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Kollegen bei einer örtlichen Pressekonferenz erlebt. Mikrofone waren aufgebaut, eine Fernsehkamera auch. Vertreter des Süddeutschen Rundfunks hatte man in der Provinz bisher nur bei ganz außergewöhnlichen Ereignissen gesehen. Direktionsleiter Walser fasste nach kurzer Begrüßung als Hausherr die dramatischen Ereignisse der letzten Stunden zusammen und erklärte, dass sofort eine Sonderkommission gebildet worden sei, die aus 30 Beamten, insbesondere von der Landespolizeidirektion Stuttgart 1, bestehe. Von dort aus werde auch die Pressearbeit gesteuert. Walsers Blick traf den örtlichen Pressesprecher Jürgen Holder, der sich von den Ereignissen überrollt und schlecht informiert fühlte. Denn die Stuttgarter hatten nicht nur die Ermittlungen, sondern auch die Öffentlichkeitsarbeit an sich gezogen.

      Ausführlich schilderte dann Soko-Leiter Hartmut Zeller einige Details, um die schier unglaubliche Gelassenheit der Täter und deren Ortskenntnisse hervorzuheben. Und letztlich lobte der Oberstaatsanwalt aus Ulm die bisherige Vorgehensweise der Polizei, deren oberstes Gebot es gewesen sei, das Leben der jungen Frau nicht zu gefährden.

      Die erste Frage der Journalisten bezog sich auf die Anzahl der Täter: »Es waren also drei«, stellte ein junger Mann fest. »Aber wenn ich Sie richtig verstehe, könnte es einen vierten gegeben haben, der vom nahen Bahnhof aus das Sparkassengebäude observiert hat. Gibt es dazu und zu den angeblichen Bomben und Granaten, mit denen die Täter gedroht haben, konkrete Hinweise?«

      Kopfschütteln am Tisch der Behördenvertreter. Zeller sah sich zu einer Antwort genötigt: »Nein, gibt es derzeit nicht. Aber ausschließen können wir es auch nicht.«

      Sander hatte die Chronologie der Schilderungen aufmerksam verfolgt und einige logische Ungereimtheiten erkannt: »Weiß man denn, wie die Täter gestern Abend zum Haus Seifritz gekommen sind?«

      »Vermutlich mit demselben Fahrzeug, mit dem einer das Mädchen heute früh nach Schorndorf verschleppt hat«, antwortete Zeller sofort.

      »Und wo ist dieses Auto geblieben?«, bohrte Sander weiter.

      »Wir wissen es nicht. Vermutlich haben es die Täter als Fluchtfahrzeug benutzt, nachdem sie den Mercedes von Herrn Seifritz bei der Feuerwache abgestellt haben.«

      »Aber wie ist dieses Auto, mit dem der eine Täter ja von Schorndorf zurückgekehrt ist, in die Nähe der Feuerwache gekommen, ziemlich weit von der Wohnung Seifritz entfernt?«, wollte Sander wissen.

      »Auch das ist vorläufig unklar«, räumte der Soko-Leiter ein. »Sie sollten aber nicht vergessen, dass es den dritten Täter aus der Gartenhütte gibt. Der muss ja auch ein Fahrzeug gehabt haben.«

      Eine Journalistin des Süddeutschen Rundfunks meldete sich als Nächste und wandte sich an Zeller: »Ihren Schilderungen ist zu entnehmen, dass sich die Täter in bankinternen Vorgängen und vielleicht sogar im Gebäude der Kreissparkasse ausgekannt haben. Besteht der Verdacht, dass jemand aus dem Haus in die Sache involviert ist?«

      Jetzt sah sich der Leiter der Polizeidirektion gefordert, dem stets viel daran gelegen war, örtliche Institutionen aus der Schusslinie zu nehmen: »Dazu gibt es momentan keine Anhaltspunkte. Aber Sie dürfen mir glauben, dass wir in alle Richtungen ermitteln.«

      Ein Grauhaariger, der hinter Sander saß, mischte sich mit sonorer Stimme ein: »Und jemand aus der Familie? Sie haben vorhin gesagt, dass die junge Frau noch eine Schwester hat, die kurz vor dem Auftauchen der Täter mit ihrem Freund Richtung Tübingen weggefahren sei. Außerdem soll es noch einen Bruder geben …«

      »Ich bitte Sie«, unterbrach ihn der Direktionsleiter, »Sie sollten am heutigen Tag, an dem die Familie – insbesondere das Mädchen und sein Vater – so viel durchgemacht haben, mit derlei Spekulationen vorsichtig sein.«

      Ein Journalist der Stuttgarter Zeitung hob den Finger und legte sofort los: »Es muss doch in der Bank ein Menge Leute gegeben haben, die heute Morgen etwas mitgekriegt haben.« Er wandte sich ebenfalls an den Soko-Leiter: »Sie haben uns vorhin berichtet, dass man für die zwei Millionen von der Landeszentralbank einen Scheck mit zwei Unterschriften gebraucht hat, dass ein Angestellter kurzzeitig als Geisel mitgenommen worden ist, und dass es Geldboten gab, die man zur Landeszentralbank geschickt hat. Das hört sich ja nicht gerade nach einem blitzartigen Überfall an. Entschuldigen Sie, wenn ich das so sage, aber das klingt alles ziemlich irreal.«

