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den kräftigen Fusstritt konnte sie sich, wie bei ähnlichen Gelegenheiten, auch heute bei Nesse Bürger bedanken, die neben ihr sass.

      Diese Fusstritte erhielt sie immer dann, wenn sie den Mund öffnen wollte zu einer Antwort, die Frau Schade nur noch mehr in Harnisch gebracht hätte.

      In Sachen des Geschmackes gerieten beide nur zu leicht aneinander.

      Der Hauptgrund lag in persönlicher Abneigung.

      Frau Schade ärgerte schon der blosse Anblick der sieghaft hübschen Monika. Sie selbst musste sich sehr „herrichten“, um leidlich etwas vorzustellen; dem jungen Mädchen aber hatte die Natur ein Äusseres geschenkt, das erfreulich auffiel. Die Fünfundvierzigjährige beneidete die Einundzwanzigjährige. —

      Von ein bis drei Uhr hatten die Putzmacherinnnen Freizeit. Monika und Nesse traten gemeinsam auf die Strasse, die zu den belebtesten der mittelgrossen süddeutschen Stadt gehörte.

      Nesse sagte vorwurfsvoll: „Du solltest wirklich endlich mit der Schade Frieden halten. Ihre Ideen sind ihr heilig. Warum schlägst du ihr immer wieder Neuerungen vor? Sie versteht sie einfach nicht, und am fernen Jugendhorizont unserer Chefin steht noch die Kapotte. Dass sie trotzdem ihre gute Kundschaft behalten hat, dankt sie nur ihrem alten Ruf; aber er fängt allmählich an brüchig zu werden, und eines Tages wird es wohl so weit kommen, dass die Damen woanders hingehen.“

      Monika, die ihr Rad führte, hatte kaum zugehört. Sie sagte lebhaft: „Lass schon, Nesse, ich mag von dem Kram gar nichts hören! Wenn die herrliche Schade im Einverständnis mit Fräulein Munbert von mir verlangen sollte, ich müsse ’ne Kapotte mit Reiherstutz, neckischem Vergissmeinnicht und breitem Kinnband als neueste Mode garnieren, na, dann tue ich’s eben. Ich habe diese Art von Kampf bis zum Halse satt und hoffe, eines Tages nach meinem Gusto arbeiten zu dürfen. Ein eigenes Geschäft schwebt mir vor, ich möchte den Leuten zeigen, was Geschmack ist.“

      Nesse, eine rosige Blondine mit klaren grauen Augen, fragte lächelnd: „Ist die Erfindung deines Onkels vielleicht fertig, von der er sich soviel verspricht.“

      Monika lachte ärgerlich.

      „Ach, diese Erfindung! Ich habe davon noch nicht einmal soviel“ — sie schnippte mit den Fingern — „zu sehen bekommen. Keinen Schimmer habe ich, um was es sich überhaupt handelt, und manchmal meinte ich, die Erfindung, von der Onkel schon seit beinahe zwei Jahren phantasiert, besteht nur in seiner Einbildung. Damit hält er mich hin, auf bessere Zeiten zu warten und ruhig zu bleiben, weil er mein Muttererbe schon angerissen hat.“ Zornig fügte sie hinzu: „Dies soll ich nicht tun und jenes nicht, ausgehen soll ich nicht und keine Bekanntschaften machen! Goldene Berge verspricht er mir für die Zeit, wenn er mit der Erfindung fertig ist, Schlösser im Mond und dergleichen. Nichts wie Seifenblasen und Humbug, Nesse, ich mache das nicht mehr lange mit! Die Luft ist stickig bei uns in der Nonnengasse, am Ende der Welt.“

      Die Freundin, die eigentlich Agnes hiess und der die Mutter den Kosenamen „Nesse“ gegeben, schüttelte den Kopf.

      „Du hast seit einiger Zeit etwas Verbittertes im Wesen, Monika, das hast du früher nicht gehabt. Schade, es kleidet sich nicht, es passt nicht zu dir.“

      Monika lächelte bitter.

      „Was weisst denn du! Ich möchte aus allem heraus. Möchte weg von dem Erfinder, möchte aus dem Haus weg und aus der Nonnengasse.“

      „Um dein Heim bist du doch zu beneiden, du Unzufriedene. Weshalb drückst du dich so spöttisch aus? Ihr wohnt im letzten Haus vor dem Wald. Der Duft der Tannen zieht durch die Fenster bis in dein Zimmer, und wenn nachts der Wind weht, rauschen dir die hohen Buchen ein Abendlied.“

      Monika zuckte die Achseln und warf den Kopf zurück.

