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innen und außen gebrochen und konnte deshalb die Fernsehfahndung nur vom Klinikbett aus verfolgen. Wie in den Tagen zuvor auch schon die Fußballweltmeisterschaft, die in Spanien stattfand und bei der Italien die deutschen Kicker im Endspiel mit 3:1 besiegte.

      Sander, der kein allzu großer Fußballfan war, hatte sich trotzdem geärgert, die meisten Spiele nur in der Klinik anschauen zu können. Noch mehr wurmte es ihn aber, den bislang größten Kriminalfall seiner journalistischen Laufbahn nicht weiter beruflich verfolgen zu können. Doch der altgediente Grüninger konnte dies natürlich mindestens genauso gut.

      Sanders Kollegen kümmerten sich in den heißen Julitagen geradezu liebevoll um ihn, versorgten ihn mit den neuesten Nachrichten und brachten ihm sogar nach der XY-Sendung die Pressemitteilung mit, die die Landespolizeidirektion Stuttgart 1 per Fax verbreitet hatte (hier der Originaltext):

      Geiselnahme am 7. März d. J. in der Kreissparkasse Göppingen. Wie bereits ausführlich durch die Polizei berichtet, verschafften sich am Tag des Überfalls zwei mit Pistole und Maschinenpistole bewaffnete Männer – einer davon als Polizist verkleidet – kurz nach 20.15 Uhr Zutritt zu der am Stadtrand gelegenen Wohnung des Sparkassendirektors in Göppingen. Sie nahmen ihn und seine 18-jährige Tochter als Geiseln, forderten fünf Millionen DM und hielten die beiden alleine Anwesenden etwa acht Stunden in ihrer Wohnung fest. Am darauffolgenden Morgen, gegen 4 Uhr, entführten sie dann das Mädchen in ein Gartenhaus bei Schorndorf, wo es von einem dritten Täter bewacht wurde. Anschließend fuhren die beiden anderen Täter mit dem Direktor in dessen Dienst-Mercedes zur Hauptstelle der Kreissparkasse in Göppingen, wo sie das Eintreffen weiterer leitender Angestellten abwarteten und dadurch insgesamt 2,7 Millionen DM erpressen konnten. Danach flüchteten sie unter kurzfristiger Mitnahme eines Bankbediensteten als Geisel und konnten unerkannt entkommen. Währenddessen hatte sich die entführte Tochter, nachdem ihr Bewacher das Gartenhaus verlassen hatte, selbst befreien können. Obwohl die Polizei sofort nach Bekanntwerden eine Großfahndung auslöste, fehlt von den Tätern bislang jede Spur. Auch die von der LPD Stuttgart I eingerichtete Sonderkommission »Soko Fils«, die in minuziöser Kleinarbeit mehr als 570 Hinweise und Spuren untersuchte und auswertete, konnte bisher keinerlei konkrete Anhaltspunkte gewinnen. Die ersten brauchbaren Hinweise ergaben sich nun jedoch durch das Auffinden des im zweiten Parkdeck des Gmünd-Centers in Schwäbisch Gmünd abgestellten Tatfahrzeugs im Juni, das möglicherweise mit dem Fluchtfahrzeug identisch ist. Dabei handelt es sich um einen silbermetallic Audi 100 mit bereits Monate zuvor in Schorndorf entwendeten WN-Kennzeichen, die von den Tätern abgefälscht worden waren. Die dem Fahrzeug ursprünglich ordnungsgemäß zugeteilten Ludwigsburger Kennzeichen lagen dagegen im Kofferraum. Im Fahrzeug fand die Polizei einen grünen Polizeianorak, die leere Geldtasche der KSK Göppingen, zwei Handschließen mit passenden Schlüsseln und eine Sonnenbrille.

      Sander las den Text interessiert, stellte jedoch fest, dass die Pressemitteilung nur wenig enthielt, was nicht schon bekannt war. Er hatte in den sommerheißen Julitagen trotz des schmerzenden Fußgelenks genügend Zeit, über den Fall nachzudenken. Auch seine Kollegen aus der Redaktion, die ihn beinahe täglich besuchten, wussten von Spekulationen und Gerüchten zu erzählen. Allgemeine Einschätzung: Wie kann es sein, dass Täter so dreist vorgehen und spurlos von der Bildfläche verschwinden? Da musste doch mehr dahinterstecken. Vielleicht doch eine Organisation oder Terroristen? Oder eine ganze Kette von Mitwissern?

      29

      Die großen Sportanlagen am Stadtrand galten als beliebter Treffpunkt für Honoratioren und solche, die sich dafür hielten. So ziemlich jeder Verein hatte sich hier im Lauf der Jahrzehnte ein eigenes Klubheim gebaut. Längst gab es in den meisten dieser Gaststätten einen Stammtisch, an dem regelmäßig die große und die kleine Politik ausführlich diskutiert wurden. Meist war es eine reine Männerrunde, bestehend aus Kommunalpolitikern sowie Führungskräften aus Wirtschaft und Sportfunktionären, die sich zum geselligen Treffen hier einfand.

