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schiere Menge an Menschen im Wartebereich verhieß nichts Gutes. Maxi hatte ja schon öfter gehört, dass man eine Unmenge an Zeit mitbringen musste, wenn man in die Krankenhausambulanz ging, aber dass das der Realität entsprach, hatte sie für abwegig gehalten. Man konnte doch nicht fünf Stunden warten, bis man drankam. Oder konnte man?

      Vielleicht ließ sich ja an der Aufnahme klären, dass sie eine bestimmte Ärztin sehen wollte und damit aus der Schlange herausfiel. Aber erst einmal bis zur Aufnahme durchkommen.

      Nach einer ersten optischen Orientierung zog sie an einem Automaten eine Nummer, wie es kaum zu übersehende Schilder anwiesen, und schlich noch immer viel vorsichtiger als im Normalzustand zu einer Wartebank, auf der noch zwei Plätze frei waren.

      Auf ihrem kleinen Zettel stand die Nummer 96. Auf der Anzeigetafel, die gerade wieder blinkte und eine neue Nummer aufrief, hingen die Zahlen jedoch aktuell in den 60ern. 61 und 62 wurden gerade bearbeitet. Wahnsinn! Noch über dreißig Leute vor ihr. War das der Alltag in deutschen Krankenhäusern? Das war ja wohl ein Skandal.

      Vielleicht sollte sie Doktor Schneck um ein paar Insider-Informationen bitten und das in einen ihrer nächsten Krimis einbauen. Ein Krimi, der im Krankenhaus spielte? Warum eigentlich nicht. In ihrer Serie rund um die Kriminalhauptkommissarin Carsta und ihre Kollegen war bereits der siebte Band veröffentlicht, und sie schrieb am achten. Band eins bis sieben waren ein erfolgreicher Dauerbrenner im Verlag, und ihr Herausgeber lechzte schon nach dem jeweils nächsten Roman. Zwar war sie damit in ein ziemliches Korsett gequetscht, rein künstlerisch betrachtet, aber sie konnte sich über den Erfolg wirklich nicht beschweren.

      Irgendwann würde sie etwas anderes schreiben wollen und hatte dafür auch schon Ideen in der Schublade, aber momentan war sie noch zufrieden mit ihrer Serie. Und solange ihr immer wieder Ideen kamen, wo und was Carsta, ihre charismatische Polizistin, noch ermitteln konnte, war doch auch alles gut. Das würde doch sogar Anlass bieten, mit Doktor Schneck einen privaten Termin zu vereinbaren. Zur Recherche. Perfekt!

      Im Rahmen dieser Recherche könnte sie dann ein bisschen mehr über die hübsche Ärztin herausfinden. Was schlummerte hinter diesen grünlichen Augen für eine Persönlichkeit? Maxi konnte Tiefen erahnen, und das erweckte ihre Neugier nur umso mehr. Oberflächliche Menschen fand sie schrecklich langweilig. Vielleicht lag diese Einstellung daran, dass sie Schriftstellerin war und immer das Besondere, das Dahinter suchte, aber sie konnte sich nicht helfen. Es war eben so. Und Doktor Schneck versprach viel an dahinter verborgen Liegendem.

      Mit diesen Gedanken vertrieb sie sich die Zeit, bis Carolina sich neben sie auf die Bank plumpsen ließ. Man würde manchmal nicht meinen, dass sie sich auf der Bühne als Torpedotante so unglaublich geschmeidig bewegen konnte. Torpedotante, Carolinas Bühnenname, hatte Maxi erfunden. Bis zum heutigen Tag eine ihrer besten literarischen Eingebungen. Schließlich schlug Carolina immer ein wie ein Geschoss, wenn sie wie losgelassen ihre Nummer abzog, dabei die Hüllen fallenließ und ihre Kurven präsentierte.

      »Nummer?«, fragte Carolina, als ob sie ihre Gedanken gelesen hätte, aber natürlich meinte sie die Position in der Warteschlange.

      »Sechsundneunzig.« Maxi traute sich kaum, diese absurd hohe Zahl zu nennen. Carolinas Geduldsfaden war so kurz wie ihr geblümter Rock.

      »Das ist ein Scherz, oder?«, kam die Gegenfrage mit einem Wallen ihres stattlichen Busens.

      »Nope«, sagte Maxi knapp, um keine Tirade zu provozieren.

      »Das wird uns ein Vermögen im Parkhaus kosten. Und da war alles voll. Ich wette, die finanzieren ihr Krankenhaus nicht durch die Krankenkassen, sondern rein über die Parkeinnahmen.«

      Natürlich sagte Carolina das so laut, dass alle anderen Anwesenden das auch hören konnten. Mehrere Leute lachten darüber, andere nickten ernsthaft bestätigend. Die allerwenigsten reagierten abweisend. Und schon wieder hatte Carolina ein Publikum für sich gewonnen. Unglaublich. Carolina konnte Torpedotante einfach nicht zuhause lassen.

