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      »Ja, bin ich«, sagte Reinicke mit Stolz in der Stimme und lehnte sich auf dem unbequemen Besucherstuhl des Polizeibüros zurück. Er war in blauer Arbeitskleidung gekommen, weil er die Mittagspause nutzen wollte, um dem Ansinnen des Kommissars möglichst schnell gerecht zu werden. »Sie haben am Telefon gesagt, ich soll zu der Sache in der Kreissparkasse etwas sagen. Aber mehr, als dass ich Ende Januar dort einen Rohrbruch beheben musste, weiß ich nicht.« Er zog einen Zettel aus der Tasche. »Ich hab mir sogar rausgesucht, wann das war. Es war am Dienstag, dem 26. Januar.«

      Biegert nickte. »Sie werden verstehen, dass wir alle, die in den letzten Wochen dort tätig waren, vernehmen müssen. Das hat nichts damit zu tun, dass wir Sie womöglich verdächtigen. Überhaupt nicht.«

      Reinicke war zwar mit gemischten Gefühlen hergekommen, aber allein schon, dass der Kriminalist nun gleich das Wort »verdächtigen« in den Mund nahm, ließ ihn aufhorchen. Er wollte etwas sagen, aber Biegert kam ihm zuvor: »Machen wir es kurz: Haben Sie in den Tagen danach mit jemandem über die Örtlichkeiten in der Bank, insbesondere in den Untergeschossen, gesprochen?«

      Reinicke war auf diese Frage gefasst, gab sich aber ratlos. »Gesprochen? Sie meinen …«

      »… ob sich jemand für die Örtlichkeiten interessiert hat«, unterbrach Biegert ergänzend.

      »Wer soll sich dafür interessiert haben?«

      »Na ja, vielleicht haben Sie im Freundes- oder Bekanntenkreis von Ihrer Arbeit in der Sparkasse erzählt, und jemand hat auffällige Fragen gestellt.«

      »Sie meinen, man hat mich aushorchen wollen?«

      »Könnte doch sein. Vielleicht haben Sie stolz erzählt, den Tresorraum gesehen zu haben. Da wäre es doch möglich, dass jemand genau wissen wollte, wie es da aussieht, wo die Türen und der Aufzug sind und so weiter.«

      Reinicke erbleichte. »Sie wollen damit aber nicht sagen, dass ich mit den Tätern unter einer Decke stecke?«

      »Überhaupt nicht. Sie müssen mir schon richtig zuhören, Herr Reinicke«, wurde Biegert leicht ungehalten. »Die Frage war, ob jemand – wer auch immer – von Ihnen Details zu den Örtlichkeiten erfahren wollte.«

      »Nein, ganz sicher nicht.«

      Die beiden Männer sahen sich für einen Moment schweigend an. Biegert überlegte, ob er es riskieren konnte, eine weitere Frage zu stellen, und entschied sich dann dafür: »Nur eines noch: Hatten Sie jemals einen Privatauftrag im Haus des Bankdirektors?«

      Reinicke schluckte. Er spürte einen Kloß im Hals. »Ich weiß nicht einmal, wo der wohnt«, presste er hervor.

      Biegert bohrte nach: »Aber die Adresse stand im Bericht über den Überfall in der Zeitung – und das Haus war auch einmal abgebildet.«

      »Tut mir leid«, gab sich Reinicke gefestigt. »Ich lese keine Zeitung.«

      24

      300 Hinweise, 14 davon anonym. Drei Wochen nach dem Überfall füllten die Ermittlungsakten unzählige Ordner. Ein konkreter Verdacht gegen Personen hatte sich jedoch nicht ergeben. Die beiden Journalisten Sander und Grüninger waren über die zurückhaltende Informationspolitik der Staatsanwaltschaft und der Polizei verärgert. Sogar Jürgen Holder, der Pressesprecher der örtlichen Direktion, musste auf Fragen der Lokalredakteure meist passen, obwohl er seit geraumer Zeit wenigstens an den Besprechungen der Soko teilnehmen durfte. Aber was er dabei zu hören bekam, waren keine tiefschürfenden Erkenntnisse.

      Und seine Kollegen in Stuttgart verbreiteten allenfalls Meldungen, deren Formulierungen Sander und Grüninger zur Genüge kannten. Immer dieselben Worthülsen: es werde in alle Richtungen ermittelt und es gebe keine heiße Spur. Grüninger, der mittlerweile argwöhnisch geworden war, wollte nicht so recht glauben, dass es bei einem Verbrechen, das rund 14 Stunden angedauert hatte, nicht den geringsten Hinweis auf etwas gab, das merkwürdig erschien. Darauf angesprochen, konterte Soko-Leiter Zeller: »Merkwürdiges gibt es genug, Herr Grüninger. Mehr als genug. Aber es ist wie oft im Leben: wenn Sie beim Recherchieren in die Tiefe gehen, werden Sie hinterher immer etwas finden, das Ihnen rückblickend mit der Erkenntnis des Geschehenen merkwürdig erscheint.«

