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eingerichteter Raum, der ganz so gelassen worden war, wie er zu Lebzeiten der früheren Besitzerin Sophie von Wellentin ausgesehen hatte. Das Bild der letzten Herrin von Sophienlust, Nicks Urgroßmutter, beherrschte in breitem Goldrahmen das Zimmer. Den Eintretenden begrüßte der kluge, forschende Blick der lebensecht gemalten Augen.

      Helmut Koster konnte sich denken, dass zwischen Gregor Ramoni und Frau von Schoenecker das eine oder andere zu besprechen sei, das nicht unbedingt für die Ohren des Jungen bestimmt war. So erbot er sich, Wanja inzwischen Sophienlust zu zeigen.

      »Willst du mit uns kommen, Natascha?«, fragte er das Mädchen.

      Natascha nickte. »Vater spricht sicherlich am liebsten ganz ungestört mit Frau von Schoenecker. Es ist dir doch recht so, Vater?«

      Ramoni nickte ihr zu. »Zeigt dem Jungen das Gut, die Ponys und alles andere. Ich bespreche inzwischen das, was wichtig ist, mit der gnädigen Frau.«

      Helmut fühlte Wehmut. Selbst in dieser Lage verlor der verarmte Zirkusdirektor seine Würde nicht.

      »Zuerst möchte ich die Ponys anschauen. Darf ich gleich ein bisschen reiten?«, fragte Wanja, der nun Feuer und Flamme war. »Wo stecken eigentlich die anderen Kinder?«

      »In der Schule, Wanja. So ist das nun einmal. Nur die ganz Kleinen spielen irgendwo unter der Obhut von Schwester Regine.«

      Wanja reckte sich ein bisschen. »Ganz so klein bin ich nun auch nicht mehr. Können wir jetzt zu den Ponys gehen?«

      Im Stall fanden sie den alten Justus, den ehemaligen Verwalter des Gutes, der seinen Lebensabend als Freund und Vertrauter der Sophienluster Kinder verbrachte. Zwischen dem Zirkusjungen und dem alten Mann knüpfte sich sofort ein Band der Freundschaft, als Wanja in die Ponyboxen ging und sich ohne die geringste Scheu mit den schönen gepflegten Tieren beschäftigte. Schon fünf Minuten später saß der Junge auf einem der kleinen Pferde und zeigte kaum noch Interesse daran, weitere Sehenswürdigkeiten von Sophienlust kennen zu lernen.

      »Der ist zum Reiten geboren wie selten ein Bub«, meinte schmunzelnd Justus. »In der nächsten Stunde kriegen wir ihn nicht wieder vom Pferd.«

      Wanja trabte umher, führte die verschiedenen Gangarten fehlerfrei vor und stellte glänzend das unter Beweis, was Justus soeben behauptet hatte.

      »Wir holen ihn nachher wieder ab«, erklärte Helmut Koster. »Komm, Natascha, es hat keinen Zweck, wenn wir hier herumstehen und warten, bis Wanja genug vom Reiten hat. Vielleicht wird Justus weit besser als ich in ihm die Lust wecken, längere Zeit in Sophienlust zu bleiben und all das zu genießen, was das Kinderheim zu bieten hat.«

      »Es ist ein wunderschönes Anwesen, dies Sophienlust«, sagte Natascha leise. »Zwar würde es Vater schwerfallen, sich von Wanja zu trennen, aber ich glaube, es wäre der richtige Entschluss.«

      »Du gibst ihn auch nicht gern her, den Wanja, nicht wahr?«

      »Nein, ich auch nicht. Aber was ich denke, spielt in dieser Sache keine Rolle.«

      »Hätte ich den Vorschlag besser nicht machen sollen?«, fragte Helmut Koster unsicher und ein wenig betroffen. »Ich habe es wirklich gut gemeint. Einmal muss Wanja doch in die Schule.«

      »Es ist sicherlich ein guter Vorschlag, Helmut. Trotzdem tut mir Wanja jetzt schon leid. Ein richtiger Zirkusjunge kriegt Heimweh nach den fahrenden Wagen, nach den dressierten Tieren und nach den Leuten, die so denken wie er und die nirgends zu Hause sein wollen.«

      »Aber die Schule …«

      »Bist du etwa für längere Zeit in eine richtige Schule gegangen? Es ist am Ende immer irgendwie geregelt worden. Aber ich sehe natürlich ein, dass es ein Glücksfall wäre, wenn Frau von Schoenecker unseren Wanja wirklich aufnehmen würde.«

      »Ihr könnt doch auf die Dressur mit dem Pekinesen und auf Wanjas Radschlagen eine Weile verzichten, nicht wahr?«, erkundigte sich Helmut besorgt.

