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na ja, da is er ohne Widerstandskraft einfach verloren. Wir müssen ihn wieder zurückholen.«

      »Nee – alt jenug ist er, wir können ihn nicht ewig am Jängelbande führen. Das einzige ist, wir schicken ab und zu mal Anton hin, daß er sieht, wie es ihm jeht, ob er jesund ist. Ich bin janz froh, daß es so jekommen ist, wenigstens bleibt hier die Luft rein, denn wenn wir ihn zurückholen, jinge die Völlerei erst recht los!«

      5

      Jenseits der Weidendammer Brücke. Da liegt das Berlin der Kasernen und Kliniken, die Welt der Tingeltangel und Studentenkneipen, des Chambre garnie, ist das Reich der Kellnerinnen, der gefälligen Mädchen, der Pfandleihen und der Armut.

      Ein seltsames Menschengemisch bevölkert die Straßen: Studenten, Gelehrte, Ärzte, Offiziere und Soldaten, Händler, Musikanten, Chansonetten, vergrämte, zerlumpte Frauen, blasse Kinder, Krüppel, Zuhälter und Verbrecher mischen sich unter die Bewohner dieses Stadtteils, der von alters her als »Quartier Latin« seine eigenen Anschauungen und Gesetze hat.

      Und in den Abendstunden, wenn die bunten Lichter der Singspielhallen aufflammen, die roten Laternen vor den »Lokalen mit Damenbedienung« und zweitem Eingang vom Hausflur, wenn die Straßenhändler ihre Posten beziehen, aus den Kasernen die Trompetensignale zur Heimkehr rufen, die grellgeschminkten und farbig-schreiend aufgeputzten Mädchen ihren Rundgang um das ihnen zugewiesene Straßenviertel beginnen, dann dringt, vom vornehmen Westen kommend, ein Schwarm junger Männer in diesen Stadtteil, um sich dort in den verrufenen Ballsälen und Kneipen, Singspielhallen und Kellerlokalen zu amüsieren.

      In dieser Welt wohnte nun Theo. Er, der in dem neuerstandenen Berlin aufgewachsen, war in einer Gegend der großen Stadt untergetaucht, wo jeder Pflasterstein, jedes Haustor, jeder Raum Geschichten erzählen konnte – Geschichten merkwürdiger Menschenschicksale, die sich hier ereignet und ihr Ende gefunden hatten.

      Die Stube, die Theo bewohnte, hatte ihm sein Freund Heupferd verschafft – es war eine alte »Studentenbude« und Frau Siebke, die Vermieterin, eine altgewordene Studentenmutter, die die Wesensart jedes Neuzugezogenen auf den ersten Blick richtig einschätzte und ihn danach gleich behandelte.

      Oben an der Decke klebten wie Stuckornamente angetrocknete »Heringsseelen«, die silbrig schimmernden inneren Bestandteile von unzähligen Bücklingen, die die Studenten hatten »hochsteigen« lassen, indem sie sie beim Verzehren von Katerfrühstücken nach oben geschleudert. Der Eingang zu dieser Bude war vom Treppenflur aus, so daß der »Herr Doktor« zu jeder Zeit kommen und gehen konnte, ohne Frau Siebke zu stören. Der ehemals grüne Ripsbezug des Sofas zeigte durch Vertiefungen die Stellen an, wo man am bequemsten sitzen, und Häkeldecken auf der Lehne, wo man den Kopf unterbringen konnte.

      Über diesem Möbel hing in etwas abgebröckeltem Goldrahmen eine Lithographie von »Faust und Gretchen«, in den Gardinenfalten lagen ganze Kollektionen toter Fliegen, vom blauglitzernden Brummer bis zur Musca domestica, und das Rouleau zeigte, wenn es morgens draußen hell wurde, eine magisch gefärbte Felsenlandschaft mit einer Wassermühle. Die Tür des Marmorwaschtisches hatte eine Vorliebe, von selbst aufzugehen, den Inhalt von Steingut und den Stiefelknecht zu zeigen, das Bett war jedoch ein Prunkstück. »Unser Ehebett«, hatte Frau Siebke stolz gesagt, »seit mein Oller tot is – und det is nu an die dreißig Jahre –, schlafe ick uff ’n eisernes wie der olle Kaiser Willem!«

      Sie glättete liebevoll die rote Steppdecke und prüfte den Eindruck ihrer Worte in Theos Zügen.