      Zellers Stimme hatte am Telefon leicht verärgert geklungen. Natürlich ahnte er, was Grüningers tieferer Sinn des Anrufes war: Vermutlich hatte der Journalist erfahren, dass die Sonderkommission in ihrer jetzigen Zusammensetzung in Göppingen aufgelöst wurde. Alles, was es aktuell und in den Tagen nach dem Verbrechen zu ermitteln gab, war inzwischen weitgehend aufgearbeitet. Nun konnte in kleineren Teams sowohl in Göppingen als auch bei der Landespolizeidirektion Stuttgart 1 weiterrecherchiert werden. Nachdem Zeller dies von sich aus angesprochen hatte, resümierte Grüninger süffisant: »Sie packen also hier Ihre Akten zusammen.«

      Zeller ließ sich mit dieser bissigen Bemerkung nicht provozieren, sondern gab sich optimistisch: »Ich bin überzeugt, dass der Fall geklärt wird.« Und er fügte an: »Federführend bleibt das Dezernat Sonderfälle der Landespolizeidirektion Stuttgart 1, wo mich mein Stellvertreter, Hauptkommissar August Häberle – der wohnt ja irgendwo bei Ihnen im Raum Göppingen – unterstützen wird.«

      Grüninger wollte diesen Optimismus nicht teilen. Bestimmt würde man noch in 30, 40 Jahren von diesem dreisten Verbrechen reden. Und selbst wenn es eines Tages geklärt sein würde, blieben sicher noch sehr viele Fragen offen, dachte er. Denn mit Sicherheit gab es Hintermänner. Ob eine ganze Organisation, wie von den Geiselnehmern behauptet, oder nur eine einzelne Person, – das wollte Grüninger in seinen Gedanken mal dahingestellt lassen.

      25

      Die Zeit heilt Wunden und lässt vieles in Vergessenheit geraten. Insbesondere dann, wenn ständig Neues auf einen hereinstürzt. Daran musste Sander nach dem ausführlichen Bericht denken, den Grüninger über das Gespräch mit dem Soko-Leiter verfasst hatte. Die Zeit war schnelllebig geworden. Und Journalisten waren dazu da, stets neue Themen aufzuspüren, die das Aktuelle von gestern Makulatur werden ließen. Die Gerüchte zum Bankraub hielten sich hartnäckig, doch machte sich in der Bevölkerung bereits eine gewisse Resignation breit – nach dem Motto: Das wird nie geklärt.

      Mehr als ein Vierteljahr nach der Geiselnahme gab es Ende Juni 1982 eine Meldung, die in der Redaktion wie eine Bombe einschlug: Das Fluchtfahrzeug der Räuber war entdeckt worden: in einem Parkhaus der rund 20 Kilometer entfernten Stadt Schwäbisch Gmünd im Remstal. Sander hatte den Tipp überraschenderweise von Jürgen Holder, dem örtlichen Pressesprecher der Polizei, erhalten, der sich damit offenbar für die restriktive Informationspolitik in den Tagen nach dem Verbrechen revanchieren wollte. Dass es sich bei dem aufgefundenen Auto um das Fluchtfahrzeug handeln musste, daran bestand kein Zweifel. Denn im Fahrzeug, einem silberfarbenen Audi 100, lagen Utensilien, die eindeutig den Tätern zuzuordnen waren: neben der Geldtasche der Göppinger Kreissparkasse auch jener grüne Anorak, mit dem einer der Gangster den Anschein erweckt hatte, ein Polizist zu sein. Außerdem datierte der Einfahrtschein ins Parkhaus vom Montag, 9. März 1982, Uhrzeit: 9.30 Uhr.

      »Volltreffer«, hatte Hartmut Zeller im fernen Stuttgart gejubelt und die Nachricht sofort seinem Dezernats-Stellvertreter Häberle mitgeteilt, einem 33-jährigen Kriminalisten, dem man hausintern nachsagte, dies mit Leib und Seele zu sein. »Die erste konkrete Spur«, meinte Zeller.

      Doch der etwa gleichaltrige Häberle, der als scharfer Denker galt und in sich zu ruhen schien, dämpfte die Euphorie seines Kollegen: »Wenn sich in dem Fahrzeug keine weiteren Spuren finden, sind wir so weit wie vorher.«

      »Aber wir wissen nun, dass die Täter gleich nach Schwäbisch Gmünd gefahren sind«, blieb Zeller hartnäckig. »Genauso, wie es Walser von Anfang an vermutet hatte.«

      »Okay – und dann? Hast du schon gecheckt, auf wen das Auto zugelassen ist?«

      »Ja, klar doch. Der Audi wurde wenige Tage vor der Tat in Kornwestheim geklaut. Auf das jetzt angebrachte Ludwigsburger Kennzeichen ist ein Motorrad angemeldet. Die richtigen Schilder lagen im Kofferraum.« Rätselhaft blieb, wie das Auto hatte gestohlen werden können. »Das sieht nach Profis aus«, meinte Zeller.

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