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mit dem großen roten Hut – das soll sie sein?« fragte Heupferd ungläubig. Doch nun erkannte auch er sie, beobachtete sie ein Weilchen in ihrem Benehmen mit den Herren, an deren Tisch sie saß, und sagte dann mitleidig: »Schade – was ist in der kurzen Zeit aus dem reizenden Mädel jeworden!«

      »Ob sie uns jesehen hat?« – »Sicher!«

      Die beiden Freunde saßen ein Weilchen betreten da, dann sagte Heupferd: »Ich möchte doch mal mit ihr sprechen ...«

      »In deinen Au–gen

      Steht es ge–schrieben ...«

      begann jetzt der Klavierspieler wieder. Ein paar Sekunden blieb die glänzende Parkettfläche noch frei, dann drehten sich einige wenige Paare im Walzertakt.

      Heupferd erhob sich, ging schräg durch den Saal, blieb vor Mieze stehen, verbeugte sich. Sie sah auf, fremd, kalt, schüttelte abweisend den Kopf. Einer der Herren am Tische sagte: »Die Dame tanzt nicht mit jedem!«

      Heupferd sah den Herrn scharf an, trat seitwärts – überlegte. Ein junges Mädchen in seiner Nähe machte ihm freundliche Augen. »Darf ich bitten, mein Fräulein?« fragte er etwas ungewiß.

      Sie hob sofort die Arme, bereit, mit ihm zu tanzen. Gleich darauf tanzte auch Mieze mit ihrem Kavalier. War es Zufall, war es Absicht – während des Walzers waren diese beiden Paare nebeneinander geraten, tanzten sich auf den Hacken. Und plötzlich stolperte Miezes Herr, fiel auf die Knie, erhob sich jedoch gleich wieder.

      Heupferd, der weitergetanzt hatte, kam jetzt an der Stelle vorüber, an der der verunglückte Tänzer wartete – gleich darauf sah Theo, wie er Heupferd in den Weg trat, ein kurzer, erregter Wortwechsel begann, wie beide Herren den Saal verließen.

      Theo eilte ihnen nach – aber da traten die beiden schon wieder in den Saal. Heupferd, der sehr blaß war, machte seinem Freunde eine Handbewegung, die andeutete, daß alles erledigt sei, kehrte mit ihm an den Platz zurück, schnitt eine Grimasse, die sorglose Heiterkeit verraten sollte, trank sein Bier aus und sagte: »Kognak – wir wollen jehen – Kontrahage! Ich hatte den elejanten Burschen für einen Kommis jehalten – ist aber Viehmuse – Tierarzt!«

      »Das durfte nicht kommen.«

      »Nee – aber er war unverschämt jeworden, und nachher rempelte er auch noch beim Tanzen – da hab’ ich ihn überrannt!«

      Auch Theo trank sein Bier aus. »Weißt du – ich hab’ Lust, ’rüberzujehen – zu provozieren!« Er reckte sich in seiner ganzen Staatlichkeit auf.

      Aber Heupferd sagte unwillig: »Nein, komm, mach keine Dummheiten!«

      So verließen sie den Tanzsaal, fuhren nach Berlin zurück, versuchten voreinander Komödie zu spielen, sich den Anschein zu geben, als ob die bevorstehende Mensur nichts weiter als eine interessante Unterbrechung ihres täglichen Einerleis sei.

      Nur beim Abschied sagte Heupferd: »Daß mir die Mieze noch solche Geschichten einbrocken würde, hätte ich auch nicht jeahnt!«

      7

      Theo war in dem Kleinkampf mit Frau Siebke unterlegen, hatte es vorgezogen, das Feld zu räumen, noch ehe der Monat abgelaufen war, und hatte sich ein anderes »Möbliertes« in der Kesselstraße gesucht. »Siegellack« – der wegen seiner roten Mütze von den Studenten so getaufte Dienstmann – hatte ihm die Bücher und andere Habseligkeiten in das neue Quartier geschafft. Hier war kein »separater Eingang vom Flur«. Theo heftete seine Visitenkarte daher mit einem Reißnagel unter das kleine, messinggefaßte Porzellanschild seiner Wirtsleute, des Ehepaares Ratzel, das ihn freundlich und glücklich als Untermieter aufgenommen hatte.

      Der Mann war Schneider, arbeitete in einem großen Maßgeschäft in der Friedrichstraße und war tagsüber nicht zu Hause. Die junge Frau fand – trotzdem sie in dem Haushalt genug zu tun hatte – immer noch Zeit, für ein Wäschegeschäft zu nähen. Theo bekam sie nur selten zu sehen, sie richtete sich mit dem Aufräumen seines Zimmers immer so ein, daß diese Arbeit während der Abwesenheit des Mieters vorgenommen wurde.