      „Alles schön und gut, zugegeben, aber ich möchte endlich etwas mehr vom Leben haben als Tannenduft und Buchenrauschen. Die Zukunftsvertröstungen Onkels fressen meine besten Jahre, und nachher stehe ich mit leeren Händen da als alte Schreckschraube.“

      Nesse lachte: „Bis zur Schreckschraube hast du noch viel Zeit!“ Sie gab ihr einen freundschaftlichen Klaps, ihr Weg führte jetzt nach links. „Guten Appetit!“ wünschte sie, was Monika dankend erwiderte.

      Monika verschwendete keinen Gedanken mehr an diese Unterhaltung, schwenkte nach rechts hinüber, sprang auf ihr Rad, und in zwanzig Minuten erreichte sie die Nonnengasse.

      Die schmale Strasse hiess so, weil hier einmal ein Frauenkloster gelegen hatte. Sie bestand aus kleinen alten Häusern, von denen das jüngste schon über hundert Jahre alt war.

      Otto Holms Haus lag dort, wo die Strasse eigentlich schon ein Stück zu Ende war. Es fiel aus der Reihe und hatte seinen Platz längst eingenommen, ehe man ein zweites Haus in der Nähe des Waldes gebaut und danach ein drittes, längst ehe der Name Nonnengasse die Zusammengehörigkeit dieser Häuser am Wald festlegte.

      Mehr als bescheiden sieht unser Haus aus, fand Monika, und ihr Blick streifte verächtlich die Front des Gebäudes, von dem stellenweise der Verputz abgefallen war, das feuchte Flecke zeigte und das aus Erdgeschoss und sehr niedrigem Boden mit lukenartigen Fenstern bestand. Nur in der Mitte, unter der Höhe des Daches, gab es ein grösseres Fenster. Es gehörte zu dem einzigen obengelegenen Zimmer. Monika bewohnte es.

      Aber ein hübscher Garten zog sich um das Haus, darin fütterten ein paar pausbäckige Putten aus längst verwittertem Sandstein ebenso verwitterte Tauben. Sie taten es unentwegt im Sommer und Winter. Sie lächelten bei jedem Wetter, und Monika dachte: Ihre Sandsteinnerven müsste man haben, um das Leben „in der Nonnengasse, am Ende der Welt“ ertragen zu können! Das Dasein war reich und bunt und vielfältig, sie aber kam sich vor wie ein Zaungast des Lebens, der alles nur von weitem betrachten durfte.

      Tante Suse, die Gutmütige, immer Zufriedene, die etwas derb aussah, kam ihr auf dem Flur entgegen und saate freundlich: „Geh nur gleich in die Wohnstube, Monika, heute gibt’s Kartoffelpuffer, dein Leibund Magenfutter.“

      Monika nickte ihr zu. Die Tante tat ihr manchmal sehr leid, und sie hätte nicht einmal sagen können warum, denn die Frau war immer zufrieden.

      In der Wohnstube sass Onkel Otto, dessen schmales Gesicht etwas Verbissenes und zugleich Durchtriebenes hatte. Sein Haar war eisgrau, seine Hände waren auffallend schmal. Er lebte von seiner Altersrente. Er war Graveur gewesen und musste seit zwei Jahren feiern. Monika zahlte Kostgeld, seit sie als Gehilfin verdiente.

      Frau Suse brachte eine Schüssel voll Puffer und setzte sie mitten auf den Tisch.

      „Fangt nur immer an“, ermunterte sie, „ich möchte fertigbacken, und frisch schmecken sie doch am besten.“

      Sie verschwand wieder in der Küche.

      Otto Holm verzog den dünnlippigen Mund.

      „Pastetchen möchte ich als Vorspeise, dann Lendenbraten mit Spargel, Artischocken und Champignons, danach Ananas mit Schlagsahne. Dazu eine Flasche Haut Sauterne. Herrgott, Mädel, wenn’s doch endlich so weit wäre!“

      Monika antwortete nicht. Was sollte sie auch darauf noch sagen? Er wiederholte diesen Speisezettel in kleinen Abänderungen fast täglich.

      Nervös zwinkerte er mit den Lidern.

      „Monika, wenn meine Erfindung erst reif sein wird — und es dauert nicht mehr lange bis dahin — dann ändert sich für uns alles mit einem Schlag. Es ist eigentlich unvorstellbar.“ Er legte den Kopf zurück; die Lippen geniesserisch spitzend, versprach er: „Das eleganteste und umworbenste Mädchen der Stadt wirst du werden, Monika, und im teuersten Auto werden wir fahren. Wir . . .“

      Monika schnitt ihm das Wort ab.

      „Wenn du dir so sehr viel von deiner Erfindung versprichst, kannst du mir doch wenigstens erklären, um was es sich überhaupt handelt. Deine Geheimniskrämerei geht entschieden zu weit. Ich werde bestimmt nichts ausplaudern. Es ist unrecht von dir, dass du uns keine Silbe verrätst, weder deiner Frau noch mir.“

      Er zog die etwas verwilderten Brauen hoch, und die breitgeschnittenen Flügel seiner zu langen Nase schienen

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