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Natascha trocken fest. »Das habe ich neulich schon bemerkt. Man kommt eben nicht los vom Zirkus. Daran ist nichts zu ändern.«

      »Reden wir nicht mehr von mir, sondern von Wanja.«

      »Der hat auch Heimweh. Das ist ganz klar. Aber Frau von Schoenecker hat uns geschrieben, dass er erstaunlich gut in der Schule lernt und die übrigen Klassenkameraden schon fast eingeholt hat. Man sollte nicht glauben, dass er hier im Geschäftsbetrieb schon so viel aufgeschnappt hatte. So ein Zirkusleben ist auch bildend, ob du es nun zugeben magst oder nicht.«

      »Mir brauchst du das nicht zu sagen. Wanja konnte schon mit Geld rechnen und verstand sich sogar schon ein bisschen aufs Multiplizieren. Er beherrschte auch einen Teil der Buchstaben des Alphabets. Musikalisch ist er außerdem, wie der Lehrer festgestellt hat. Und da er geschickte Finger hat, schreibt er auch sauber und ordentlich. Ich habe ein paar Mal mit ihm geübt. Es scheint wie von selber zu gehen.«

      »Ja, er ist ein begabtes Kerlchen, unser Wanja. Wenn erst einmal ein Anfang gemacht ist, könnten wir ihn dann vielleicht zeitweise selber unterrichten und zu den Klassenprüfungen schicken.«

      »Erst einmal ist er in Sophienlust und geht in Wildmoos mit gutem Erfolg zur Schule«, mahnte Helmut Koster. »Für alle Ewigkeit wird er dort wohl ohnehin nicht bleiben. Ich lasse mich immer wieder von ihm dazu verleiten, selber vom Zirkus zu träumen. Wir sind halt ein unverbesserliches Völkchen, wir Zirkusleute.«

      Natascha nickte und füllte Helmuts Teller nach. »Ich könnte mir ein Leben ohne Wohnwagen, Zelt, Musik, Kunst und Publikum gar nicht vorstellen. Es war immer so. Trotzdem wird es vielleicht einmal nicht mehr so sein.«

      »Schlechte Zeiten kommen und gehen wie die guten, Natascha. Du hättest es unter Umständen sogar in der Hand, manches für euch zu verbessern.«

      Sie warf den Kopf zurück. »Mein Vater versteht mich«, behauptete sie. »Und du hast nicht das Recht, dich in unsere Familienangelegenheiten einzumischen.«

      »Entschuldige, bitte«, versetzte Helmut erschrocken. »Ich wollte dich nicht verletzen.«

      Unerwartet lächelte sie, und in ihre schönen dunklen Augen trat ein warmer Glanz.

      »Ich weiß ja, dass du es gut meinst, Helmut«, lenkte sie ein. »Aber es ist halt ein Punkt, an dem ich empfindlich bin.«

      »Es tut mir leid«, wiederholte der Besucher leise. »Aber vielleicht werde ich noch öfter davon sprechen. Wenn man gut Freund ist, muss man auch dann den Mut zur Ehrlichkeit haben, wenn es dem anderen einmal nicht gefällt.«

      Natascha stand auf. »Vielleicht später einmal«, sagte sie sehr leise. »Jetzt mache ich Kaffee für uns.«

      Natascha setzte Wasser auf und die Kaffeemühle in Betrieb. Wenig später duftete der kleine Wohnwagen herrlich nach dem frischen Kaffee, den die dem Gast vorsetzte, nachdem sie die Teller vom Tisch geräumt hatte. Es war der rechte Augenblick für die Rückkehr Vater Ramonis, der in aufgeräumter Stimmung und ahnungslos eintrat.

      »Die Überraschung ist Ihnen gelungen, Helmut«, begrüßte er den unerwarteten Besucher. »Heute scheint ein Glückstag zu sein. Der Bürgermeister steuert aus seiner Vergnügungskasse etwas bei, damit wir die Vereinsfahnen bei unserem Einmarsch der Tiere und Artisten mitführen. Selbstverständlich legen wir auch noch eine Nummer mit Fahnenschwenken und gestellten Bildern aus der Zeit des großen Kirchenbrandes hier ein. Es werden alle von uns mitwirken müssen, und die Schulkinder reißen sich darum, die Volksmenge zu mimen. Was man in einem Zirkus nicht alles auf die Beine stellt, wenn man sonst nicht viel zu bieten hat. Jedenfalls werden wir keinen einzigen Platz im Zelt freihaben. Das gibt ausnahmsweise einmal eine gute Kasse.«

      »Ich gratuliere«, rief Helmut ehrlich begeistert aus.

      Natascha holte eine zweite Tasse, und ihr Vater lobte ihren Kaffee. »Beinahe so gut, als hätte ich ihn selber gemacht«, meinte er.

      Nun musste Helmut von Wanja erzählen. Er tat es mit Liebe und Ausführlichkeit, und er schaute dabei immer wieder die schöne Natascha an, die still auf einem Stuhl saß und seine Blicke mit ihren ausdrucksvollen dunklen Augen erwiderte.

