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Außenministerium, das BKA, das hessische LKA, bis hinein ins Wiesbadener Kollegium. Nach ihrer Befreiung hatte Norma allen Halt verloren und sich unfähig gefühlt, ihre Arbeit zu tun. Wenn also jemand aus dem früheren Umkreis so freundlich Auskunft über sie gegeben hatte, musste er ihr wohlgesonnen sein.

      Winterstein hatte sich zurückgelehnt. Mit verschränkten Fingern erwartete er ihre Antwort.

      Bedächtig stellte sie das leere Tässchen zurück, bevor sie sagte: »Sie sprechen von Ängsten und Unsicherheit in Ihrem Team, was verständlich ist. Allerdings liegt die Mordermittlung in den Händen der Polizei.«

      »Keine Frage«, pflichtete er ihr bei. »Meine Bitte ist: Sie, Frau Tann, halten sich am Set auf und vermitteln dem Team Ruhe und Sicherheit.«

      »Also vermitteln, nicht ermitteln?«, entgegnete Norma schmunzelnd. Eindringlich fragte sie: »Fühlen Sie sich persönlich bedroht?«

      Er hob abwehrend die Hände. »Gott bewahre! Ich habe Neider und bin so manchem auf die Füße getreten. Aber warum sollte mir jemand nach dem Leben trachten?«

      »Sie wollen mich demnach als Sicherheitsbeauftragte engagieren, verstehe ich das richtig?«

      »Unterstützt von einer erfahrenen Polizistin wie Ihnen«, sagte er mit breitem Lächeln, »werden wir mit der erforderlichen Gelassenheit und Konzentration arbeiten können.«

      »Ex-Polizistin«, stellte sie klar.

      Nach kurzer Diskussion stimmte er ihren Honorarforderungen zu. »Meinetwegen, aber unter einer Bedingung: Sie wohnen hier auf dem Gelände. Ich habe vorsorglich ein Zimmer im Hotel Kloster Eberbach gebucht. Sie können heute Mittag einziehen.«

      Über den Befehlston ließ sich Norma vom ausgehandelten Verdienst hinwegtrösten. Sämtliche Übereinkünfte tippte Winterstein akribisch in seinen Laptop. Offenkundig verließ sich ihr Auftraggeber nicht auf mündliche Vereinbarungen.

      Nachdem sie den Vertrag in zwei Ausführungen unterzeichnet hatten, streckte Winterstein ihr die Hand hin. »Ab jetzt bin ich ›Ecki‹ für dich. Willkommen im Drehteam, Norma!«

      So vernuschelt, wie er das Wort aussprach, klang es in ihren Ohren wie »Dreamteam«.

      10

      Wiesbaden

      Donnerstag, der 16. September

      Nach dem Gespräch mit Ecki Winterstein fuhr Norma nach Hause, um eine Reisetasche zu packen. Während sie einige Kleidungsstücke zusammensuchte, dachte sie über den Auftrag nach. Hatte sie unüberlegt eingewilligt? Sicherheitsbeauftragte für eine Filmcrew, eine Bezeichnung, die alles und nichts bedeuten konnte. Reizvoll war daran vor allem die Aussicht, die kommenden Tage im Umkreis eines Tatorts zu verbringen. Tief in ihrer Brust schlug nun einmal das Herz einer passionierten Mordermittlerin. Zumal sie dem Opfer im wahrsten Sinn des Worts hautnah gekommen war. Ein Mann in den besten Jahren hatte auf grausame Weise sterben müssen. Was verrieten die Umstände, die es in den Tod befördert hatten, über das Opfer? Was sagte die Tötungsart über den Täter aus? Dass er kräftig sein musste zum Beispiel und kaltblütig genug, um einen Mann – nur durch eine Kirchenmauer von knapp 1.000 Menschen getrennt – zu strangulieren. War der Kahlköpfige ein Zufallsopfer? Oder hatte der Mörder ihm gezielt aufgelauert? In diesem Fall hatte er den Winzer womöglich aus der Basilika zur Klostergasse hinausgelockt.

      Sie stellte die gepackte Tasche aufs Bett, hockte sich daneben und nahm ihr Smartphone zur Hand. Das digitale Presseportal des Polizeipräsidiums Westhessen verkündete im »Mordfall Winzer« keine Neuigkeiten, was nichts bedeuten musste. Norma konnte ihre Ungeduld nicht länger beherrschen. Wolfert oder Milano, überlegte sie. Der schwergewichtige Kommissar gefiel sich in der Rolle des Wissenden und ließ sich interne Informationen mit Schmeicheleien entlocken. Im Gegenzug würde sie sich seine rauen Pöbeleien anhören müssen. Bei Wolfert hatte sie einen dicken Stein im Brett, was ihn jedes Mal aufs Neue in die Bredouille brachte, wenn er zwischen Freundschaft und der Verschwiegenheit des korrekten Beamten abwägen musste. Welche Seite gewinnen mochte, ließ sich nicht vorhersagen. Ein flinkes Tippen und Wolfert war am Telefon. Nach der erfreuten Begrüßung schlich sich eine hörbare Anspannung in die Stimme. Er stecke mitten in den Vorbereitungen für eine Vernehmung.

