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Koblanks Kinder. Erdmann Graeser
Читать онлайн.Название Koblanks Kinder
Год выпуска 0
isbn 9788711592472
Автор произведения Erdmann Graeser
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
6
Zwei Tage lang dauerte dieses Idyll.
Theo hatte die Tür, die nach der Wohnung der Frau Siebke führte, verriegelt und Heupferd durch eine Postkarte verständigt, daß er vorläufig unabkömmlich sei. »Große Sache«, hatte er als Grund angegeben.
Auf dem oberen Treppenabsatz befanden sich Wasserleitung und Ausguß, so daß sich Theo ohne fremde Hilfe mit der notwendigen Flüssigkeit versorgen konnte. Als er aber am Morgen des dritten Tages frisches Wasser dort holen wollte, fand er neben dem Ausguß Frau Siebke stehen.
Sie sah sehr würdig aus, hatte eine goldene Brosche unter dem Halse angebracht und trug statt der ausgetretenen Filzlatschen Zeugschuhe mit Lederkappen. Sie sagte nicht wie sonst freundlich »Gu’n Morgen«, redete ihn auch nicht »Herr Doktor« an, sondern sah schweigend zu, was er an der Wasserleitung trieb. Er hatte ihr zugenickt, die Wasserkanne gefüllt, wandte sich gerade zum Gehen, da trat sie ihm in den Weg.
»Ick wollte bloß fragen, Herr Koblank, ob Sie mir mit Jewalt ins Zuchthaus bringen wollen?« fragte sie heiser flüsternd.
»Sie sind ja verrückt«, erklärte ihr Theo, wollte vorüber, kam aber nicht an ihr vorbei.
»Ick bin ’ne anständige Frau, die Witwe von einem königlichen Beamten, mein Mann war zwanzig Jahre bei die Post – ick frage Ihnen noch mal: Wollen Sie mir partuh ins Zuchthaus bringen? Denn dadruff steht Zuchthaus, wenn ick det dulde!«
»Machen Sie doch hier keinen Radau auf der Treppe, und lassen Sie mich endlich vorbei, sonst gieße ich Ihnen die Wasserkanne auf ’n Kopp!«
»Ick mache keenen Radau nich, aber ick sage Sie in’t Jute: Eene Stunde jeb’ ick Sie noch Frist! Is dann die Türe nich uffjeriegelt und det Frauenzimmer for immer weg, denn weeß ick, wat ick tue – verstehen Se, Herr Koblank!« Theo schob sie beiseite und verschwand in seiner Bude.
Eine Stunde später saß er mit Lore auf dem Balkon des Café Bauer. Sie trank eine »Melange«, er einen »Schwarzen« und rauchte Zigaretten dazu. Unten auf dem Fahrdamm glitten auf Gummirädern Hofequipagen vorüber, Fremde, den roten Baedeker in der Hand, spazierten auf der Mittelpromenade, unter großem Zulauf zog die Wache auf, ein Händler mit bunten Gummiballons kam eilig daher, Omnibusse ratterten durch die Friedrichstraße, und die Droschkenkutscher an dem nahen Halteplatz saßen auf dem Bock und aßen Sechserkäse, den sie, in Stücke geschnitten, auf die Klinge des Taschenmessers spießten und so zum Munde führten.
Theo und Lore hatten sich ausgesprochen. Sie wußte nun, daß er zwar kein Universalerbe sei, aber später einmal etwas erben werde, daß seine Mittel jetzt so ziemlich erschöpft seien und daß er – der moralischen Anschauung seiner Wirtin wegen – ihr länger keine Zuflucht bieten könnte.
Lore, die zuerst sehr verdonnert ausgesehen, hatte nun Tränen im Auge. »Ick liebe dir, auch wenn du bloß ein janz armer Student bist«, sagte sie. »Ick habe mir ja jleich jedacht, det det nich so in alle Ewigkeit weiterjehen konnte. Ick werde keen Lamento machen, dafor bin ick dir ville zu dankbar – nee, morgen früh, um halber sechse, jeh’ ick mit meene beeden trockenen Schrippen wieder in die Fabrik. Wenn du mir mal wiedersehen willst, kannst du mir ja schreiben, ick wohne in Schlafstelle bei Frau Lutze am Wedding.«
Theo notierte sich die Adresse, gab Lore das Fahrgeld für den Omnibus und eine Mark Überschuß, küßte sie zärtlich auf der steilen Cafétreppe und wartete, bis sie in den Wagen gestiegen und davongefahren war.
Und dann ging er nach der Pepinière, um seinem Freunde Heupferd die »große Sache« zu erzählen, die er in diesen drei Tagen erlebt hatte. Doch – Heupferd war im Kolleg. Theo hinterließ ihm eine Karte, auf der er um seinen Besuch bat.