      »Sie sollten Wanja nicht gar zu viel vom Zirkusleben erzählen«, sagte Gregor Ramoni nachdenklich. »Zuerst haben Sie mir den Rat erteilt, den Buben in ein Kinderheim zu schicken, und nun setzen Sie ihm dauernd Flausen in den Kopf, wie mir scheint.«

      »Doch keine Flausen, Signor Ramoni«, verteidigte sich Helmut. »Wir lieben nun einmal beide das Zirkusleben. Ich dachte, dass Wanja auf diese Weise kein Heimweh bekäme.«

      »Hoffen wir es«, versetzte der Zirkusdirektor mit einem kleinen Seufzer. »Ich gebe zu, dass mir der Junge an allen Ecken und Enden fehlt. Es war so beglückend, dass er immer da war, immer auf mich wartete und ständig etwas von mir wollte. Jetzt habe ich zwar viel mehr freie Zeit, aber mein Leben kommt mir leer vor. Jedenfalls werde ich heilfroh sein, wenn der Junge wieder bei uns ist«, fügte er leise hinzu. »Schließlich habe ich doch seinem Vater versprochen, ihn nicht zu verlassen.«

      »Na ja – Schule muss aber sein. In Sophienlust ist Wanja wirklich gut aufgehoben.« Helmut fühlte sich verpflichtet, das zu sagen.

      Gregor Ramoni blinzelte seinem ehemaligen Tierpfleger verschmitzt zu. »Soll ich Ihnen einmal etwas sagen, Helmut?«

      »Ja – was denn, Herr Direktor?« Der Tierpfleger war ganz Ohr.

      »Sie reden mal so – mal so. Sie haben zwei Seelen in der Brust, und am liebsten wären Sie selber wieder beim Zirkus.«

      »Das stimmt schon, aber Wanja muss etwas lernen«, gab Helmut etwas verlegen zu. »Ich hab das doch selber vorgeschlagen.«

      »Na ja, das war dann eben die zweite Seele. Aber die erste gehört zu uns. Es tut Ihnen manchmal leid, dass Sie den Jungen aus dem Zirkus nach Sophienlust gelotst haben.«

      »Ach, so genau darf man das nicht nehmen, Herr Ramoni«, verteidigte sich Helmut, der sich ein bisschen in die Enge getrieben fühlte. »Ich hab’s wirklich gut gemeint.«

      Ramoni lachte. »Ich kenne meine Leute, Helmut. Macht nichts! Solange Wanja bleiben will, soll er bleiben. Aber wenn er es einmal nicht mehr aushalten sollte, werden wir ihn nicht zwingen zu bleiben. Dann müssen wir eben in den sauren Apfel beißen und einen Lehrer engagieren.«

      Natascha mischte sich ein. »Du musst aber zugeben, dass Sophienlust schön ist, Vater.«

      »Es ist ein einmaliges Kinderheim, dies Haus der glücklichen Kinder. Nur kommt bei unserem Wanja hinzu, dass er ja sein fahrendes Zuhause noch hat. Die anderen Kinder dort besitzen keine Heimat mehr. Auch nach einem so schäbigen Zirkus und nach diesem alten Wohnwagen kann man Heimweh haben, Natascha.«

      Das junge Mädchen nickte. »Damit hast du recht, Vater. Ich würde wahrscheinlich auch immer wieder zurückkommen. Wir hatten es besser als Kinder, denn während unserer Schuljahre reiste eine Lehrerin mit uns, deren Mutter aus dem Zirkus stammte.«

      »Wem erzählst du das?«, sagte Helmut lachend. »Fräulein Bella hieß sie. Sie konnte Rad schlagen, einen erstklassigen Salto aus dem Stand springen und trat sogar manchmal mit einer Nummer auf, weil es ihr schrecklichen Spaß machte. Was mag aus ihr geworden sein?«

      »Sie unterrichtet Kinder an einem großen Zirkus, der sich so etwas leisten kann«, antwortete Ramoni betrübt. »Ich habe an sie geschrieben wegen Wanja. Aber es ging natürlich nicht, dass sie zu uns kam. Was hätten wir ihr denn schon zu bieten gehabt? Aber vielleicht ändert sich das einmal. Es ist sicherlich gut, dass wir hier ihre Adresse haben.«

      Helmut Koster erinnerte sich an viele kleine Begebenheiten aus der Zeit, da er beim Zirkus Ramoni gewesen war. So stockte das Gespräch keinen Augenblick. Auch Natascha beteiligte sich lebhaft daran. Als der Kaffee ausgetrunken war, holte Vater Ramoni etwas Rotwein aus dem Schrank an der Wagenwand.

      »Nur für jeden ein kleines Glas zur Feier des Tages«, sagte er streng und blinzelte dazu. »Sonst können wir nachher bei der Vorstellung nicht mehr unser Bestes zeigen. Gerade hier möchte ich, dass wir gut sind.«

      Natascha nahm

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