      »Natürlich. So wichtig ist das nicht. Er ist ja noch viel zu jung, um eine eigene Nummer aufzustellen. Du hast sicherlich recht, dass du ihn in die Schule schicken willst. Aber ich fürchte auch, dass du uns nicht mehr ganz verstehen kannst. Ich habe jetzt gesehen, wie du bei der netten Familie des Tierarztes lebst. Mit dem Zirkus hat das wirklich nichts mehr zu tun. Und offenbar hast du die ganze Zeit über niemals Heimweh bekommen, sonst wärst du nämlich weggelaufen.«

      »Wenn man eine Pflicht übernommen hat, läuft man nicht einfach fort, Natascha. Heimweh habe ich trotzdem oft genug gehabt. Aber für einen erfahrenen Tierpfleger besteht heute kaum noch die Möglichkeit, in einem Zirkus unterzukommen. Soll ich dir gestehen, dass ich mit meinen Bären im Tierheim und mit der Schimpansin Luja sogar schon so etwas wie eine kleine Nummer einstudiert habe?«

      Natascha lachte leise. »Das Zirkusblut lässt sich eben doch nicht verleugnen. Du, dieser Park gefällt mir. Was ist das für ein hübscher Pavillon?«

      »Früher war es ein Teehaus oder so etwas. Jetzt ist es winterfest gemacht worden und dient den Kindern, besonders den kleineren von ihnen, bei ungünstigem Wetter als Aufenthaltsraum zum Spielen.«

      »Die Kinder haben es wirklich gut hier«, meinte Natascha. »Von hier aus sieht das Herrenhaus erst recht wie ein Schloss aus. Hoffentlich wird es Wanja nicht zu Kopf steigen, falls er hierbleiben sollte.«

      »Dafür ist gesorgt, Natascha. Die Kinder bleiben mit den Füßen auf der Erde und werden sehr vernünftig erzogen. Frau von Schoenecker will ja keine Schlossherren und -herrinnen heranbilden, sondern junge Menschen, die in der Lage sind, ihren Mann zu stehen und sich im Leben auch dann zu bewähren, wenn sie nicht mehr hier in Sophienlust sind.«

      Sie fanden einen umgelegten Baumstamm und setzen sich darauf.

      »Vielleicht sollte ich Wanja also wünschen, dass das Gespräch zwischen Vater und Frau von Schoenecker positiv ausgeht«, erklärte Natascha und legte den Kopf in den Nacken, die Hände um ihr Knie verschränkend.

      »Du bist schön geworden, Natascha«, flüsterte Helmut Koster bewundernd. »Damals wart ihr beide noch beinahe Kinder. Jetzt bist du erwachsen. Aber deine Augen sind dieselben geblieben.«

      Natascha bekam rote Wangen. »Irina ist die hübschere von uns beiden«, sagte sie abweisend.

      »Das habe ich nie finden können – schon wegen deiner dunklen Augen nicht.«

      »Aber Fedor fand sie hübscher«, stieß Natascha leidenschaftlich hervor. »Deswegen ist unsere Nummer geplatzt. Vater wird es dir wohl kaum verschwiegen haben.«

      »Er sprach darüber, Natascha. Aber warum bildest du dir ein, dass Fedor Collins Irina hübscher fand? Es bestand ganz einfach zwischen ihm und Irina eine andere Harmonie als zwischen dir und ihm. So etwas passiert im Leben.«

      Natascha hob die schönen Schultern. »Mag sein, aber die beiden haben mich hintergangen und betrogen. Ich kann ihnen nie wieder vertrauen. Wenn man aber zusammen am Trapez arbeitet, muss man einander rückhaltlos vertrauen, sonst passiert ein Unglück. Das brauche ich dir wohl nicht erst zu erklären. Es ist eine alte Zirkuswahrheit.«

      »Hatte Irina dir denn eingeredet, sie mache sich nichts aus Fedor?«, erkundigte sich Helmut vorsichtig, immer darauf gefasst, dass Natascha es ablehnen werde, sich weiter über dieses heikle Thema mit ihm zu unterhalten. »Wieso behauptest du, dass du betrogen worden bist?«

      »Sie hat gewusst, dass ich ihn mag. Trotzdem traf sie sich hinter meinem Rücken mit ihm und versprach ihm, ihn zu heiraten. Sie ist ja heute auch seine Frau. Das kann man nicht abstreiten.«

      »Aber eine Liebe lässt sich nun einmal nicht erzwingen. Hatte Fedor dir denn irgendwelche Hoffnungen gemacht?«

      »Nein, das nicht. Aber wenn Irina nicht gewesen wäre, hätte ich ihn bestimmt für mich gewinnen können. Es ist schon eine arge Last, eine Zwillingsschwester zu haben. Das kann ich dir versichern. Man wird niemals als selbstständige Persönlichkeit betrachtet. Immer ist man nur die Hälfte eines Paares.«

      »Es ist aber zugleich etwas Außergewöhnliches. Die besondere Attraktion der drei Ramonis war es

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