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hatte sie schon oft als Argument gebracht, aber das machte es ja nicht weniger wahr. Deshalb hielt sie es Carolina wieder entgegen.

      Erneut erntete sie nur einen entnervten Stoßseufzer – wie schon so oft. »Du kannst überall schreiben. Das ist doch das Gute daran, Schriftstellerin zu sein.« Carolina tänzelte hin und her.

      »Das stimmt nicht. Ich kann eben nicht überall schreiben. Bei mir ist Lärm tödlich. Da fällt mir kein gescheiter Satz ein. In der Stadt ist es mir inzwischen zu laut geworden.«

      Und das stimmte auch. Der Verkehrslärm trieb sie zur Verzweiflung. Natürlich hätte sie sich innerhalb der Stadt eine ruhigere Wohnung suchen können, aber das wäre nur ein Kompromiss gewesen.

      »Das ist doch Quatsch«, verkündete Carolina voller Inbrunst. Und als ob sie die Unterstützung herbeigezaubert hätte, fing einer ihrer Nachbarn draußen an, mit der Motorsäge sein Holz zu bearbeiten. Oder was auch immer den Motorenlärm verursachte. »Siehst du!«, rief Carolina triumphierend über die Motorsäge hinweg.

      »Ich bleibe hier. Fürs Erste. Und damit basta. Und zwar endgültig.«

      Mit dieser Aussage verstummte auch die Maschine wieder, und es herrschte kurz verblüffte Stille im Hexenhäuschen.

      »Wann musst du wieder zum Arzt?« Ingrid hatte wohl genug von der ewig gleichen Diskussion. Ihre Methode war es, Maxi ihren Willen zu lassen und darauf zu setzen, dass sie schon von allein zur Vernunft kam. Wie bei so vielen ihrer verrückten Ideen, die sie im Laufe der Jahre so an den Tag gelegt hatte.

      Mit der Schriftstellerei war das auch so gewesen, nur dass das immer noch nicht vorbei war und vermutlich auch nie vorbei sein würde. Dafür verkauften sich ihre Bücher zu gut.

      Aber das hatte Ingrid inzwischen auch eingesehen, nämlich dass Maxi keine wirklich gute Deutschlehrerin geworden wäre. Nach der Lektüre sämtlicher Bände ihrer Krimiserie war sie einer ihrer größten Fans. Sie fieberte auf jede Fortsetzung hin.

      »Die Ärztin im Krankenhaus meinte, dass ich mich eigentlich nur auskurieren muss. Die wird das ja wohl am besten wissen.« Ein Bild von Doktor Schneck schoss ihr vors innere Auge. Die kurzen rotbraunen Haare, der schöne Mund, diese Augen, die in sie geblickt hatten, als ob sie Maxi kennen würden wie kaum ein anderer Mensch. Nicht zu vergessen diese Hände, die sie untersucht hatten und die trotz ihrer Zartheit so wissend, so zielsicher, so zupackend waren.

      »Aber du musst doch da noch mal hin. Da muss doch eine Nachsorge stattfinden«, sagte Ingrid und sah dabei nachdenklich besorgt aus.

      Maxi wollte schon protestieren, aber wenn sie es recht bedachte, wäre so eine Nachsorge bei Doktor Schneck doch genau das, was sie brauchte. Und sei es nur, um zu kontrollieren, dass die Ärztin im Tageslicht betrachtet und ohne Medikamentenhigh nicht so umwerfend aussah, wie Maxi das im Gedächtnis hatte. Denn falls sie in echt so war, wie ihr Erinnerungsvermögen das vorgaukelte, dann hatte Maxi ein Problem am Start. Welche Frau sollte jemals an Doktor Schneck herankommen? Denn mit Sicherheit war eine Frau wie die Ärztin schon seit Jahren in festen Händen, und Maxi könnte nur von Weitem bewundern, was sie nie haben konnte.

      Trotzdem. Sie würde es gern wissen.

      Es klingelte schon wieder an der Tür des Hexenhäuschens, und Maxi fragte sich, warum sie nicht eine Drehtür hatte einbauen lassen, so wie es hier zuging. Aber es lenkte sie immerhin so lange von Doktor Schneck ab, bis sie zur Nachsorge gehen konnte.

      7

      Nichts funktionierte. Ihr Computersystem wurde noch installiert, sie hatte noch immer kein Praxisteam, und der alte Bürostuhl, den sie in einer Hauruckaktion aus dem Keller geholt hatte, quietschte.

      Trotzdem saßen in Willas Wartezimmer bereits die ersten Patientinnen und Patienten. Es musste sich wie ein Lauffeuer im Dorf verbreitet haben, dass sie die Praxis zwei Wochen früher als angekündigt öffnete. Urlaub adieu, ausgeruhte Vorbereitungen adieu – hereinspaziert Maxi Gnädig. Hoffte sie inständig. Denn genau das war der Grund für diese wenig durchdachte Aktion. Dass die Feuerwehrfrau zur Nachsorge in die Praxis im Dorf kommen würde. Was lag denn schließlich näher?

