen sagte ich ihm:

      »Ljowuschka, Väterchen, raff dich zusammen, vielleicht erreichen wir ein Nachtlager.«

      Aber er neigt das Köpfchen zur Seite, wie eine abgemähte Blume, und spricht wie im Fiebertraum:

      »Rühr mich nicht an, Onkel Marko, rühr mich nicht an und fürchte dich nicht.«

      Ich sage: »Ich bitte dich,

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