      »Ist es auch«, unterbrach Zeller den Wortfluss des Journalisten. »Deshalb gehen wir auch davon aus, dass wir es mit keinen Gelegenheitsverbrechern zu tun haben. Vergessen Sie aber bei Ihren Überlegungen nicht, dass der Bankdirektor um das Leben seiner Tochter besorgt war. Was hätte er anderes tun sollen, als den Forderungen nachzukommen?«

      Auf Sanders weitere Frage, wie denn die Geldübergabe abgelaufen sei, ergriff der Staatsanwalt das Wort: »Das sind bankinterne Vorgänge, die wir hier nicht besprechen sollten. Jedenfalls war es so, wie von Herrn Zeller bereits dargelegt: Im Tresor war bei Weitem nicht so viel Geld wie gefordert, weshalb man auf die Landeszentralbank hat zurückgreifen müssen.« Der Staatsanwalt lenkte die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema. Man werde noch im Laufe des Spätnachmittags mithilfe der Opfer von den Tätern Phantombilder anfertigen lassen, die dann sofort den Redaktionen gefaxt würden. Außerdem sei für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führten, eine Belohnung in Höhe von 150.000 D-Mark ausgesetzt.

      Sander hatte noch eine Frage: »Waren die Nummern der Geldscheine eigentlich registriert? Dann wäre es für die Täter ja wohl schwierig, das Geld irgendwo auszugeben oder anzulegen.«

      Wieder antwortete der Staatsanwalt, ohne zu zögern: »Sie werden verstehen, dass wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt dazu nichts sagen.«

      Sanders Eindruck, dass allerhand verschwiegen werden sollte, verfestigte sich.

      19

      Noch nie hatte es vermutlich im Lokalteil der örtlichen Zeitung eine so fette Überschrift über mehrere Spalten hinweg gegeben. An diesem Dienstag lautete sie: Bankdirektor und Tochter als Geiseln. Damit war kurz und knapp die ganze Dramatik umrissen. Den Artikel umgaben Fotos: ein Porträt des Bankiers sowie jeweils ein Bild von dessen Privathaus und dem weißen Mercedes, den die Täter gegenüber der Feuerwache abgestellt hatten. Dazu Phantomzeichnungen mit den Köpfen der beiden Haupttäter: Sonnenbrillen, Bärte, volles Haar, einer mit Polizeimütze. Sander hatte seinem Text die Angaben der Polizei hinzugefügt, wonach ein Täter Hochdeutsch mit nordbadischem Akzent gesprochen hatte. Gesucht würden ferner Zeugen, die in der Nacht zum Montag in der Göppinger Dornierstraße einen hellen Mittelklassewagen, möglicherweise einen weißen Audi 100, mit Waiblinger Kennzeichen gesehen hätten. Der genannte Bereich, das wusste Sander, grenzte direkt an den Tatort an.

      Sander war an diesem Dienstagvormittag viel früher als üblich in die Redaktion geeilt. Es würde noch viel zu tun geben. Mittlerweile meldeten sich unzählige auswärtige Medien, die jetzt auch auf den ungewöhnlichen Kriminalfall aufmerksam geworden waren und Informationen und Fotos erbaten.

      Der stellvertretende Redaktionsleiter Manfred Grüninger, der als Frühaufsteher galt, war oft schon um 6 Uhr in der Redaktion, was bei den üblicherweise notorischen Spätauf­stehern, zu denen Journalisten im Allgemeinen gezählt werden, meist unverständliches Kopfschütteln auslöste. Aber Grüninger wollte schon frühmorgens von der nahen Wetterwarte Stötten wissen, wie tief in der Nacht die Temperatur gefallen war, und mit welchen klimatischen Gegebenheiten man die nächsten Tage rechnen müsse.

      Im Übrigen wurde Grüninger nachgesagt, nicht nur das Gras wachsen zu hören, sondern noch so manches mehr. Mit ihm hatte Sander schon immer einen guten Lehrmeister zum Thema Recherchieren gehabt. Beide verband sie die Lust, sich nicht abwimmeln zu lassen und niemals aufzugeben. Man kriege alles raus, wenn man nur wolle, lautete ihr Motto. Allerdings brauchte es dazu viele Kontakte und noch mehr Geduld – also Zeit. Kein Telefonat war dann zu aufwendig. Wenn es sein musste bis ins tiefste Afrika. Sander empfand es als wohltuend, dass bisher niemand von der Geschäftsleitung die hohen Telefonkosten moniert hatte. Und Redaktionsleiter Doktor Wolfgang Schmauz, ein charmanter Journalist der alten Schule und die Seriosität in Person, wusste die akribische Recherche zu schätzen. Er selbst hielt sich meist im Hintergrund und trug wohl zum Zeichen seiner leitenden Funktion in der Redaktion stets einen weißen Arbeitskittel. Weshalb

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