      Unbewußt beeinflußten ihn diese fleißigen, stillen Leute, die es so ernst damit nahmen, sich einen Notgroschen zu ersparen. Es bedrückte ihn, daß sie ihn für einen Tagedieb halten konnten, und er nahm, auch von Heupferd angefeuert, seine vernachlässigten Studien wieder auf.

      Ja – Heupferd hatte jetzt unstreitig das Übergewicht. Die Mensur, die ihm einen »tadellosen Schmiß« eingetragen, war sein heimlicher Stolz. Theo beneidete ihn um diese Ziernarbe, suchte ihm auch – jetzt aufmerksam geworden – vieles abzusehen, was seine »mangelhafte Kinderstube« an ihm versäumt oder was er früher ganz offenkundig als »blödsinniges Jetue« verachtet hatte.

      Später als sonst fiel in diesem Jahre Pfingsten. Die Birkenäste, die auf großen Leiterwagen in die Stadt gefahren wurden, zeigten große, starke Blätter, und die Kalmusstauden waren fast armdick. Die Kinder liefen damit durch die Straßen und »piepten« sich die Lippen wund, die Händler riefen unermüdlich ihr: »Maien – kooft Maien!«, und die Dienstmädchen kamen aus allen Häusern und trugen riesige Zweige zur Ausschmückung der Wohnungen davon. Jede Gastwirtschaft, fast jedes Ladengeschäft zeigte an der Tür solch einen grünen Busch, manche Geschäftsinhaber pflanzten, in wassergefüllte Eimer oder Steintöpfe gestellt, ganze Maienbäume vor dem Eingang auf.

      In schlankem Trab strebten die Droschken aus allen Stadtvierteln den Bahnhöfen zu: Wer konnte, flüchtete für ein paar Tage aus der überhitzten Stadt, machte einen Pfingstausflug. Schon seit Tagen prangten die Plakate mit der Überschrift: »Extrazüge« an allen Anschlagsäulen.

      Theo kam von einem Besuch in der Bülowstraße. Er war in letzter Zeit öfters dagewesen und hatte Anschluß an die Familie gesucht, denn er steckte alle Augenblicke in Geldnöten. Seinen Vater ließ er davon nichts merken. Röschen gegenüber aber machte er unheimliche Andeutungen, sprach von »Halsabschneidern«, »Blutsaugern« und »Pfandleihern« und erreichte dadurch, daß sie ihm beim Fortgehen immer ein paar Zwanzigmarkstücke in die Hand drückte.

      Heute war es ihm geglückt, sie noch mehr als sonst zu beunruhigen, da er von »verpfändetem Ehrenwort und standesgemäßem Auftreten« gesprochen und sie – während eines kurzen Alleinseins – gegen den Vater ausgespielt hatte, der ja keine blasse Ahnung davon habe, in welch gräßliche Verlegenheiten ein Student plötzlich kommen könne.

      Als er jetzt, auf dem Heimwege, durch die Potsdamer Straße ging, regte sich in ihm der Wunsch, eine dieser gräßlichen Verlegenheiten dadurch aus der Welt zu schaffen, daß er sich auch ein Paar solche mausgrauen Glacés zulegte, wie sie sein Freund Heupferd von seiner französischen Mama zum letzten Geburtstag erhalten hatte. Diese Handschuhe hatten erst heute wieder auf Theo einen tiefen Eindruck gemacht, als sich sein Freund am Morgen von ihm verabschiedet, um die Festtage auf dem pommerschen Gut seines Onkels zu verleben. Mit diesen Mausgrauen und dem Schmiß auf der Backe mußte ja Heupferd eine heillose Verwirrung in den Köpfen der Landpommeranzen anrichten.

      Entschlossen trat Theo in das nächste Handschuhgeschäft und forderte »ein Paar mausgraue Handschuhe mit Raupen«.

      »Ja – diese hier möchte ich haben, Fräulein!« sagte er nach sorgfältiger Wahl. Er stützte den Ellbogen auf das dicke, runde Polsterkissen und ließ sich einen der Handschuhe anziehen. »Na – werden Sie morgen im Zapperlotschen oder in den Zelten beim Frühkonzert sein?« fragte er die Verkäuferin.

      Das hübsche, dunkeläugige Mädchen hob den Kopf und sah ihn an: »Ich bin froh, wenn ich mich mal ausschlafen kann!« sagte sie.

      »Na – und am Nachmittag?«

      Sie zuckte die Achseln – errötete unter seinem prüfenden Blick, zog den Kopf etwas zurück, daß ihre Löckchen seinem Gesicht nicht mehr so nahe kommen konnten. Doch – eines ihrer aschblonden Haare hielt er mit den Lippen fest, bis sie sich durch einen jähen Ruck von ihm befreite.

      Als er ihr das Geld in die Hände legte, erhaschte er ihre Fingerspitzen sekundenlang. »Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn ich Sie morgen wiedersehen dürfte. Ich werde um vier Uhr auf der Veranda bei

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