      Inzwischen war schon die Nummer 70 dran. Das ging doch schneller, als sie gedacht hatte. Maxi überschlug das im Kopf. Sie saß jetzt elf Minuten hier, und neun Nummern waren schon vorbei. Zehn, wenn man die Frau mitrechnete, die gerade an den Schalter ging. Das hieß, sie musste noch zirka vierzig Minuten warten, bis sie drankam. Das war machbar. Ob sie dann allerdings nach der Aufnahme sofort zur Behandlung geschickt wurde, war ja auch ungewiss. Vielleicht war Doktor Schneck nicht sofort greifbar. Maxi hoffte, dass sie nicht wieder in der Nachtschicht im Dienst war. Aber da ihr Unfall kalendarisch betrachtet letzte Woche passiert war, hoffte sie, dass die Ärztin diese Woche die Tagesschicht hatte. Das war doch eigentlich logisch, oder? Auch wenn sie keine Ahnung von Krankenhausdienstplänen hatte.

      »Ich hab dich nicht gezwungen, mich hier herzufahren. Also sei schön brav«, sagte sie zu Carolina, die aussah, als ob sie gerade so weitermachen wollte.

      »Brav! Das werde ich erst sein, wenn ich mal eingeäschert bin, und das weißt du auch.«

      Das stimmte, und genau das machte Carolinas Charme auch aus. Eine bessere Freundin, mit der es einer nie langweilig wurde, gab es kaum. Außerdem loyal. Auch wenn sie mit ihr ins Krankenhaus wahrscheinlich mehr aus Neugier als aus Loyalität gekommen war.

      Maxi hatte nämlich in einem Nebensatz fallenlassen, welch eine attraktive Ärztin sie behandelt hatte. Zack, waren Carolinas Lauscher aufgestellt. Das war ja okay, solange sie diesen überbordenden Charme nicht an Doktor Schneck erprobte. Maxi wollte Willa ganz für sich. Sie hatte sich auch vorgenommen, allein ins Behandlungszimmer zu gehen. Carolina durfte schön davor warten. Sie würde ihre kostbaren Minuten maximal ausschöpfen.

      Die folgende Dreiviertelstunde plauderten sie über Gott und die Welt, mal mit den anderen Wartenden um sie herum, mal nur zu zweit über gemeinsame Bekannte und Nichtigkeiten.

      Als ihre Nummer aufgerufen wurde, war Maxi kein bisschen genervt, wie sie das vorher vermutet hatte. Im Gegenteil, sie war guter Dinge und energetisiert. Sie würde jetzt Doktor Schneck wiedersehen. Wie schön!

      Mit Carolina im Schlepptau trat sie an die Aufnahme, an der ein etwas aufgelöst wirkender Mann mittleren Alters mit Schweißperlen auf der Stirn und sehr wenigen Haaren auf dem Kopf saß.

      Ohne sie anzusehen oder zu begrüßen, fragte er gleich: »Versichertenkarte? Überweisung? Sonstiges?« Er tippte hektisch irgendwas an seinem Computer und erschien dabei sehr hibbelig.

      Maxi wartete ein paar Sekunden, bis er sie endlich ansah. So viel Zeit musste sein. Ungeduldig blickte er schließlich auf und sah sie fragend an. Bei Carolina neben ihr tickte bereits der Zünder. Sie konnte es geradezu hören.

      »Ich war schon mal hier und würde gern wieder zur gleichen Ärztin«, sagte Maxi in aller Ruhe.

      Der Mensch am Schalter fuhr sich mit der Hand schnell über die Stirn. »Das geht nicht«, erklärte er wegwischend. Seinen Schweiß als auch Maxis Ansinnen. Einfach so.

      Maxi hatte den Mund schon offen für eine freundliche Bitte, als Carolina neben ihr explodierte. Der Torpedo hatte sein Ziel erfasst. »Schätzchen, das muss gehen, oder ich mach hier einen Aufstand, dass das Technische Hilfswerk kommen muss. Oder Misereor oder wer auch immer.«

      Der Mann im weißen Hemd seufzte tief, als ob er Was für ein Scheißtag und womit habe ich das nur verdient sagen wollte. Auch das war eine Wirkung von Torpedotante. Die vollkommene Zerstörung jeglicher Abwehrmauern. Widerstand war bei Carolina wirklich zwecklos, und das strahlte sie auch aus. Dass sie stets und immer bekam, was sie wollte. Oder es sonst Tote gab.

      Wie gut, dass sie Carolina dabeihatte. Maxi hätte mit Sicherheit einfach ein Einsehen gehabt – wenn etwas nicht ging, dann ging es eben nicht. Carolinas Motto war da eher: Geht nicht, gibt’s nicht.

      »Sie will zu Doktor Schneck, und sie wird zu Doktor Schneck gehen.« Carolina mähte den armen Wurm nach dieser Aussage mit einem Blick nieder, und er wand sich auch wie ein solcher.

      Der Mann rang ein paar Sekunden mit sich, dann vergewisserte er sich mit einem Blick zu seiner Kollegin am Schalter nebenan, dass ihnen niemand zuhörte, und gab eine sehr leise gesprochene Antwort. »Doktor Schneck arbeitet nicht mehr hier.«

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