      »Ihr habt schon einen Verdächtigen?«

      »Allerdings, und die Meldung geht heute noch an die Öffentlichkeit. Die Leute warten ungeduldig auf erste Ergebnisse. Bis dahin behalte es für dich.«

      »Dirk, du weißt, ich kann schweigen wie ein Grab. Also?«

      »Was also?«, fragte er unwillig.

      »Wer A sagt, muss auch B sagen«, versuchte sie, ihm Informationen zu entlocken. »Bitte, spann mich nicht auf die Folter. Wen habt ihr im Visier?«

      Das unwillige Murren hätte von Milano stammen können. Auf eigenartige Weise schienen sich die Kommissare mehr und mehr anzugleichen.

      Widerstrebend gab Wolfert ein weiteres Detail preis. »Der Verdächtige ist ein Weinbauer, er wohnt in der Nähe des Klosters. Über Jahre lag er im Clinch mit seinem Nachbarn.«

      »Was du nicht sagst! Und dieser streitbare Nachbar war unser Toter? Axel Teubener?«

      »Korrekt. Teubener hat die Leute nebenan, ein Winzerpaar, aufs Übelste schikaniert. Er terrorisierte regelrecht deren Kundschaft, das ging an die berufliche Existenz. Zu allem Unglück kam die Frau unseres Verdächtigen ums Leben, unmittelbar nach einer Auseinandersetzung mit Teubener, was er diesem anlastet. Die Frau erwartete ein Kind! Wen wundert’s, wenn so jemand rotsieht?«

      »Hört sich furchtbar an. Was habt Ihr Handfestes gegen ihn?«

      »Norma!«

      »Ach, komm schon!«

      »Also gut, so viel darf ich dir verraten: Teubener wurde mit einem Stück Weinbergdraht zum Tode befördert.«

      »Hmm, so ein Draht ist vermutlich in jedem Weingut zu finden.«

      Sein Seufzer hörte sich enttäuscht an. »Unser Pech. Ein absolut übliches Produkt. Wir haben die Schlinge in der Klostergasse gefunden.«

      »DNA? Fingerabdrücke?«

      »Negativ«, brummte Wolfert. »Der Täter war vorsichtig.«

      »Was sagt euer Mann?«

      »Daniel Lenges verweigert jede Aussage.«

      »Danke für den Namen«, erwiderte sie verblüfft.

      Wolferts leises Lachen drang an ihr Ohr. »Den Namen hättest du mit einem Klick selbst herausgefunden. Du muss im Netz nur nach ›Winzerquerelen im Rheingau‹ suchen.«

      Genau das tat Norma, nachdem sie sich von Wolfert verabschiedet hatte. Sie wechselte vom Bett an den Küchentisch und ging, von frisch gebrühtem Espresso belebt, die lange Ergebnisliste zum Winzerstreit durch. Die seriösen Quellen begnügten sich damit, die Kontrahenten als »Axel T.« und »Daniel L.« zu bezeichnen. Andere Medien scheuten nicht davor zurück, die vollständigen Namen zu nennen. Die Weingüter Teubener und Lenges lagen zentral zwischen den Winzerstädtchen Hallgarten, Hattenheim und Kiedrich, wie Norma anhand der Onlinekarte sehen konnte: in nachbarschaftlicher Alleinlage inmitten von Rebhängen und nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt vom Kloster Eberbach. Als Auslöser des Streits, so stand es in den Onlineberichten einhellig zu lesen, galt die schicke Neugestaltung der Gutsschänke im Weingut Lenges. Mit der »extravaganten Edel-Vinothek mit Traumausblicken auf Rheintal und Rebstöcke«, wie ein Journalist euphorisch berichtete, habe die Straußwirtschaft des Nachbarhofs nicht mithalten können. Eine Einschätzung, die Norma nach einem Blick auf die Webseiten der Weingüter nur teilen konnte. Anstatt sich wie bei Lenges zwischen gediegenen Bruchsteinwänden, schimmerndem Holz und edlem Leder mit einem Schoppen niederzulassen, musste man sich nebenan im abgewirtschafteten Gastraum zwischen Gelsenkirchener Barock, schmiedeeisernen Deckenlampen und geblümten Gardinen zuprosten. Während sich das Winzerpaar Lenges vor Buchungen kaum habe retten können, sei die Bude nebenan leer geblieben, vermeldete ein Artikel im Netz. Der schöne Schein war nicht alles gewesen. Zwischen den Zeilen

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