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Koblanks Kinder. Erdmann Graeser
Читать онлайн.Название Koblanks Kinder
Год выпуска 0
isbn 9788711592472
Автор произведения Erdmann Graeser
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Sie kamen überein, den angebrochenen Abend im »Boulevard« und im »Eldorado«, zwei der größten Singspielhallen, zuzubringen. Und da saßen sie dann auch, starrten die geputzten, kurzröckigen Mädchen an, die – auf vergoldeten Stühlen sitzend – den Hintergrund des Podiums im Halbkreis einnahmen, und hörten mit Andacht dem Singsang zu:
»Ja – ich bin emanzipiert,
Es gibt nichts, was mich scheniert –
Hoppla, hoppla – hopplalla!«
Hatte eine kaum ausgesungen, so begann sofort die nächste:
»Sind es die Füßchen, die netten, netten,
Oder die kleinen Stiefeletten – letten,
Ist es dies oder das –
Oder ist es sonst noch was?«
Sie saßen, bis als letzte Nummer die »Csárdástänzerin« aufgetreten war, dann zogen sie nach dem »Strammen Hund«, einem Kellerlokal, dessen Publikum aus Droschkenkutschern und Studenten bestand, und aßen dort Erbssuppe und Königsberger Fleck.
Nun sehnte sich Heupferd heim. Theo gab ihm das Geleit bis zur Pepinière, dann schlenderte auch er heim. Doch in der Chausseestraße lockte ihn noch ein Café an – er verschwand dort, bestellte sich »einen Schwarzen«, und als ihn der starke Kaffee nach dem vielen Bier etwas ermuntert, forderte er zur Abwechslung einen Absinth.
In einem gewissen seligen Gefühl blieb er solange auf der roten, mottenzerfressenen Plüschbank sitzen, ein Plakat mit der Aufschrift »Kalte Ente« vor Augen, bis er einschlief.
Als er erwachte, stand ein Kellner in Hemdsärmeln vor ihm und bedeutete ihm, daß er jetzt hinausgeworfen werde, wenn er nicht freiwillig gehe. Theo sah verständnislos den Kellner und zwei brave, alte Frauen an, die den Fußboden aufwischten – stand auf und ging. Draußen war es schon ganz hell, die Spatzen schilpten, und die Arbeiter marschierten in ganzen Bataillonen in die Werkstätten und Fabriken.
In der Waschtoilette des Bahnhofes Friedrichstraße vollzog Theo eine Säuberung seines äußeren Menschen, freute sich über sein Armband und den Spazierstock, hatte aber noch immer keine Lust, heimzugehen. Er zog sein Portemonnaie heraus – es war noch immer genug darin, unter anderem auch ein ganz neuer, blanker Pfennig, den er fortwährend als Goldstück mitzählte. Dies ärgerte ihn so, daß er nach der Weidendammbrücke ging und den Pfennig in die Spree warf.
Bei diesem Beginnen wurde er von einem jungen, hübschen, ärmlichen Mädchen beobachtet. Er nickte ihm freundlich zu und fragte, was das junge, ärmliche und – wie es ihm schien – sehr hübsche Mädchen in dem kleinen Paket aus Zeitungspapier habe. Das junge Mädchen lächelte, öffnete das Paket an einer Seite und zeigte zwei trockene Schrippen.
Theo fragte, ob das junge Mädchen nicht lieber ein Beefsteak à la tatare mit ihm in den Zelten essen wolle, dann, wie es heiße, es käme ihm nur auf den Vornamen an.
Sie heiße Lore – sagte die Kleine, und ein Tatarbeefsteak würde sie sehr gern in den Zelten essen, aber jetzt müsse sie erst in die Fabrik, wo sie zwölf Mark wöchentlich verdiene.
Theo griff in die linke Westentasche, gab Lore zwölf Mark und sagte ihr, sie brauche also nicht in die Fabrik zu gehen, sondern könne mit ihm zusammen ein Beefsteak à la tatare in den Zelten essen.
Lore fragte, ob er das Geld auch redlich verdient habe, und er erwiderte, daß er kein Geld redlich zu verdienen brauche, denn er sei reich, sei ein Universalerbe.
Sie gab daraufhin ihrer Freude Ausdruck, endlich einen Universalerben in Wirklichkeit kennenzulernen, denn bisher sei ihr diese Sorte von Menschen nur in Zeitungsromanen vorgekommen. Sie war nun auch gern bereit, das Tatarbeefsteak mit ihm zusammen in den Zelten zu essen.