      Nur bisher saßen im Wartezimmer sieben Weilerer Schnecks, die alle über dutzend Ecken mit ihr verwandt waren, und ein paar Leute, die sie sogar nicht kannte, was ja erfreulich war – aber keine Maxi Gnädig weit und breit.

      Willa wühlte sich durch die alten Karteikarten ihres Vorgängers, die sie in Ermangelung eines funktionierenden Computers jetzt erst einmal weiterverwenden musste, um aufzuzeichnen, wen sie wie behandelte. Die Krankenkassenabrechnung stand auf einem anderen Blatt und würde vermutlich noch ein Albtraum werden.

      Mit einer Karteikarte in der Hand öffnete sie die Tür zum Warteraum und grüßte in die Runde. »Guten Morgen, alle zusammen.«

      Unisono kam ein Gruß zurück, und aufmerksame Augen musterten sie. Nicht unfreundlich, aber doch mit ausgesprochener Neugier.

      Gestern hatte Willa einfach einen Stapel ihrer alten Zeitschriften hier auf ein Tischchen geworfen, einige Emmas darunter – wie auch immer das in Weiler ankommen würde. Eine Pflanze oder ein paar Bilder täten dem Warteraum noch gut. Die Stühle hatte sie noch zu Krankenhauszeiten bestellt, sonst müssten ihre Patienten jetzt auf Sperrmüllersatz Platz nehmen. Immerhin waren alle Räume frisch renoviert.

      »Ich bitte um etwas Verständnis und Geduld heute. Die Praxiseröffnung könnte reibungsloser verlaufen. Aber es geht jetzt los. Margit Schneck, bitte«, sagte sie in den Warteraum hinein. Eine der anwesenden Schnecks erhob sich sofort und kam zielstrebig auf sie zu.

      »Keine Sorge, Wilhelmine. Länger als bei Doktor Frank kurz vor dem Ruhestand kann es gar nicht dauern.« Das kam von einem Cousin dritten Grades, den sie seit ihrer Jugend nicht mehr gesehen hatte, aber sofort an seiner lauten Stimme und der vorwitzigen Art erkannte.

      Sie nickte ihm nur zu. Ganz neutral. An dieser nichtssagenden Gesichtsmimik würde sie noch viel arbeiten müssen, um sie zu perfektionieren. Sie hatte das Gefühl, dass sie das hier sehr oft brauchen würde.

      Margit Schneck folgte ihr ins Behandlungszimmer.

      Mit einem Quietschen ließ Willa sich auf dem Schreibtischstuhl nieder und schob die Karteikarte, die sie von Margit Schneck gefunden hatte, auf dem Schreibtisch zurecht, um darin Eintragungen machen zu können. Die letzte, die sie darin fand, war zehn Jahre alt – großes Blutbild mit extrem guten Werten.

      Sie schaute hoch und fragte mit ihrer besten Doktorstimme: »Was kann ich also für Sie tun?«

      Die Reaktion darauf hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht zusammenfantasieren können. Ihre erste Patientin in ihrer eigenen Praxis.

      »Aber seit wann siezt du mich denn?«, fragte Margit Schneck empört. »Ich hab dich als kleines Kind auf dem Schoß gehalten, erinnerst du dich nicht? Du hast immer Tante Margit zu mir gesagt.«

      Die Erinnerung war natürlich noch da, aber wollte sie ausgerechnet jetzt daran denken? War das nicht unpassend? Verfluchtes Dorf, verfluchte Verwandtschaft. Das brachte Probleme mit sich, die sie vorher so nicht durchdacht hatte.

      »Aber jetzt sind wir Ärztin und Patientin.«

      Diese Erklärung erschien Willa alles zu sagen, und sie sah Margit Schneck auffordernd an. Immer noch in Erwartung auf das medizinische Problem, das es hier anzugehen galt. Das Wartezimmer saß schließlich voll. Aber sie hatte die Rechnung ohne ihre Verwandte gemacht.

      »Und ich bin immer noch deine Tante Margit«, erwiderte sie mit vorgeschobenem Kinn, das deutlich zeigte, dass sie in diesem Thema eine unverrückbare Ansicht hatte.

      Gut, Willa konnte flexibel sein. Zwangsläufig. Das führte hier sonst zu nichts. Und tatsächlich war Margit Schneck immer eine von den Schnecks gewesen, die stets sehr nett zu ihr waren. Daran konnte sie sich deutlich erinnern.

      »Also gut, Tante Margit, was bringt dich in meine Praxis?« Vielleicht führte der Weg des geringsten Widerstandes zum Erfolg.

      Tante Margit öffnete ihre Großraumhandtasche, die sie

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