      Neuerdings hatte sich auch eine attraktive junge Dame namens Analena Heuberg dazugesellt, die zwar in Ulm wohnte, jedoch in Göppingen ein Schmuckgeschäft betrieb. An diesem schwülen Augustabend war sie nach längerer Zeit wieder zum Stammtisch in eines der Vereinsheime gekommen, was den heutigen Wortführer, den Fahrlehrer, Reisebürobesitzer und Kommunalpolitiker Hans Siebeneicher, sichtlich aus der Ruhe brachte. Allerdings war dies beim Anblick einer jungen Frau bei ihm keine Seltenheit, insbesondere wenn sie so luftig-sommerlich gekleidet war wie diese Juwelierin. Der Endvierziger mit schütterem weißem Haupthaar zeigte sich in Anwesenheit des weiblichen Geschlechts immer besonders charmant, während er bisweilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu herben cholerischen Anfällen neigte.

      Jetzt rückte er einen Stuhl heran, um links neben der Juwelierin sitzen zu können, die er mit ein paar Komplimenten für sich gewinnen wollte.

      Aber wie in den vergangenen Wochen so oft, drehte sich das Gespräch ziemlich schnell um das, was die Göppinger in diesem Sommer am meisten interessierte: der rätselhafte Überfall auf den Bankdirektor und dessen Tochter. Heiko Emmerich, bei der Industrie- und Handelskammer engagierter Mittelständler, der mit Kurzarmhemd und offenem Kragen trotz seines fortgeschrittenen Alters auf burschikoses Auftreten Wert legte, machte eine abwehrende Handbewegung: »Fangt mir doch nicht wieder mit dieser Geschichte an. Wenn ihr mich fragt, will die Staatsanwaltschaft nicht wirklich mit der Sprache heraus.«

      »Du meinst, da wird etwas zurückgehalten?« Niels Adamus, der bei der Handwerkskammer einen verantwortlichen Posten bekleidete und im blauen Poloshirt erschienen war, wurde hellhörig. »Du glaubst immer noch, die wissen mehr, als sie sagen wollen?«

      Hans Siebeneicher, den das neuerliche Geplänkel um den Überfall nervte, schnitt mit kräftiger Stimme den beiden das Wort ab: »Habt ihr denn kein anderes Thema mehr? Ich glaube kaum, dass dies unsere liebe Analena interessiert. In Ulm kräht doch kein Hahn nach diesen Gangstern.« Er zwinkerte ihr zu, während sie an ihrem Weißweinglas nippte.

      »Na ja«, meinte sie kühl, ohne Siebeneicher direkt anzusprechen. »Ich möchte das nicht erleben müssen, was man dem Sparkassenchef angetan hat.«

      »Haben Sie denn nie Angst, überfallen zu werden?«, fragte Adamus, um die Dame nun auch ins Gespräch mit einzubinden.

      »Angst nicht unbedingt«, erwiderte sie und drehte nervös ihr abgestelltes Glas. »Aber in der dunklen Jahreszeit, wenn’s ab 17 Uhr schon Nacht ist, hab ich manchmal ein ungutes Gefühl, wenn zwei merkwürdige Typen reinkommen und so tun, als interessierten sie sich für eine teure Uhr.«

      »Aber Sie haben doch eine Alarmanlage?«, warf Siebeneicher fragend ein.

      »Die Anlage schützt den Laden nach Geschäftsschluss. Aber ich hab natürlich einige Vorrichtungen, die tagsüber für Sicherheit sorgen«, erklärte Analena Heuberg selbstbewusst. Mehr wollte sie dazu nicht sagen. Man wusste ja nie, wer an den Nebentischen möglicherweise große Ohren kriegte.

      Siebeneicher wollte noch etwas anmerken, aber da kam im Dunst des Zigarettenqualms ein groß gewachsener Mann aus Richtung Eingang auf sie zu. »Oh, oh, der Herr Autoverkäufer kann’s auch schon einrichten«, stichelte Niels Adamus und rückte seine Designerbrille zurecht.

      »Hi, Leute«, begrüßte Dieter Blaubart die Runde mit breitem Lachen, worauf er einen freien Stuhl an den runden Tisch heranzog.

      Blaubart, ein braun gebrannter Kerl von knapp 50 Jahren mit einigen Falten auf der Stirn, war offenbar geradewegs aus dem Verkaufsraum seines Autohauses gekommen, das sich auf Ex- und Import spezialisiert hatte. Rein äußerlich erweckte er den Anschein, ein Mann von Welt zu sein: korrekter Freizeitlook, passend wohl zu den Fahrzeugmodellen, die auf sportliche Typen setzten. Woher er die hochpreisigen, meist gebrauchten Wagen bezog und wohin sie gingen, darüber wollte er nur ungern sprechen.

      »Hallo, schöne Frau«, schmeichelte er der einzigen Dame am Tisch und ließ sich neben ihr nieder. »Haben die Herren Sie gut unterhalten?«

      Adamus fühlte sich zu einer Antwort berufen: »Entschuldige, Dieter, aber ich denke, der Dame ist es bisher nicht langweilig geworden.«

      Analena reagierte nicht darauf. Ihr war das großspurige Getue von Dieter zuwider. Sie mochte keine Männer, die derart eingebildet waren wie

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