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du ihnen denn nicht verzeihen, den beiden anderen?«

      »Es war so schrecklich für mich. So etwas überwindet man nicht einfach. Man schleppt es ein Leben lang mit sich herum. Bestimmt hat Irina mich heimlich ausgelacht, wenn ich ihr ahnungslos erzählte, wie fantastisch ich Fedor fand. Heute möchte ich ihn gar nicht mehr. Er ist eben doch nicht mein Typ.«

      »Du hast aufgehört, ihn zu lieben?«, wagte Helmut zu fragen.

      »Ich war erst rasend verliebt, dann wahnsinnig eifersüchtig, aber heute ist nichts mehr davon übrig. Ich bin nur tief enttäuscht und verletzt. Aber auch unter diesen Voraussetzungen wäre ein gemeinsames Auftreten nicht mehr möglich. So, wie es früher einmal war, kann es einfach nicht mehr werden. Einmal hat Irina an Vater geschrieben und angefragt, ob ich jetzt wieder bereit wäre, gemeinsam mit ihr und Fedor am Trapez zu arbeiten. Ein einziges Mal. Ich habe ihr persönlich geantwortet, dass das unter keinen Umständen jemals wieder infrage käme und dass es eine Unverfrorenheit von ihr sei, überhaupt daran zu denken. Na, du kannst dir denken, dass ich mir nicht gerade ein Blatt vor den Mund genommen habe.«

      »Hat Irina dir geantwortet?«

      »Nein. Das war auch ein Brief, auf den ich gar keine Antwort erwartet habe. Weißt du, ich wünschte, ich könnte zwei oder drei wirklich gute Partner fürs Trapez finden. Wir könnten eine tolle Nummer aufstellen, wenn ich erstklassige Partner hätte. Und wenn wir erst etwas zu bieten hätten, wäre auch der Zirkus Ramoni wieder hochzubringen. Das, was uns gefehlt hat und immer noch fehlt, ist eine richtige Zugnummer.«

      »Du könntest dich entschließen, zu einem anderen Zirkus zu gehen?«

      Natascha schüttelte den Kopf. »Nein, Helmut, das ist zwar leicht gesagt, aber ich kann es unter keinen Umständen tun. Vater würde mich natürlich gehen lassen, aber er wäre sehr unglücklich. Ganz ohne eine kleine Trapeznummer kann sich der Zirkus dann gleich zum Sterben hinlegen. Denke doch auch einmal an Wanja! Schon um seinetwillen muss ich bleiben und versuchen, so zu tun, als wäre mein armseliger Auftritt eine Glanznummer. Ich weiß ganz genau, dass es uns allen ein bisschen besser gehen könnte, wenn der Krach zwischen Irina und mir nicht passiert wäre. Aber du musst auch wissen, dass es nicht allein meine Schuld war. Jedenfalls würde ich jetzt nicht fortgehen. Das brächte ich einfach nicht übers Herz.«

      »Du bist ein feiner Kerl, Natascha«, rief Helmut leise auf. »Dein Vater weiß sehr genau, was er an dir hat.«

      Natascha seufzte. »Ich fürchte, ich bin ganz einfach ein Versager, Helmut«, entgegnete sie mutlos. »Manchmal frage ich mich, wie es weitergehen soll. Aber erstaunlicherweise geht es tatsächlich immer weiter, obgleich es bei uns buchstäblich alle paar Wochen einmal so aussieht, als bliebe nichts anderes übrig, als Schluss zu machen. Für das schlechte Zelt und unsere wenigen Tiere würden wir bei einem Verkauf jedoch kaum etwas bekommen. Die Löwen sind restlos überaltert, und mit den Ponys, die meistens nicht genügend Grünfutter kriegen, ist auch nicht gerade Staat zu machen.«

      »Es tut mir wirklich leid, dass es so gekommen ist, Natascha. Ich sehe auch kaum eine Möglichkeit, wie wir aus dieser Patsche wieder herauskommen könnten.«

      »Du sagst – wir?«, staunte Natascha.

      »Na ja, so ein bisschen fühle ich mich halt noch immer dazugehörig. Ich war schließlich selber einmal bei Ramoni, wenn’s auch lange her ist. Die einzige Chance wären ein paar wirklich attraktive Auftritte. Glaubst du denn, dass Irina und ihr Mann zurückkommen würden?«

      Natascha verzog den Mund. »Das haben sie ja angeboten. Aber wir könnten nicht zusammen auftreten. Sollten Irina und Fedor sich Vater wieder anschließen, müsste ich gehen. Das würde mir leidtun, auch deshalb, weil ich Wanja lieb gewonnen habe und weil der Junge an mir hängt. Aber zu ändern wäre es nicht.«

      »Du bist ein Dickkopf. Und einen fürchterlichen Ramonistolz hast du obendrein«, schalt Helmut Koster.