      »Jakeen Preis nich – fimfunzwanzig Emm – for diese Stube mit erstes Frühstück! Und mein Kaffi haben alle, die hier jewohnt, immer jelobt. Na – und wenn Ihre Kusine mal uff Besuch kommt, jeb’ ick ooch jerne mein jutes Zervis mit Verjißmeinnicht!«

      Auf Besuch kam zuerst Onkel Anton, der jetzt mit seinem glänzend-kahlen Kopf und dem bartlosen Gesicht einem alten Clown glich. Er zwinkerte nicht mehr mit dem Auge, sondern kniff es fest zusammen und bekam dadurch etwas seltsam Spitzbübisches für Fremde. Eines Morgens war er da, gerade als Theo nach einer durchkneipten Nacht später als sonst aufgestanden und noch beim Kaffeefrühstück war. »Mach dir keene Umstände nich«, sagte er, »ick mußte wejen ’ne Holzladung aus Pommern uff ’n Stettiner Bahnhof, und da ick doch nu mal in die Jejend war, wollte ick mal sehen, wie’s dir jeht!‹ «

      »Jut!«

      »Ja, det sehe ick zu meine jroße Freude! Ville zu tun – wat?«

      »Mächtig!«

      »Schade, det is hier sonne schöne Amisierjejend, een Jammer, dette nich zukommst!«

      »Nee!«

      »Und die Juchhei-Meechens, die hier schon an ’n frühen Morjen ’rumrennen!«

      »Hm!«

      »Na – bei die nächste Antwort wirste woll bloß noch durch die Neese pusten, damit se noch kürzer is!«

      »Onkel Anton, ich will dir mal was sagen: Wenn du mich aushorchen willst, mußt du das ein bißchen schlauer anfangen!«

      »Dieses war meine Absicht nich, aber det Wort soll keene Brücke nich sind! Vater hat mir wat for dir mitjejeben – da!« Er zog einen Brief aus der Brusttasche und reichte ihn Theo hin.

      »Danke!«

      »Mach uff und quittiere!«

      Theo zerriß den Umschlag, betrachtete lange die Geldscheine und sagte dann: »Quittieren – Unsinn, dafür quittiere ich nicht! Das Doppelte wäre gerade das Notwendigste!«

      »Ick werd’s Vatern sagen! Für die Jegend reicht’s nich – hier is det Leben teurer wie in die Potsdamer Vorstadt!«

      »Is’s auch!«

      »Det läßt sich ja denken! Schade, det jetz um die Zeit nischt los is.«

      »Nee!«

      »Na, weeßte Theo, ick komm mal abends her, denn zeigste mir ’n bißken wat von den Klimbim! Ick schmeiße natürlich!«

      Theo sah ihn düster an. »Weißte, Onkel Anton, ich glaube nicht, daß ich die Zeit dafür finde – du ahnst nicht, was ich tagtäglich für ein Arbeitspensum zu bewältigen habe. Ich sitze manchmal bis zum andern Morgen, um das nachzuholen, was ich an kostbarer Zeit, zum Beispiel durch einen Besuch am Tage, verloren habe. Aber ich meine dich nicht!«

      »Ick fühle mir ooch nich jetroffen, nee – ick versteh’ schon, watte for ’n Besuch meinst!«

      »Ach Jott, Onkel – aus Weibern mach’ ich mir jarnischt mehr! Ich lebe wie ’n Mönch in meiner Zelle, kannst ja Frau Siebke fragen, wenn du es nicht glaubst!«

      »Ick jloob’ dir allens uff’s Wort, ick bin ja eener aus Dummsdorf! Schade, schade, dette dir nich länger jung jehalten hast! Seh mal mir an mit meinen kahlen Kopp – ick steh’ noch immer meinen Mann. Bloß jut, det ick nich jeheirat’t, ick hätte die Frau totunjlicklich jemacht, denn – det hab’ ick erst heite uff den Weg hierher jemorken – ick bin pollijamistisch veranlagt!«

      »Das hast du dir durch uns angeheiratet! Aber ich hatte die Anlage geerbt – kannst du dir vorstellen, welche Willenskraft es mich gekostet hat, das Übel loszuwerden?«

      »Und in so kurze Zeit – in die drei Wochen, wo du von uns weg bist, denn als du auszogst, hattste’s noch! Es war ja woll der Jrund, warum du wegmachtest? Wostet nu los je worden bist wie ’n Bandwurm mit Kopp, kannste doch nu wieder bei uns ziehen – soll ick’s Vatern sagen? Ja – nu sehste mir zuwider an, Theo! Ick weeß nich, warumste mir so anlackieren willst! Ick hätte mir wirklich janz jerne mit eich Studenten mal ’n bißken amisiert – mal schad’ts ja nich – aber ick will mir ooch nich uffdrängeln. Bei all deine Schlauheit biste nich schlau jewesen, Theo, sonst härteste mir dir zu ’n Freunde jemacht und hättst den Vorteil von jehabt!«

      Anton stand auf. »Also – mach’s jut, arbeete nich zu ville, du siehst von die Überanstrengung schon janz käsig ins Jesichte aus! Und die Lockennadel da uff’s Tintenfaß jib man Frau Siebke zurück, det se sich ihre Funzeln feststecken kann. Adje, mein Sohn Absalon!«

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