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von Annegret Teubener, die ihrem Axel nur wenige Tränen nachweinen würde. Der Schlaksige eilte vorweg und nahm dabei den niedergewalzten Lattenzaun in Augenschein – Teubeners jüngste Monstertat. Obwohl die Gutsschänke seit Alinas Tod geschlossen war, hatte Teubener sich weiterhin von seinen zerstörerischen Launen treiben lassen. In manchen Wochen war nichts geschehen, dann überkam es ihn, und er zertrümmerte Daniels letzte unversehrte Blumentöpfe mit dem Vorschlaghammer. Vor drei Tagen hatte Teubener seinen Weinbergtraktor kurzerhand in den Nachbargarten hineingelenkt, ohne den Umweg über die Einfahrt zu nehmen. Daniels Bemühungen, die Fassung zu bewahren und die hinterhältigen Attacken wie einen Hagelschauer im Weinberg hinzunehmen, fruchteten nie. Das anschließende Wortgefecht war heftig ausgefallen.

      Er bat die Männer ins Wohnzimmer, das halbwegs ordentlich aussah, weil Hanna regelmäßig zum Putzen kam, und kehrte in die Küche zurück, um den Kaffeeautomaten in Gang zu setzen. Auch wenn die Männer, die sich als Hauptkommissare Luigi Milano und Dirk Wolfert vorgestellt hatten, nichts trinken wollten – er brauchte Koffein, um das Gespräch durchzuhalten. Nach kurzem Zaudern kippte er einen Schuss Wodka in den schwarzen Kaffee und trug den Becher ins Wohnzimmer. Die Polizisten standen mitten im Zimmer, als hätten sie sich nicht von der Stelle gerührt. Trotzdem war er überzeugt, dass sie sich die Bilderrahmen auf dem Sideboard angeschaut hatten. Alina im Weinberg, Alina mit einem Tablett voller Gläser, Alina einfach nur als Alina: die leuchtenden Augen, das bauschige Haar um die Schultern. Sie war viel zu hübsch, um übersehen zu werden.

      Sie setzten sich an den Esstisch, Daniel auf der einen, die Polizisten auf der anderen Seite.

      Der Dicke, Milano, machte den Anfang. »Sie wissen, warum wir hier sind?«

      Daniel nickte. »Mehr oder weniger.«

      »Das heißt was?«, fragte Kommissar Wolfert, dessen Augen hinter den Brillengläsern froschartig hervortraten.

      Daniel starrte auf die Tischdecke – ein Lavendelton, Alinas liebste Farbe –, um keinen Blickkontakt mit den Froschaugen zu riskieren, als er so unaufgeregt wie möglich erklärte: »Ich habe eine Vermutung, warum Sie eben mit Annegret Teubener gesprochen haben, frage mich aber, was Sie von mir wollen.«

      »Wir helfen Ihnen gern auf die Sprünge, Herr Lenges«, polterte der schwergewichtige Kommissar. »Gestern Abend wurde Ihr Nachbar ermordet. Axel Teubener!«

      Daniel duckte sich. Laute Männer schüchterten ihn ein. Was für ein elendiger Morgen. »Ich weiß, meine Schwester hat mich angerufen. Sie hat es in den News im Internet gelesen.«

      »Kommen wir zum Punkt, Herr Lenges«, sagte der Frosch­äugige mit gesenkter Stimme, die nicht weniger bedrohlich klang als das laute Organ des Kollegen. »Sie hatten gestern Abend einen Streit mit Teubener, eine handgreifliche Auseinandersetzung in der Eberbacher Basilika. Dafür gibt es mehr Augenzeugen, als wir nötig hätten.«

      »Der Dreckskerl hat mich provoziert«, verteidigte sich Daniel und nahm einen großen Schluck aus dem Becher. Der Kaffee war lau, dafür sickerte ihm der Alkohol prickelnd durch die Kehle. »Dieser Mann ist der Teufel in Person. Er hat mein Leben zerstört und mir die Familie genommen.«

      »Sie schwitzen, Herr Lenges«, stellte der Dicke fest. »Ist Ihnen unser Besuch unangenehm?«

      »Ich habe schlecht geträumt«, murmelte Daniel. Wie immer schien sich alles gegen ihn verschworen zu haben.

      »Ein Alptraum von Ihrer zweiten Begegnung mit Axel Teubener gestern?«, fragte Wolfert bohrend. »Ihr Nachbar hat die Basilika vor dem Ende des Films verlassen. Haben Sie Teubener in der Klostergasse aufgelauert? Wir sind informiert darüber, dass Sie in der Pause gegangen sind. Für beides gibt es Zeugen.«

      »Keine Ahnung, wo er hin ist«, widersprach Daniel heftiger als beabsichtigt. Er musste die Nerven behalten. Mit dem Ärmel wischte er sich über die schweißnasse Stirn. »Ich wollte nach Hause. Letztes Jahr habe ich ›Der Name der Rose‹ gemeinsam mit Alina gesehen. Das kam alles wieder hoch.«