      »Wenn man seinen Stolz nicht mehr hat, taugt man gar nichts mehr«, behauptete Natascha eigensinnig. »Ich bin stolz auf meinen Stolz. Vater ist es auch.«

      »Lass es dir einmal in Ruhe durch den Kopf gehen. Wenn man auch nicht dafür garantieren kann, dass alles leichter und besser werden würde durch die Rückkehr der beiden anderen Ramonis, sollte man doch wenigstens einen Versuch starten.« Helmut ergriff Nataschas Hände. Er redete noch eine ganze Weile auf sie ein, aber es kam ihm vor, als spreche er gegen eine Wand. Natascha hatte ihre vorgefasste Meinung, und daran war nichts zu ändern.

      *

      Im Biedermeierzimmer entwickelte sich indessen das Gespräch zwischen Denise von Schoenecker und dem Besucher harmonischer. Da Andrea von Lehn die Geschichte des Kinderheims bereits erzählt hatte, brauchte Denise nicht mehr allzu viel zu sagen.

      »Helmut hat mir verraten, dass Sie als Tänzerin ausgebildet sind, gnädige Frau«, gestand der alte Herr mit einem bewundernden Augenaufschlag.

      Denise erkannte in ihrer einfühlsamen Art, dass hier eine echte Gemeinsamkeit zwischen ihr selbst und dem Zirkusdirektor bestand. Freimütig sprach sie von den bitteren Jahren, in denen sie den Unterhalt für sich und den damals noch kleinen Nick durch die Kunst hatte verdienen müssen.

      »Den Buben musste ich in einem Kinderheim unterbringen, was viel Geld kostete«, erwiderte Denise. »Dass wir nicht immer beisammen sein konnten, war jedoch ärger als die Geldschwierigkeiten, von denen Nick damals ohnehin kaum etwas begriff.«

      »Aber die Familie war reich? Wie kam es, dass Sie in derartiger Armut leben mussten? Oder sollte ich danach nicht fragen?«

      Denise nickte Gregor Ramoni zu. »Die Familie meines Mannes war mit mir als Schwiegertochter nicht einverstanden, weil ich nicht adelig war und außerdem auf der Bühne auftrat.«

      »Die Familie hätte doch stolz auf Sie sein können«, rief der Zirkusdirektor spontan aus.

      »Nun ja, Sophie von Wellentin, der die Verhältnisse zunächst wohl nicht genau bekannt waren, hat dann ja auch ihre Meinung spontan geändert. Leider starb sie kurz darauf. Ich glaube, sie hätte sonst allerlei unternommen, um uns zu helfen. Allerdings war ich auch ziemlich stolz. Das will ich nicht verschweigen.«

      »Der Stolz, ja, der Stolz«, meinte der alte Herr, »der macht uns Menschen immer wieder zu schaffen.«

      »Jedenfalls hat das Testament der Urgroßmutter meines Sohnes uns dann mit einem Schlag zu reichen Leuten gemacht. Deshalb teilen wir nun auch gern mit solchen Menschen, die vom Glück nicht so begünstigt sind wie wir.«

      So leitete Denise geschickt auf das Thema Geld über und machte es Gregor Ramoni leicht, einen Freiplatz für Wanja Ragell anzunehmen.

      »Sie müssen vielleicht ein bisschen Geduld mit ihm haben, gnädige Frau«, meinte Ramoni sorgenvoll. »Wanja ist an die Freiheit des Zirkuslebens gewöhnt. Vielleicht wird er nicht bleiben wollen, und die Schule mag er sicher nicht leiden. Aber er soll seine Chance haben. Helmut Koster, den ich immer geschätzt habe, hat mich sozusagen mit der Nase darauf gestoßen, dass auch ein Bub wie Wanja eine solche echte Chance braucht. Um des Jungen willen nehme ich Ihr großzügiges Angebot an, sofern er selbst ja sagt zu unserem Plan. Zwingen möchte ich ihn nämlich nicht.«

      Auch damit war Denise durchaus einverstanden. Es bringe nichts ein, ein Kind gegen seinen Willen festzuhalten, meinte sie. Dann schickte sie sich an, Gregor Ramoni das schöne alte Haus zu zeigen und mit ihm durch den Park und die Ställe zu wandern.

      »Ein herrlicher Besitz«, sagte Gregor Ramoni anerkennend und ohne jeden Neid. »Es wird meinem Wanja wie ein Wunder vorkommen, dass er hier sein darf.«

      Nun, Wanja kam es nicht wie ein Wunder vor, sondern er fühlte sich auf eine besondere Art bereits heimisch in Sophienlust.

      Er kam auf seinem Pony herangetrabt und salutierte nach Zirkusart vor seinem Großvater.

      »Da bin ich. Es ist schön hier.«

      Denise ergriff die Gelegenheit. »Möchtest du bei uns bleiben, Wanja? Vielleicht für ein Jahr oder so?«

      Wanja klopfte

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