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klingen sollen, aber der Stolz war klar herauszuhören gewesen. Nelly nannte mehrere Titel, mit denen Norma nichts anfangen konnte. Falls ihr die Darstellerin jemals auf dem Bildschirm begegnet sein sollte, hatte dieser Auftritt keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Im Gegensatz zu der jungen Frau, die mit baumelnden Beinen auf einem Tisch hockte. Ihr Anblick erschien Norma in all seiner Lässigkeit bezaubernd. Die Schauspielerin wirkte im echten Leben ebenso hinreißend wie in den beiden Kinofilmen, denen Marielle Dyckerborn ihren Ruf als Talent mit großartiger Zukunft zu verdanken hatte. Nach dem Hype, der einige Jahre zurücklag, war die Nachwuchskünstlerin allerdings von den Medien vergessen worden. Norma dachte mit Begeisterung an die Filme zurück und hätte Marielle liebend gern angesprochen. Ob das gelingen würde? Zwei Männer und eine Frau mittleren Alters, deren Gesichter in Norma keinerlei Fernsehszenen-Erinnerung weckten, bildeten wie heimliche Verschwörer einen Halbkreis um die Schauspielerin. Waren sie Fans? Oder gehörten sie zu den Leuten des Drehteams, die im Hintergrund agierten? Für Kamera, Licht und Ton oder weitere Aufgaben, die eine Filmproduktion neben Schauspiel und Regie bereithielt?

      Nelly entschuldigte sich, um erneut ihr Handy zu checken. Der Regisseur blieb abgetaucht. Mittlerweile hatten die Gäste die Geduld verloren und machten sich eigenmächtig und ohne eine offizielle Eröffnung über Getränke und Snacks her. Norma fing Timons Blick auf. Er stand am Fenster und unterhielt sich mit dem Schauspieler Sören I. Wahler. Norma füllte sich ein Glas mit einem Eberbach Riesling und schlenderte zu den Männern hinüber.

      »Darf ich?«, fragte Timon und nippte an Normas Wein. Sie hakte sich bei ihm ein.

      Erstaunlich, wie hager der Schauspieler von Angesicht zu Angesicht wirkte. Von einem Künstler seines Formats hätte Norma entschieden mehr körperliche Präsenz erwartet. Eine frappierende Diskrepanz zwischen Bildschirmpersönlichkeit und tatsächlicher Erscheinung.

      »Ich kenne Sie aus dem Fernsehen, Herr Wahler«, sagte Norma. »Was ist Ihre Rolle im geplanten Film?«

      »Ich spiele einen Arzt. Und eure Jobs im Drehteam?«

      Norma wehrte ab. »Oh, nein! Das ist ein Missverständnis. Mit dem Filmgeschäft haben wir beide nichts am Hut. Lutz Tann hat uns hierher mitgenommen. Er ist Verleger und wird ein Buch von Ecki Winterstein herausgeben.« Sie deutete mit einem Nicken hinüber zu Lutz, der in ein Gespräch mit Nelly Nebelsiek vertieft war.

      »Nachher gehen wir zur Filmvorführung in die Basilika«, ergänzte Timon. Norma ahnte, dass er vor allem deswegen mitgekommen war. Auf Small Talk mit Promis legte er eher weniger Wert. »›Der Name der Rose‹ am Originalschauplatz! Das wollte ich schon lange erleben.«

      Sören I. Wahler warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die klobig wirkte und für Normas Geschmack mit viel zu viel Gold ausgestattet war. »Etwas Zeit bleibt uns noch. Um 18 Uhr fängt es an. Ich bin ein großer Fan und kann den Film immer wieder sehen. Hätte ich nur als mittelalterlicher Mönch mitspielen können!«

      »Wohl eher als mittelalterliches Kind«, bemerkte Norma schmunzelnd. »Es ist fast 40 Jahre her, dass Umberto Ecos Roman hier in Eberbach verfilmt wurde.«

      Der Kinohit war bereits ein Klassiker gewesen, als sie ihn vor langer Zeit zum ersten Mal gesehen hatte. Trotzdem erinnerte sie sich genau an die mönchische Detektivgeschichte, die der Regisseur Jean-Jacques Annaud detailgetreu und beklemmend ins Bild gesetzt hatte. Der Roman selbst war ihr allerdings als weitaus vielschichtiger erschienen als der Film.

      »Mit dem genialen Sean Connery als franziskanischer Meisterdetektiv«, schwärmte der Schauspieler. »Was für ein Typ!«

      »Wofür steht das ›I‹ in Ihrem Namen?«, fragte Timon unvermittelt.

      »Wie bitte? Ach so. Immanuel«, antwortete er zerstreut, als wäre er mit seinen Gedanken woanders. »Ob Ecki sich beruhigt hat?«

      »Ich habe gehört, der Hauptdarsteller ist ausgefallen«, sagte Norma.

      »Präzise formuliert: runtergefallen. Vom Gaul!« Sören schien sich über sein Wortspiel zu amüsieren.

