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Vicky, aber es könnte auch sein, dass er das Rad absichtlich dort hatte stehen lassen. Schaut doch einmal nach, ob die Fahrräder vollzählig sind.«

      Die Räder waren alle vorhanden. Keines fehlte. Noch einmal durchsuchten sie das Haus, den Park und fragten auch Justus nach Wanja. Niemand dachte an das sonst so besonders beliebte Sonntagsfrühstück.

      Frau Rennert sprach mit Schwester Regine. Es blieb nichts anderes übrig, als Frau von Schoenecker mit der unangenehmen Nachricht zu wecken.

      Es stellte sich heraus, dass Denise bereits um sechs Uhr ausgeritten war und eben wieder ins Gutshaus von Schoeneich zurückgekehrt war, als das Telefon schellte. Sie kam sofort nach Sophienlust, gemeinsam mit ihrem Mann.

      »Wir wollen zunächst einmal bei Andrea anrufen. Vielleicht ist Wanja zu Helmut Koster gegangen«, schlug Alexander von Schoeneich vor. »Er hängt doch besonders an ihm. »Hoffentlich finden wir ihn dort.«

      Doch Andrea, die ausgerechnet an diesem Morgen lange geschlafen hatte, konnte nicht weiterhelfen. Sie schickte Marianne zu Helmut Koster.

      Der Tierpfleger dachte sofort an sein Gespräch mit Wanja. Freimütig erzählte er davon. »Aber ich hätte nicht gedacht, dass er wirklich fortlaufen würde«, schloss er betrübt. »Immerhin fürchte ich, dass er unterwegs ist, um zu seinem Großvater zu gehen. Das ist doch viel zu weit für ihn! Auch wird er den Weg nicht finden.«

      Eine große Suchaktion begann. Helmut Koster fuhr in Andreas Wagen noch einmal zu Gregor Ramoni. Unterwegs schaute er sich fast die Augen aus dem Kopf, aber der Junge war wie vom Erdboden verschluckt.

      Alexander von Schoenecker verständigte die Polizei. Es war nicht zum ersten Mal, dass ein Sophienluster Kind gesucht wurde. Doch gerade bei dem Zirkusjungen machten sich alle Beteiligten besondere Sorgen.

      Magda bestand darauf, dass endlich gegessen wurde. »Sonst werden noch alle krank«, sagte sie vorwurfsvoll. »Und das wollen wir doch nicht.«

      Gehorsam setzte sich Denise mit den Kindern an den Tisch und tat so, als esse sie. Auf diese Weise kehrte in gewisser Form wieder die Ordnung in Sophienlust ein. Und das war gut so. Als man nichts mehr tun konnte und auch mehrere Sternfahrten der Erwachsenen in die nähere Umgebung ohne Ergebnis geblieben waren, zog sich Denise mit ihrem Mann ins Biedermeierzimmer zurück, während Nick, Irmela und Pünktchen sich mit den anderen Kindern beschäftigten, um sich zu beruhigen.

      »Vielleicht war es ein Fehler, dass wir den Jungen zu uns geholt haben«, sagte Denise leise. »Ich mache mir jetzt Vorwürfe deswegen. Wir wissen genau, dass er zwar ganz gern in Sophienlust war, dass er aber Sehnsucht nach der völlig anderen Welt hatte, aus der er nun einmal kommt.«

      »Trotzdem hätte er nicht weglaufen dürfen«, grollte Alexander. »Ich weiß, dass es mit den Zirkusleuten allerlei Besonderes auf sich hat. Aber er hätte zu dir oder zu mir kommen müssen, um über die Sache zu reden. So etwas lässt sich doch regeln. Er wusste ganz genau, dass ihn niemand zwingen würde, in Sophienlust zu bleiben.«

      Denise nahm die Hand ihres Mannes. »Er ist erst sieben Jahre alt, Alexander. In diesem Alter machen Kinder manchmal schreckliche Dummheiten. Wir dürfen ihm jetzt nicht böse sein, sondern müssen Gott bitten, dass ihm nichts passiert.«

      »Du hast recht. In meiner Sorge um Wanja bin ich vielleicht ungerecht gewesen. Er kann es ja nicht beurteilen.«

      »Ich habe Angst um ihn, Alexander«, gestand Denise aufschluchzend. »Gerade weil er so aufgeweckt ist, wird er sich zu verstecken wissen. Auch findet er sicherlich einen Weg, um weiterzukommen. Zirkuskinder führen Kunststücke vor und sammeln Geld ein, wenn’s darauf ankommt.«

      »Mal sehen, was Helmut Koster bei den Ramonis erfährt. Vielleicht ist der Junge inzwischen schon heil dort gelandet.«

      »Zu Fuß?«, gab Denise zu bedenken.

