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„Hahn“ war eine alte Wirtschaft mit Tradition und seit zweihundert Jahren in den Händen einer Familie Hahn. Das Fachwerkhaus, allerdings gründlich instandgesetzt, sah äusserlich und, soweit es sich hatte machen lassen, auch innerlich noch so aus wie einstens. Es war die berühmteste Speisewirtschaft der Stadt, und man trank dort die besten Weine.

      Ein plumper eiserner Hahn stand auf einem kleinen Vorbau am Giebel des alten Hauses, von einigen elektrischen Lampen umstrahlt. Ein Fremder brauchte nicht erst die verschlungene grosse Inschrift am Hause zu lesen, um zu wissen, dass er vor dem „Hahn“ angelangt war.

      Helmut Wingern legte wieder seine Hand leicht auf Monikas Arm. „Jetzt wollen wir uns da drinnen mal erst ein bissel anfreunden, nicht wahr?“

      Sie nickte. „Eigentlich haben wir das wohl schon getan.“

      Er schüttelte lebhaft den Kopf. „Ich habe noch keine Ahnung, wer Sie sind; aber wenn wir erst gemütlich beisammensitzen, möchte ich versuchen, wenigstens Ihren Vornamen zu erraten. Ich denke mir das Spiel ganz unterhaltsam.“

      Sie antwortete im gleichen lustigen Ton: „Sie dürften ziemlich lange zu raten haben, Herr Doktor, meinen Vornamen gibt es nicht allzu häufig.“

      Sie betraten das Haus, die Hauptgaststube öffnete sich vor ihnen. Dahinter lag ein kleinerer, gemütlicherer Raum. Wingern fragte, ob Monika der Tisch in der Ecke rechts angenehm wäre, auf dem ein Strauss bunter Gartenblumen in heller Tonvase stand. Sie bejahte und zog ihr Jäckchen aus, nahm auch den Hut ab. Sie wirkte ohne Hut sehr jung. Wie höchstens achtzehn sah sie aus.

      Der Kellner brachte zunächst eine Flasche Wein, und Helmut Wingern stellte eine kleine Speisenfolge zusammen, die Monika üppig fand. Sie wollte deshalb Einspruch erheben.

      Er lachte: „Aber bitte, ich habe einen Mordshunger vor lauter Freude, weil Sie bei mir sind.“

      Konnte sie dafür, dass ihr Gesicht sich rötete, ehe sie noch einen Schluck Wein getrunken hatte?

      Es waren noch nicht viele Gäste erschienen. Die altmodische Kastenuhr im kleinen Gästezimmer, die als Aufsatz eine Nachahmung des krähenden Hahnes am Hausgiebel in Holzschnitzerei zeigte, meldete blechern klingend die achte Stunde. Gegen zehn Uhr pflegte es keinen leeren Stuhl mehr im „Hahn“ zu geben.

      Helmut Wingern schenkte ein und hob Monika sein gefülltes Glas entgegen. „Auf gute Freundschaft, schöne Unbekannte!“

      Sie stiessen an, aber es gab keinen hellen, reinen Zusammenklang. Monika entdeckte, dass ihr Glas einen Sprung hatte. Schade! Sie hätte es für ein gutes Omen genommen, wenn der Zusammenklang anders gewesen wäre.

      Er hatte es wohl überhört und erzählte: „Ich bin in Frankfurt am Main ansässig und habe mir eine Woche Urlaub gegönnt, weil ich den ganzen Sommer über zu Hause geblieben bin. Ein Kollege vertritt mich. Ich freue mich so sehr, gerade hierhergekommen zu sein.“

      Seine Augen strahlten sie an, dass sie den Blick bis ins Herz fühlte. Sie verstand ihn, er freute sich, dass er in diese Stadt gekommen, weil er sie hier kennengelernt hatte.

      Nach dem zweiten Glas fragte er: „Darf ich jetzt erfahren, wer Sie sind? Ich erzähle es auch keinem weiter, sonst kommen andere und nehmen Sie mir weg.“

      Sie lachte schon wieder und erinnerte ihn: „Sie wollten doch meinen Vornamen erraten. Ich glaube, es wird Ihnen gründlich vorbeigelingen.“

      Er meinte: „Dann wage ich es erst gar nicht, mit dem Raten anzufangen. Doch Mut, ich will’s versuchen! Also Sie heissen . . .“ Er machte ein sehr nachdenkliches Gesicht und lächelte sie plötzlich an. „Ich glaube, Sie heissen Monika!“

      Monika erschrak und sah ihn verwirrt an.

      „Es stimmt, ich heisse wirklich Monika, aber ich begreife nicht, wie Sie daraufgekommen sind. Den Namen gibt es nicht allzu häufig.“

      Er sagte scherzend: „Ich bin ein unheimlich gescheiter Kerl, schönste Monika, das müssen Sie mir doch, wenn auch noch so ungern, wenigstens zugeben.“

      Sie schüttelte den Kopf.