Heimgekehrt, fand er die Fenster seiner Stube weit geöffnet. Die toten Fliegen waren aus der Gardine geschüttelt worden, der Fußboden war noch feucht und roch nach grüner Seife. Das Bett war frisch überzogen, auf dem Tisch lagen ein Hammer, ein Nagel und ein ganz neuer Pappkarton mit dem Aufdruck: »Möbliertes Zimmer zu vermieten«, und darunter mit Tinte geschrieben: »II. Treppe rechts bei Frau Siebke.«
Also sie wollte ihm, trotzdem er die Miete für den nächsten Monat schon bezahlt, zum Ersten kündigen – heute, am 15. des Monats, war ja Termin dazu.
Theo saß und überlegte. Gut, dann mußte sie aber auch die fünfundzwanzig Mark wieder herausrücken, die ihm jetzt sehr willkommen waren. Er ging hinüber und fand Frau Siebke in der Küche, wo sie Kaffee trank und Zuckerschnecken dazu aß.
»Von Sie kann man sich allens erwarten«, sagte sie, »wenn Sie eene olle Frau die Wasserkanne uff ’n jrauen Kopp zerschlagen wollen – sonne Mieter kann ick nich jebrauchen – je eher, desto lieber! Und von det im voraus jezahlte Jeld werd’ ick abziehen, wat Sie mir Schaden jemacht haben. In die Politur von ’n Tisch haben Sie mit den Ziehjarren ’n Loch jebrannt, die Waschschüssel hat ’n jroßen Sprung, und in den Handtuch sind Tintenflecker, det haben Se als Wischlappen for allet Mögliche benutzt!«
»Es tut mir wahrhaftig leid, daß ich Ihnen die kalte Dusche nicht vorhin gegeben habe«, sagte Theo, »dann würden Sie jetzt klarer im Kopfe sein und sich nicht so ’n Schwindel aushecken.«
»Machen Sie keen Skandal nich in meine Wohnung, sonst zähle ich bis drei, und wenn Se denn nich ’raus sind, verklage ick Se wejen Hausfriedensbruch!«
»Von Ihnen kann man ja erwarten, daß Sie einem morgens in die Zijorienlorke spucken – Sie – Sie, na, Sie wissen’s schon, was Sie sind, Sie olle Morchel!« Und damit verließ Theo die Küche.
Am Nachmittag kam Heupferd. Er war ein bißchen zurückhaltend – Theo merkte, er fühlte sich etwas zurückgesetzt. Und aus dieser gekränkten Stimmung entsprangen seine ersten Antworten. »Nun bist du zu Hause ’rausjeschmissen worden, jetzt setzt dich die Siebke sogar an die Luft, ich glaube, es wird dir überall so jehen, wenn du so weiter übertreibst!«
»Weiter übertreiben – Zimt! Daß du so was sagen kannst, Heupferd, ärgert mich direkt! Wir beide haben uns doch darüber geeinigt, daß das, was die Philister unsittlich nennen, seine eigentliche Ursache in der blödsinnigen Gesellschaftsordnung hat, die man auf Religion und Moral aufgebaut hat! In unserem Alter muß man heiraten können – dann würden wir nicht unsittlich sein; aber wer nimmt einen denn als Schwiegersohn, wenn man immer noch Student ist?! Was du übertreiben nennst, ist nur Idealismus – ich will nischt mehr mit der Sorte von Weibern zu tun haben, die in den Bums-Cafés sitzen oder auf der Straße ’rumrennen. Ich will eine, die mich liebt und die ich liebe – und weil’s jetzt noch nicht mit der richtigen Ehe geht, versuch’ ich’s mit der wilden Ehe!«
»Ich bin ja ganz deiner Ansicht, brauchst also nicht so laut zu brüllen – natürlich hast du recht! Aber bei dir liegt die Sache jünstiger als bei mir. Ich habe kein Vermögen zu erwarten, ich muß aushalten, bis ich soweit bin, um eine Frau ernähren zu können. Du aber mit dem, was dir dein Alter aussetzen wird, kannst übermorgen heiraten, wenn du willst ...«
»So! Aber nicht die, die ich mir ausjesucht! Ich sag’ dir ja – wer wird einem Studenten seine Tochter als Frau jeben wollen ...«
»Och« – machte Heupferd mit einer zuversichtlichen Handbewegung.
Theo verdroß diese Hoffnungsseligkeit. »Ich weiß«, sagte er, »wenn ich heute da anklopfe, wo ich gern möchte, bekäme ich glatt einen Korb!«
»So – du hast also schon eine ganz Bestimmte auf ’n Kieker?«
»Ja!«
»Ich bin gespannt wie ’n Flitzbogen!«
Theo holte die Zigarrenkiste aus dem Schrank, gab Feuer, die Stimmung wurde sofort gemütlicher. Und da rückte Theo mit seinem Geheimnis heraus, erzählte von jenem Vorfrühlingstage, als er seine Schwester mit der feinen, zierlichen Bianka Rieth getroffen hatte.
»Die ...«, sagte Heupferd gedehnt. »Na, das wäre nun jerade nicht mein Jeschmack!«
»Warum?«