      »Ist der Mann schwer verletzt?«

      Er winkte beruhigend ab. »Halb so wild. Wolfgang Bastiani hat sich den Ellenbogen gebrochen.«

      »Der Name sagt mir nichts«, räumte Norma offen ein. Auch Timon konnte nichts mit ihm anfangen.

      »Ihr kennt ihn, sofern ihr Liebesromanzen mögt«, vermutete Sören. »So wird Bastiani von den Sendern am liebsten besetzt. Im Grunde ist er ein beachtlicher Bühnenschauspieler. Sonst hätte Ecki ihn nicht engagiert. Aber mit Gipsarm am Set? Undenkbar. Jeder Tag ohne Dreh kostet unseren Regisseur ein kleines Vermögen, denn er ist zugleich der Produzent. Die Stimmung ist am Boden, weil Eckis Laune im Keller ist. Kennt ihr Ecki?« Bei aller Freundlichkeit hatte sein Blick etwas Lauerndes. Norma wusste nicht recht, was sie von Sören I. Wahler halten sollte.

      Als sie und Timon verneinten, fügte er mit einem listigen Grinsen hinzu: »Stellt euch einen Mann vor, der wie im Wahn ausrastet. Habt ihr? Dann verdoppelt eure Vorstellung. Ecki ist ein Choleriker, wie er im Buche steht.«

      »Die Leute haben Angst vor seinen Tobsuchtsanfällen«, schloss Norma aus seinen Worten.

      »Oder vor Ecki persönlich«, meinte Sören knapp. »Sucht euch was aus.«

      Glaubte man seinem dominanten Lächeln, schien Sören I. Wahler weder Tod noch Teufel zu fürchten.

      2

      Als Ecki Winterstein endlich eintraf, wiesen die Platten des Buffets großräumige Lücken auf. Die Anspannung der Gäste hatte sich gelöst, was Norma den süffigen Eberbacher Sekten und Weinen zugutehielt. Unruhige Blicke wurden in der Sorge gewechselt, den Start des Films zu versäumen. Die Vorführungen des Meisterwerks zählten auch deswegen zu den besonderen Anlässen, weil sie nur an wenigen Terminen im September stattfanden. Sie gehörten zu den Highlights im Jahresprogramm des Klosters. Wo sonst könnten ein realer Ort und der cineastische Schauplatz so miteinander verschmelzen wie in der Eberbacher Basilika, die damals Drehort gewesen war und sich an diesem Abend in einen Kinosaal verwandelte?

      Ob sich Wintersteins Empfang und die derzeitige Filmvorführung zufällig oder gezielt ineinanderfügten, könnte nur der Regisseur erklären. Kein Zweifel bestand daran, dass ihn die Absage seines Hauptdarstellers am Nachmittag in einen furiosen Wutausbruch getrieben hatte, wie Norma aus den Gesprächen im Mönchsrefektorium he­raushörte. Aufgrund dieser Vorbereitung sorgte Wintersteins Erscheinen auch bei ihr für eine misstrauische Habachtstellung. Norma war auf einen explosiven Hitzkopf gefasst, einen wahren Wüterich. Stattdessen gab sich der Regisseur unerwartet gelassen, wenn nicht sogar heiter, als er den pompösen Barockschrank ansteuerte, der die Stirnseite des Saals beherrschte. Winterstein war von schmaler Gestalt und scheute sich offensichtlich nicht, mittels der durchgängig schwarzen Kleidung – Jeans, Hemd, Schuhe –, den tiefdunklen Haaren, die ihm gekringelt in den Nacken fielen, sowie einer schwarzen Hornbrille bis ins Detail das Klischee des intellektuellen Künstlers zu verkörpern. Mit charmanten Worten bat er um Aufmerksamkeit und dankte den Anwesenden für ihr geduldiges Ausharren.

      »Gibt sich sanft wie ein Lämmchen, aber Achtung. Der liebe Ecki ist und bleibt unberechenbar«, warnte Sören flüsternd.

      Nach einem Intermezzo mit den Kollegen war er zu Norma und Timon zurückgekehrt. Auch Lutz hatte sich von Nelly Nebelsiek losgeeist und war zu ihnen gestoßen.

      Um Aufmerksamkeit heischend, hob Winterstein die Arme wie ein Prediger. »Kinder, ich will mich kurzhalten, damit wir die Filmvorführung nicht verpassen. Ich muss euch nicht erklären, wie glücklich ich bin, an diesem außergewöhnlichen Ort drehen zu dürfen. Und ich wünschte, ich hätte das Kloster viel früher kennengelernt und nicht erst im Rahmen meiner Recherchen zur Psychiatrie. Nun zu dem Problem, das mich den gesamten Tag in Atem gehalten hat. Weil Wolfgang Bastiani die gesamte Produktion gefährdet und uns im Stich gelassen hat …«

      »Es war ein Unfall und bestimmt keine Absicht!«

      Auf Sörens empörten Einwurf folgte lediglich ein Stirnrunzeln des Regisseurs. In scheinbar unbeirrbarer Gelassenheit wiederholte er: »Weil Bastiani uns im Stich gelassen

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