      „Ich stehe vor einem Rätsel! Bitte, sind Sie durch Zufall auf meinen Namen gekommen, oder haben Sie sich erkundigt?“

      Er hatte sehr scharf geschnittene Lippen, und sie musste darauf hinsehen, als er übermütig antwortete: „Ich erfuhr Ihren Vornamen, der mir, nebenbei bemerkt, sehr gut gefällt, durch Zufall, weil ich mal in meiner Jugend lesen gelernt habe. Tja, gelernt ist gelernt!“

      Er langte in die Tasche, holte ein weisses Tüchlein daraus hervor und wies in dessen eine Ecke. Dort stand in zierlicher Stickerei: Monika.

      „Das Tuch haben Sie vorgestern, als wir uns kennenlernten, verloren“, erklärte er. „Ich sah es erst auf der Erde liegen, als Sie schon in einem der Häuser verschwunden waren.“

      Monika staunte. Wie einfach doch manchmal die Lösung für scheinbar Verblüffendes war!

      „Ich heisse Monika Holm, schliesslich brauche ich meinen Vatersnamen nicht geheimzuhalten.“

      Er lächelte und wiederholte so sanft, als ob er den Namen streichelte: „Monika Holm . . .“

      Sie assen und plauderten, Monika trank nach und nach vier Gläser Wein und wusste es kaum. Die Welt hatte sich heute so sehr für sie verwandelt, und herrlich war sie, diese neue, verwandelte Welt. Der Mann, der ihr gegenübersass, gehörte aber da hinein, ohne ihn wäre alles wie vordem — öde, langweilig, eintönig.

      Die Wirtin vom „Hahn“ kam an ihrem Tisch vorbei und grüsste. Sie pflegte alle Gäste zu begrüssen, indem sie im Vorübergehen den Kopf neigte und auf diese Weise für den Besuch zu danken schien. Manchmal blieb sie auch an einem Tisch stehen und erkundigte sich, ob es den Herrschaften geschmeckt habe und ob ihnen der Wein zusage.

      Sie war Witwe und die Besitzerin des Restaurants. Ihr jüngster Sohn, der Koch des Hauses, folgte in allem den Ratschlägen seiner tüchtigen Mutter. Helene Hahn war sechsundvierzig Jahre und eine sehr gepflegte Frau. Sie trug im Hause, wie eine Uniform, stets eine Art Dirndlkleid aus stumpfer schwarzer Seide mit grossen Silberknöpfen. Ihr sehr gerade gezogener brauner Scheitel und die dicken Flechten zeigten noch kein einziges graues Haar und ihr etwas derbes Gesicht sah auffallend glatt und frisch aus. Dunkle, kluge Augen hatte sie und blendende, ziemlich grosse Zähne. Aber es kleidete sie, das Wolfsgebiss.

      Nachdem die Frau grüssend an ihrem Tisch vorbeigegangen war, freute sich Monika: „Endlich habe ich doch wenigstens einmal die ,Hahnenwirtin‘, wie sie sich selbst nennt, zu Gesicht bekommen. Sie gehört nämlich zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Haben Sie sich die Frau genau angeschaut, Herr Doktor?“

      Helmut Wingern nickte. „Natürlich habe ich das getan. Die Frau fällt einem doch sofort auf.“

      Monika erzählte eifrig weiter: „Sie soll besser wirtschaften können als ihr verstorbener Mann. Und sie hat sechs Söhne von ihrem Schlag. Alles studierte Leute, bis auf den Jüngsten, der einmal den ,Hahn‘ erben sollte. Aber er starb plötzlich, und sofort, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, brach der Zweitjüngste sein Chemiestudium ab und lernte Koch. Jetzt steht er in Mutters Küche. Er soll sein Handwerk ausgezeichnet verstehen.“ Sie lächelte. „Man erzählt, Helene Hahn hätte gesagt, so wären ihre sämtlichen Söhne erzogen, die Tradition ginge ihnen über alles. Wenn es nötig sein sollte, sprängen auch die anderen vier aus dem Studium heraus, um im ,Hahn‘ zu arbeiten. Das alte Haus lege denen, die da hineingehörten, eben Verpflichtungen auf.“

      „Der Frau sieht man es an, dass sie so denkt und handelt“, meinte Dr. Wingern und schlug vor, aufzubrechen und ein Tanzcafé aufzusuchen.

      Monika war gern einverstanden.

      Am Ausgang stand die Wirtin, und ihr Kleid aus schwerem teurem Taft raschelte ein wenig geheimnisvoll, als sie bat: „Wenn es Ihnen im ,Hahn‘ gefallen hat, meine Herrschaften, dann kommen Sie, bitte, recht bald wieder.“

      Monika dachte, das so einfach wirkende Kleid sei sicher teurer als ein halbes Dutzend von der Sorte, die sie selber

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