So gingen sie, nachdem Lore die eine Schrippe rasch verzehrt und die andere, um sich den Appetit nicht zu verderben, in die Spree geworfen hatte, durch den taufrischen Tiergarten nach den Zelten, und sie erzählte ihm unterwegs, daß sie ganz allein in der Welt dastehe.
Er fand das sehr nett, weil nun niemand da war, der ihm dreinreden konnte. Es wurde ihm auch nicht schwer, nachdem sie sich an zwei Beefsteaks à la Meier gestärkt hatten – denn Tatarbeefsteak gab es zufälligerweise leider nicht –, Lore für eine optimistische Weltanschauung zu gewinnen.
Die Arbeit in der Fabrik – erwiderte sie – habe ihr schon seit langem nicht mehr behagt, aber helf’ er sich, wenn eine so arm sei wie sie!
Worauf ihr Theo erzählte, daß er als Universalerbe die sonderbare Marotte habe, wie ein armer Student möbliert zu wohnen und nur dann, wenn es ihm gerade passe, sich nobel anzuziehen und das Leben in vollen Zügen zu genießen. Beweis: der neue Spazierstock, das silberne Armband, die große Zeche von sechs Mark fünfzig inklusive Trinkgeld.
Lore fand das sehr romantisch, aber an das »möblierte Zimmer« wollte sie nicht glauben. Er werde – sagte sie – in einem vornehmen Hause mit Treppenläufern, Blattpflanzen und Gipsfiguren wohnen.
»Nein, wenn ich Mensch und nichts als Mensch sein will«, sagte er, »dann wohne ich möbliert und gelte als unbemittelter Student!«
Zum Beweise schlug er vor, ihr seine Studentenbude zu zeigen. Ehe sie ja sagte, genoß sie erst noch die Stimmung in dem Garten: Da fuhren jetzt ununterbrochen Droschken vor, farbenprächtig gekleidete Damen in Ballkostümen stiegen mit etwas schwankend gehenden Herren aus, die sich dann erst an den Tischen ein wenig in Fasson brachten – die Haare kämmten, in kleinen Handspiegeln der Damen ihre grauen, übernächtigen Gesichter beäugten, die weinfleckigen Westen stramm zogen.
»Demimonde mit ihren Verehrern«, erklärte Theo der verwunderten Lore diese Gäste, »kommen aus dem Café Nazi, müssen sich stärken!«
Ja, alle verlangten Kraftnahrung: Bouillon mit Ei oder Mark, Paprikaschnitzel, Beefsteaks. Und mit all diesen Nachtschwärmern waren, aus einem der Cafés wohl, zwei Geiger und ein Flötist erschienen, ebenso aschfahl wie die übrigen, ebenso verstaubt auf Frackkragen und Weste, die Stärkwäsche ebenso zerknittert und beschmutzt. Und nachdem die Kapelle sich an schwarzem Kaffee mit Kognak gelabt, stimmte sie das gefühlvolle Lied an:
»Was kann denn schöner sein,
Als so recht tief hinein
Den holden Frau’n
Ins Auge schau’n –«
Die Spatzen piepten dazwischen und hüpften von Tisch zu Tisch, um die hingestreuten Semmelbrocken aufzupicken, von überall her klang jetzt das Tuten der Fabrikpfeifen, das den Arbeitsbeginn des fleißigen, werktätigen Berlins verkündete, aber die Kapelle spielte unbekümmert um diese Mahnung:
»Sehen Sie – das ist ein Geschäft,
Das bringt noch was ein –
Ein jedes Mädchen kann das nicht,
Es will verstanden sein – –«
Die Sonne kam höher, es wurde ein herrlicher, warmer Frühlingstag. Aus dem Tiergarten erklang frisch das Schmettern vorüberziehender Militärmusik, Frühaufsteher – alte Herren, die eine Brunnenkur durchmachten, tauchten jetzt zwischen der übernächtigen, bunten Gesellschaft auf.
Da fuhren die Droschken vor, der Spuk verschwand, eine Viertelstunde später hatten die Gartenlokale ihr solides, bürgerliches Aussehen zurückerhalten.
Auch Theo und Lore waren gegangen. In der Chausseestraße kaufte er ihr eine rotseidene Bluse und – da in dem Geschäft gerade »Großer Ausverkauf« war – auch noch eine Untertaille, ein Paar Strumpfbänder, blau, mit Schleifen, und einen Taftunterrock von einem Taft, der niemals brechen sollte.
Dann