      »Wir sind über den Unfall Ihrer Frau im Bilde«, bemerkte Milano, nun überraschend milde klingend. Die Kommissare schienen sich darin einig zu sein, abwechselnd zu sprechen. Oder hatte sich das im Verlauf einer jahrelangen Zusammenarbeit so ergeben? »Herr Lenges, Sie waren mit Ihrer schwangeren Frau in den Weinbergen unterwegs, wo Sie mit Teubener aneinandergerieten. Ich verstehe das, Sie waren aufgewühlt, ein rabiater Streit. Danach sind Sie zu forsch angefahren. Der Traktor stürzte um, es war in einer Steillage, und begrub Ihre Frau unter sich. Dann kam der Rettungshubschrauber, brachte sie nach Wiesbaden in die HSK, wo sie leider verstarb. Und mit ihr das ungeborene Kind. Habe ich das richtig wiedergegeben?«

      Daniel nickte stumm. In ihm brodelte es. Sein Kopf drohte zu zerplatzen wie ein zu stark aufgeblasener Luftballon. Sein Atem stockte. Am liebsten wäre er zum Hof hinausgestürzt. Die Sehnsucht nach der Stille der Weinberge schien übermächtig.

      »Herr Lenges?« Der Schmächtige säuselte ihm ins Ohr.

      Daniels Blick versank in Alinas Lieblingsblau.

      Milano schnurrte: »Haben Sie Ihren Nachbarn Axel Teubener getötet?«

      »Ich will einen Anwalt sprechen.« Das war der einzige Satz, den Daniel in dieser vertrackten Situation herausbrachte.

      8

      Wiesbaden

      Donnerstag, der 16. September

      Norma begann den Morgen mit dem Checken der neusten Nachrichten – im Bett und mit dem Smartphone in der Hand. Mehrere Kanäle berichteten über den Mord im Kloster Eberbach. In Details verlor sich kein Artikel, und von möglichen Verdächtigen war ebenfalls nicht die Rede. Falls es entscheidende Entwicklungen geben sollte, hatten die Ermittler sie nicht an die Presse weitergegeben. Kurz wog Norma ab, bei Wolfert oder Milano nachzufragen, entschied sich aber fürs Abwarten. Je weniger sie die Ex-Kollegen mit wissbegierigen Anrufen nervte, desto mehr würden sie später von sich aus preisgeben, hatte sie die Erfahrung gelehrt. So nutzte sie die Zeit, ihren Gedanken nachzuhängen. Seit Tagen war sie ohne Arbeit, ein Umstand, der sie früher nervös gemacht hätte. Mittlerweile war sie entspannt genug, um die freie Zeit zu genießen und darauf zu vertrauen, dass der nächste Auftrag nicht lange auf sich warten ließe. Meistens kam er in Gestalt einer eintönigen, aber profitablen Recherche; ob für eine Versicherung oder einen Geschäftsmann. An diesem Morgen fehlte ihr zur Entspannung nur noch der schnurrende Kater. Zu ihrem Bedauern ließ sich Leopold nicht wie sonst am Dachfenster blicken, um mauzend Einlass zu verlangen. Sofern er nicht über die Biebricher Dächer streifte, hatte er sich womöglich in sein eigentliches Zuhause in der mittleren Etage zurückgezogen. Dort wohnte Eva Vogtländer, der neben dem Haus auch der Kater gehörte. Freilich bestand der Besitzanspruch an dem Tier nur der Form halber. Leopold war sein eigener Herr. Als unabhängiger Geist zeigte er sich mit seinem Personal zufrieden und verteilte seine Gunst auf beide Frauen.

      Schläfrig rollte sich Norma in die Bettdecke ein. Lutz und Timon waren bis spät in der Nacht bei ihr geblieben. Aufgewühlt durch das Verbrechen, hatten sie in der winzigen Küche über den Tod und das Leben philosophiert. Die Männer kannten und schätzten sich. Dennoch kam es selten zu gemeinsamen Stunden. Umso mehr hatte sie es genossen, die beiden Menschen, die ihr die liebsten waren, gleichzeitig um sich zu haben. Lutz war zuerst aufgebrochen. Wenig später hatte sich Timon verabschiedet, um vom Biebricher Rheinufer ins Zentrum zu radeln – zu seinem Heim auf Zeit. Seit Jahren führte er ein freiwilliges Nomadenleben und hütete Wohnungen, deren Besitzer für eine Weile im Ausland lebten.

      Der Appetit aufs Frühstück trieb Norma schließlich aus dem Bett. Kaum saß sie am Tisch, klingelte die Türglocke.

      Vor der Schwelle wartete die Hausbesitzerin. »Hast du einen Moment für mich?«

      »Klar, komm rein, Eva.«

      Leopold hatte sich ihr angeschlossen. Der Kartäuserkater stolzierte an Eva vorbei und trabte in die Küche vo­raus. Dort bediente Norma den Kaffeeautomaten. Das Verlangen ihrer Vermieterin nach Koffein war nicht weniger ausgeprägt als ihr eigenes. Mit einem Dank nahm Eva den Becher entgegen und sank auf einen Stuhl nieder.

      »Musst du nicht zur Schule?«,

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