      »Er könnte ein Auto angehalten haben. So ein Bub weiß sich schon zu helfen. Mit dem Wagen ist es bloß eine gute Stunde, denke ich.«

      »Herr Ramoni hätte uns sicher angerufen. Auch Helmut Koster würde sich sofort telefonisch melden. Er weiß doch, dass wir uns ängstigen.«

      »Warten wir noch ein Weilchen, Denise.«

      Es klopfte, und Irmela kam mit starkem Kaffee, den die fürsorgliche Magda schickte. Das hübsche blonde Mädchen sah traurig aus.

      »Das hätte Wanja nicht tun dürfen«, sagte Irmela besorgt. »Es regnet jetzt. Wenn er noch unterwegs ist, wird er nass werden und sich erkälten. Er kriegt sowieso leicht einen Husten.«

      Irmela war in Sophienlust, weil sie das Abitur in Deutschland machen wollte, um später Medizin zu studieren. Ihre Eltern lebten in Indien.

      Mit dem Husten, den Wanja so leicht bekam, hatte sie durchaus recht.

      »Geh wieder zu den anderen, Irmela«, sagte Denise leise. »Macht euch nicht gar zu viele Sorgen. Auch ein Husten geht schließlich wieder vorbei.«

      »Wenn Wanja nur erst wieder bei uns wäre«, erwiderte Irmela ernst. Damit sprach sie das aus, was jeder in Sophienlust dachte.

      *

      Helmut Koster hatte die schwierigste Mission übernommen. Zwar war er sofort bereit gewesen, ein zweites Mal zum Zirkus Ramoni zu fahren, doch tat er es diesmal mit schwerem Herzen. Hin und wieder hielt er an, stieg aus und hielt Umschau. Manchmal rief er sogar in den Wald hinein nach Wanja, obwohl er sich sagen musste, dass er kaum hoffen konnte, den Jungen gerade zu dieser Zeit und an diesem Platz aufzuspüren.

      Endlich erreichte der Tierpfleger den Marktplatz. Es war eine beklemmende Vorstellung für ihn, dass er nun die Pflicht hatte, dem Zirkusdirektor und Natascha von Wanjas Verschwinden Mitteilung zu machen.

      Auch diesmal war es Natascha, die ihn als Erste bemerkte. Sie tauchte in ihrer schlanken Schönheit unvermutet zwischen den Wohnwagen der Zirkusleute auf.

      »Bist du noch einmal gekommen?«, fragte sie. Ihre Augen leuchteten dabei auf, weil sie die Freude über das unverhoffte Wiedersehen nicht verbergen konnte. »Hast du Wanja mitgebracht? Heute ist doch Sonntag. Da hat er keine Schule.«

      Helmut musste einmal kräftig schlucken, ehe er etwas sagen konnte. Er ergriff Nataschas kleine feste Hand. Zu fragen, ob Wanja hier eingetroffen sei, brauchte er nun nicht mehr. Denn das hätte Natascha ihm gewiss sofort mitgeteilt.

      »Guten Tag, Natascha«, äußerte er stockend und unbeholfen. »Ja, ich bin wieder da. Aber es hat einen besonderen Grund. Ich muss auch gleich mit deinem Vater darüber sprechen. Du darfst nicht erschrecken.«

      Sie erschrak natürlich doch und wurde sehr blass. »Was ist passiert?«, flüsterte sie mit weiten ängstlichen Augen. »Etwas mit Wanja?« Denn es konnte ja kaum einen anderen Anlass für den erneuten Besuch Helmut Kosters geben.

      Helmut neigte den Kopf. »Wanja … ist nicht zufällig hier bei euch?«

      »Bist du verrückt? Warum sollte er denn ausgerechnet hier bei uns sein? Er ist in Sophienlust – oder etwa nicht?«

      »Nein, er ist nicht mehr da, Natascha. Er muss im Lauf der vergangenen Nacht weggelaufen sein.«

      »Das …, das ist nicht möglich. Gibt es denn in Sophienlust niemanden, der auf Kinder achtet während der Nacht? Nein, Helmut, er ist nicht da. Aber er hat manchmal Flausen im Kopf. Bestimmt hat er sich bloß versteckt, um euch allen einen Streich zu spielen.« Nataschas Stimme war nicht ganz fest. Es war kaum zu überhören, dass sie selbst nicht an ihre Worte glaubte. Aber es war doch immerhin ein Rettungsanker, dass sich der Junge versteckt haben könnte.

      Der arme Tierpfleger hob die Hand und ließ sie hilflos wieder sinken. »Sie haben alles abgesucht. Ein Mädchen hat gestern Abend sein Fahrrad an der Hausmauer gefunden und weggestellt. Sie nehmen an, dass er ursprünglich mit dem Fahrrad zu euch hatte fahren wollen. Nun scheint er aber zu Fuß unterwegs zu sein.«

      Natascha begann zu weinen. »So ein kleiner Bursche«, schluchzte sie auf. »Bestimmt ist er schlecht behandelt worden. Wir hätten ihn nie ins Kinderheim geben dürfen.«

      »Nein,

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